Fragmentiert, nicht gescheitert

Jan Pospisil: Konfliktlandschaften des Südsudan.Fragmente eines Staates.Transcript Verlag, Bielefeld 2021, 336 Seiten, 39 Euro (Taschenbuch), kostenlos zum Download verfügbar

Im Juli 2011 erlangte der Südsudan nach einem langen Bürgerkrieg seine Unabhängigkeit. Zehn Jahre später bietet Jan Pospisils gut zu lesende Studie eine fundierte Bestandsaufnahme und widerspricht gängigen Vorstellungen von gescheiterter Staatlichkeit.

Vor zehn Jahren wurde die Gründung des Südsudan gefeiert, heute ist die Euphorie allgemeiner Ernüchterung gewichen. Der erhoffte Frieden ist ausgeblieben, stattdessen begann 2013 ein neuer, mehrjähriger Bürgerkrieg. Die Einschätzung, der Südsudan sei ein gescheiterter Staat, teilt Jan Pospisil indes nicht. In seinem Buch erläutert der Forschungsdirektor am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung, warum er das Konzept eines nur in Fragmenten existierenden Staates im Südsudan für angemessener hält. Schließlich hat es einen umfassenden Nationalstaat im westeuropäischen Sinn dort nie gegeben. Pospisil vermittelt seine Thesen und Analyse in zwölf sinnvoll strukturierten Kapiteln und mit einem nützlichen Anhang mit geografischen Angaben, Namens- und Sachregistern.

Nach Einschätzung des Autors ging es im Südsudan noch nie um einen einzelnen, sondern immer um zahlreiche, teilweise miteinander verbundene Konflikte. Deren regionale Ausprägungen innerhalb des Südsudan, dessen Staatsgebiet so groß ist wie Frankreich, veranschaulicht er unter Benennung wichtiger Konflikttreiber und gewaltbereiter Gruppen. Dafür leitet er seine Leserinnen und Leser zurück in die Kolonialzeit und erläutert kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich, dem Mahdi-Reich und Großbritannien. Zu den schädlichen Auswirkungen dieser Konflikte zählte der intensive Sklavenhandel im Gebiet des heutigen Südsudan. 

Die britische Kolonialmacht wollte dort indirekt herrschen und ernannte dazu auf lokaler Ebene Chiefs. Vielerorts – etwa bei nomadischen Gesellschaften – gab es solche Ämter aber gar nicht, und so beschränkte sich die koloniale, institutionelle Durchdringung der Gesellschaft auf ein rudimentäres Minimum. Gleichzeitig blieben öffentliche Angebote wie etwa Schulbildung der Bevölkerung vorenthalten, die zudem vom Norden des Landes abgeschottet wurde. Staatlichkeit war also kaum vorhanden und wurde auch nicht mit Errungenschaften verbunden.

Kämpfe konkurrierender Machtgruppen

Daran änderte sich wenig mit der politischen Unabhängigkeit des riesigen Staatsgebildes Sudan im Jahr 1956. Denn die neuen Machthaber in der Hauptstadt Khartum sorgten nicht für Verbesserungen im Süden des Landes. Für die Mehrheit der dortigen Bevölkerung bot der Sudan keinen Identifikationsanreiz, vielmehr blieben Marginalisierung und Entrechtung ihre Grunderfahrungen im Kontakt mit dem Staat.

Pospisil beschreibt in der Folge, wie im Süden eine Widerstandsbewegung entsteht und sich spaltet. Zudem erläutert er gewaltsame Machtkämpfe zwischen verschiedenen Gruppen – teilweise aufgrund politisch mobilisierter ethnischer Differenzen – und ihren Interessenpoker bei langen Friedensverhandlungen insbesondere mit der Regierung in Khartum.

Eben diese Konflikte im Südsudan eskalierten nach der Staatsgründung 2011 gewaltsam. Wiederholt trieben Kämpfe konkurrierender Machtgruppen Millionen Menschen in die Flucht, vor allem ins Nachbarland Uganda. Die Situation ist auch nach dem letzten Friedensschluss von 2018 angespannt. Gerade weil Pospisil Konflikte lebensnah illustriert, indem er beispielsweise auf die sozio-ökonomische Bedeutung des Rinderbesitzes und -diebstahls eingeht, ist sein Buch eine aufschlussreiche Lektüre für alle, die mehr über den jüngsten Staat der Welt wissen möchten.

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