Die Finanzmärkte (be)steuern

Der Vorschlag ist nicht neu, aber erst seit einiger Zeit findet er auch in der Politik Gehör: eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte. Eine solche Steuer könnte die gefährliche Spekulation eindämmen helfen und obendrein Milliarden in die öffentlichen Haushalte spülen. Und sie würde die treffen, die in den vergangenen Jahrzehnten besonders von der Liberalisierung profitiert haben.

Es kommt nicht häufig vor, dass Bürger um die Einführung einer neuen Steuer bitten. Ende vergangenen Jahres ist das geschehen. Mehr als 66.000 Frauen und Männer haben innerhalb von drei Wochen in einer Bundestagspetition eine Steuer auf Finanztransaktionen gefordert. Keine andere beim Deutschen Bundestag eingereichte Petition der vergangenen Monate bekam derart viel Zustimmung.

Auch in der internationalen Politik steht die Transaktionssteuer wieder auf der Agenda, seit das Zerstörungspotenzial der globalisierten Finanzmärkte in der aktuellen Krise deutlich geworden ist. Da ist der Gedanke an eine Steuer, mit der die Verursacher der Krise an den Kosten beteiligt werden und die zugleich spekulative Überhitzungen verhindern hilft, gar nicht so abwegig. So beschäftigen sich die G20-Staatengruppe, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union derzeit intensiv mit dem Thema.

Autor

Josef Sayer

war bis Ende März 2012 Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender von Misereor.

Aber auch die Öffentlichkeit interessiert sich für die Steuer, wie die Bundestagspetition und die starke Resonanz auf die Kampagne „Steuer gegen Armut“ zeigt, die diese Petition initiiert hat. Offenbar gibt es eine hohe Sensibilität dafür, dass Steuern nicht einfach nur Privatsache oder ein Expertenthema sind, sondern das Zentrum unseres Gemeinwesens betreffen. Steuern sind ein wichtiges Instrument für die demokratische, gemeinwohlorientierte und solidarische Gestaltung einer Gesellschaft.

Das gilt auch für unser globales Gemeinwesen. Globale Krisen wie die an den internationalen Finanzmärkten, aber auch der Klimawandel, die Energie- und die Ernährungskrise, von denen die Ärmsten besonders hart getroffen werden, erfordern globale Antworten. Diese müssen die Ursachen benennen. Sie müssen nachhaltige Lösungswege vorschlagen und sie müssen ein Instrument des Ausgleichs von Chancen und Risiken, von Nutzen und Lasten liefern. Internationale Steuern können eine solche Antwort sein. Deshalb setzt sich Misereor mit anderen gesellschaftlichen Gruppen seit über zehn Jahren dafür ein.

Eine Finanztransaktionssteuer beispielsweise könnte bei einem Steuersatz von 0,05 Prozent allein in Deutschland ein Aufkommen von rund 27 Milliarden Euro im Jahr erbringen – das Dreifache der gegenwärtigen deutschen staatlichen Entwicklungshilfe. Bei einem Steuersatz von 0,1 Prozent kämen weltweit mehr als 700 Milliarden US-Dollar zusammen. Das wäre siebenmal so viel wie die Industrieländer auf dem Klimagipfel von Kopenhagen den armen Ländern bis 2020 an jährlicher Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel in Aussicht gestellt haben. Während die vom Klimawandel verursachten Schäden weiter zunehmen und die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 immer unwahrscheinlicher wird, werden die öffentlichen Kassen mit den Folgen der Finanzkrise belastet. Eine Finanztransaktionssteuer könnte die Finanzierung globaler öffentlicher Güter wie Armutsbekämpfung und Klimaschutz langfristig gewährleisten.

Eine solche Steuer würde aber auch die zahlreichen politischen Bekenntnisse zu gerechter Globalisierung glaubhafter machen, da sie bei den Gewinnern der Globalisierung ansetzen würde. Gerade die Finanzmarktakteure haben enorm von der Liberalisierung und globalen Vernetzung der letzten Jahrzehnte profitiert – häufig ohne Nutzen für das Gemeinwohl, oft sogar zu dessen Schaden. Eine Finanztransaktionssteuer würde einen Teil der Gewinne abschöpfen (wie die Mehrwertsteuer bei Waren und Dienstleistungen) und zugleich besonders riskante und schädliche spekulative Transaktionen erschweren, ohne normale Sparer oder den Wirtschaftskreislauf zu belasten.

Eine Finanztransaktionssteuer ist kein Allheilmittel. Angesichts globaler Krisen, leerer öffentlicher Kassen und einer ständig zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich bietet sie aber eine einzigartige Chance für eine nachhaltige finanzielle Entlastung und eine gerechtere Gestaltung von Globalisierung. Die Politik muss diese Chance nutzen. Sie kann dabei auf den seltenen Umstand bauen, dass die Öffentlichkeit die Steuer unterstützt. Sie sollte damit verantwortungsbewusst umgehen.

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2010: Globale Eliten - Von Reichtum und Einfluss
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