In weiten Teilen bestimmen die Islamisten die Regeln

Jugendvertreter Mamadou Diarra (l) und Dorfvertreter Drissa Coulibaly, der 75-jährige Chef des Dorfes Sanamadougou im Niger-Binnendelta sitzen nebeneinander.
epd-Bild/Bettina Rühl
Jugendvertreter Mamadou Diarra (l) und Dorfvertreter Drissa Coulibaly, der 75-jährige Chef des Dorfes Sanamadougou im Niger-Binnendelta, beim Gespräch mit dem epd. Sie sind enttäuscht darüber, dass sich die Sicherheitslage in Mali nicht verbessert hat.
Mali
Als sich in Mali 2020 die Armee an die Macht putschte, begrüßte das ein Großteil der Bevölkerung. Die Menschen erhofften sich Erfolge im Kampf gegen bewaffnete Islamisten. Fast fünf Jahre später sind viele enttäuscht.

Drissa Coulibaly trägt mit Stolz eine Medaille, die er vor drei Jahren auf Anordnung des Präsidenten der malischen Militärregierung verliehen bekam. "Jetzt werden unsere Leistungen endlich gewürdigt", lobt der 75-jährige Chef eines Dorfes im Niger-Binnendelta. "Die zivilen Regierungen haben nie an uns Dorfchefs gedacht."

Das Niger-Binnendelta im Zentrum Malis, in dem Coulibalys Heimatdorf Sanamadougou liegt, war früher der Brotkorb des westafrikanischen Landes. Doch seit Jahren ist die Region Schauplatz ethnisch geprägter und islamistischer Gewalt. Tausende Zivilistinnen und Zivilisten sind dabei getötet worden.

Die Bevölkerung des Dorfes hoffte deshalb auf Verbesserung, als sich die malische Armee durch zwei Putsche 2020 und 2021 an die Macht brachte: Vielleicht würde sie die Terrorgruppen effektiver bekämpfen als die bis dahin zivile Regierung? Viele Menschen begrüßten auch die russischen Paramilitärs, die die malische Armee in diesem Kampf unterstützen sollen - nach dem Bruch mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich machte Mali Russland zu seinem neuen Sicherheitspartner.

"Wenn wir uns ihnen nicht unterwerfen, fallen sie über uns her"

Coulibaly und Mamadou Diarra, der Jugendvertreter desselben Dorfes, sind in einer mehrstündigen Fahrt nach Ségou gereist, um dem Evangelischen Pressedienst (epd) von der Sicherheitslage in der Region zu berichten. Für hellhäutige Ausländer ist ihre Heimatregion unzugänglich, das Entführungsrisiko groß: Die islamistischen Gruppen finanzieren sich unter anderem durch Lösegelderpressung. Das hat sich seit dem Militärputsch nicht geändert.

"Die Armee hat jetzt viel mehr Material und Waffen als früher", meint Diarra. Trotzdem seien die Islamisten in den Dörfern des Niger-Binnendeltas immer noch präsent. "Da draußen im Busch bestimmen sie die Regeln", beklagt der Bauer. "Wenn wir uns ihnen nicht unterwerfen, fallen sie über uns her. Sie zwingen uns, die Zakat zu zahlen."

Die Zakat ist eine religiöse Pflichtabgabe für wohlhabende Muslime - die islamistischen Gruppen benutzen den Begriff für ihre Variante des Schutzgeldes. Laut Diarra verlangen sie einen Anteil von der Ernte und von den Rindern, Schafen oder Ziegen der Bevölkerung. "Wenn Du nicht zahlst, kannst Du das Dorf nicht verlassen, um Dein Feld zu bestellen oder Deine Herde weiden zu lassen - sie werden Dich auf jeden Fall angreifen."

Schlechte Ernten wegen der Klimakrise

Deshalb zahlen die Dorfbewohner laut Diarra und Coulibaly nun die sogenannte Zakat, um ihr Leben zu retten. Enttäuscht sind die beiden Bauern außerdem, weil auch die Militärs ihnen nicht geholfen haben, viele hundert Hektar Gemeindeland zurückzubekommen, das sich ein malischer Unternehmer schon 2010 angeeignet hat. Die Bewohner von Sanamadougou müssen seitdem Felder pachten, um überhaupt etwas anbauen zu können. Zudem sind die Ernten unter anderem infolge der Klimakrise nun häufig schlecht. Coulibaly und Diarra hoffen auf Unterstützung für ihr Dorf, sei es von der Militärregierung, sei es von den traditionellen, europäischen Partnern Malis.

Doch seit Ende 2022 dürfen französische Hilfsorganisationen nicht mehr im Land tätig sein, malische Organisationen dürfen französische Gelder nicht annehmen. Obwohl die anderen Europäer trotz aller Widrigkeiten weiterarbeiten, ist der Einschnitt spürbar. Hinzu kommt der Rückzug der USA aus der Entwicklungshilfe, der die Bevölkerung in vielen Bereichen hart trifft. Ökonomisch folgenreich ist auch der gemeinsame Ausstieg von Mali, Burkina Faso und Niger aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas zu Beginn dieses Jahres.

Alles ist teurer geworden, es gibt weniger Arbeit, die Regierung erhebt immer mehr Steuern und Abgaben - die Menschen stehen wirtschaftlich mit dem Rücken an der Wand. Hinzu kommt, dass auch Militärs und russische Söldner laut Menschenrechtsorganisationen und den Vereinten Nationen gravierende Verbrechen an der Zivilbevölkerung verüben.

Diarra und Coulibaly sind ratlos, wirken fast mutlos. "Die Armee macht bestimmt, was sie kann", sagt Diarra. Wirklich beurteilen könne er das nicht, er sei kein Militärexperte. "Wir hoffen bloß noch, dass der Krieg eines Tages vorbei ist."

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