„Vor drei Jahren haben wir uns noch als Touristen ausgegeben“

Seit drei Jahren befindet sich Myanmar auf Demokratisierungskurs. Aber überall im Land gibt es weiterhin bewaffnete Gruppen, die für ihre Anliegen streiten. Um was geht es ihnen und wie bewerten sie den politischen Umbruch? Fragen an Sweta Velpillay vom kambodschanischen Centre for Peace and Conflict Studies, das im Frühjahr eine Studie über die Ansichten der einfachen Kämpfer dieser Gruppen veröffentlich hat.

Wenn bei uns aus Myanmar berichtet wird, geht es meistens um den politischen Konflikt und die Reformen seit 2011. Aber das ist nicht die ganze Geschichte, oder?
Das eigentliche Problem ist, dass die ethnischen Minderheiten keine Rechte haben: dass ihre Sprache, ihre Religionen und ihre Identitäten nicht respektiert werden. Wir können eine vollendete Demokratie haben, aber an diesen Missständen würde das nichts ändern. Eine Einigung zwischen dem Regime und Aung San Suu Kyi ist nur die halbe Lösung.

Kümmern sich die Politiker genug um die Probleme der Minderheiten?
Ja, das tun sie. Es gibt derzeit 14 Waffenstillstandsabkommen mit verschiedenen Gruppen. Die Abkommen sind nicht perfekt, sie werden immer wieder gebrochen. Aber es gibt sie, und die Regierung bemüht sich, ein landesweites Abkommen für alle zu schließen. Als nächstes müsste über wichtige politische Fragen gesprochen werden, über eine Machtteilung, Gleichberechtigung und Minderheitenrechte. Einige Minderheiten in Myanmar kämpfen für Selbstbestimmung und Autonomie. Das ist wahrscheinlich unrealistisch: Es wird nicht jede einzelne Gruppe ihren eigenen Staat bekommen. In diesem Punkt müssen die Führer der bewaffneten Gruppen mit ihrer Gefolgschaft Klartext reden.

Warum ist es wichtig, mit den einfachen Kämpfern dieser Gruppen zu sprechen? Reicht es nicht zu wissen, was die Führer denken? Schließlich müssen sie am Ende ein Friedensabkommen unterzeichnen.
Die Kämpfer sind an vorderster Front. Sie sind direkt betroffen von den Konflikten, sitzen aber nicht mit am Verhandlungstisch. Zugleich müssen sie verwirklichen, was dort vereinbart wird. Sie können den Friedensprozess also stützen – oder ihn scheitern lassen. Deshalb muss man wissen, was sie wollen.

Und was wollen sie?
Sie stehen voll hinter dem Friedensprozess: Sie können sich freier im Land bewegen und leiden weniger unter Menschenrechtsverletzungen. Aber zugleich sagen sie, dass der Weg noch lang sei. Der Frieden ist noch zerbrechlich, in ihren Gebieten gibt es immer noch Regierungssoldaten, Waffenstillstandsabkommen werden verletzt. Deshalb sind die Kämpfer noch nicht bereit, ihre Waffen abzugeben und sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Außerdem betonen sie, dass sie gar kein anderes Leben als das eines Kämpfers kennen. Ihnen ist klar, dass sie kaum etwas anderes kennen und können – und dass die Reintegration deshalb bei Null anfangen muss.

In Friedensprozessen in anderen Konfliktgebieten werden Kämpfer einfach in eine neue nationale Armee eingegliedert. Was halten Sie davon?
Einige der Kämpfer, mit denen wir gesprochen haben, finden das eine gute Idee. In Kambodscha hat das auch gut funktioniert. Aber man muss realistisch sein: In Myanmar besteht eine große Schwierigkeit im Friedensprozess darin, dass das Militär sich nicht voll beteiligt. Deshalb wäre es zurzeit schwierig, ehemalige Kämpfer in die Armee zu integrieren.

Ein Friedensprozess, an dem das Militär sich nicht beteiligt?
Das ist tatsächlich ein Widerspruch. Der Präsident treibt den Prozess voran, das Parlament und das Militär beteiligen sich kaum – obwohl sich das langsam ändert. Es ist wichtig und wird noch viel Arbeit bedeuten, alle an Bord zu holen.

Drehen sich die Konflikte zwischen der Regierung und den bewaffneten Gruppen auch um Bodenschätze?
Ja. Die bewaffneten Gruppen fordern die Anerkennung ihrer Identität und verknüpfen das mit dem Recht, selbst zu entscheiden, was in ihren Siedlungsgebieten geschieht, einschließlich Rohstoffförderung. Zurzeit ist es so, dass eine bewaffnete Gruppe ein Gebiet kontrolliert, und gleichzeitig fördern ausländische Investoren mit Genehmigung der Regierung Öl, Gas und andere Bodenschätze.

Woher kommen die Investoren?
Aus China, Thailand, Südkorea und anderen Ländern, die keine Sanktionen gegen das Militärregime verhängt hatten. Es gab nie irgendwelche Schutzmaßnahmen oder Regeln für den Rohstoffabbau – und das ist leider heute noch so, nachdem die Sanktionen beendet wurden und mehr und mehr Investoren ins Land kommen. Landraub ist ein großes Problem. Auch deshalb sind manche bewaffnete Gruppen misstrauisch gegenüber der Regierung: Sie vermuten, sie habe den Friedensprozess nur deshalb gestartet, um auf ihr Land und ihre Bodenschätze zugreifen zu können.

Verschärft sich das Problem nach dem Ende der Sanktionen?
Ja. Vor anderthalb Jahren gab es noch nicht so viele Beschwerden wie jetzt. In nur wenigen Wochen, nachdem die Sanktionen beendet wurden und die Regierung die Gesetze für ausländische Investoren geändert hatte, gab es riesige Investitionszusagen. Wir würden es begrüßen, wenn sich die westlichen Regierungen darum bemühen, dass die Investoren Standards einhalten und die lokale Bevölkerung von den Geschäften profitiert, nicht nur die reiche Elite.

Wie offen ist die Regierung von Myanmar für Ihre Ratschläge?
Sehr offen, besonders wenn man es mit der Situation vor drei Jahren vergleicht. Damals haben wir unter dem Radar gearbeitet, haben uns als Touristen ausgegeben oder behauptet, wir seien in kirchlicher Mission unterwegs. Heute ist die Regierung viel offener gegenüber Initiativen aus dem Ausland. Ein Beispiel ist das Myanmar Peace Center, das von der Europäischen Union finanziert wird und Aktivitäten rund um den Friedensprozess koordiniert.

Welche Rolle spielt die internationale Hilfe?
Es gibt einen riesigen Bedarf an Unterstützung in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Aber die Regierung ist manchmal etwas überfordert, und der Verkehr am internationalen Flughafen zeigt, warum: Da kommen nicht nur Touristen, sondern Gebermissionen, Hilfsorganisationen, Berater – wir alle. Mitarbeiter der Regierung oder lokaler Organisationen klagen, sie müssten von Meeting zu Meeting und hätten keine Zeit, die Ergebnisse umzusetzen. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir das System ziemlich belasten. Aber die Regierung hat das erkannt und versucht, die vielen Hilfsprogramme zu koordinieren. Und sie wird keine Hemmungen haben uns zu sagen, wenn wir nicht mehr gebraucht werden. Wir können froh sein, dass die Regierung aufpasst, dass das Land nicht von Hilfe abhängig wird.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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