Ohne funktionierende, eigenständige kommunale Strukturen hätte die Ukraine den russischen Überfällen nicht so viel Widerstandskraft entgegensetzen können. Sie könnte auch nicht im Krieg lebensnotwendige lokale Infrastruktur aufrechterhalten. Das ist eine zentrale Botschaft vom „Kyiv Dialogue“, den deutsche Stiftungen, die Organisation European Exchange und die International Renaissance Foundation in November in Berlin ausgerichtet haben.
Ukrainische Kommunen wurden dort als das Rückgrat der Resilienz des Landes gewürdigt. Der frühere Außenminister Dmytro Kuleva appellierte in einem Grußwort an Deutschland, gerade in Kriegszeiten, in denen viele staatliche Entscheidungen zentralisiert würden, die Partnerschaften mit ukrainischen Kommunen weiter auszubauen, insbesondere im Osten des Landes.
Zuständig für die Notversorgung
Auch die Rolle der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit der Ukraine kam auf den Prüfstand. Sie wurde in der Ukraine bereits vor dem Krieg geleistet, um die Annäherung an die Europäische Union zu fördern. Und drei Viertel des Regelwerks, zum Beispiel für Abwasserrecht oder Beschaffungswesen, füreinen späteren EU-Beitritt seien direkt oder indirekt auf lokaler Ebene umzusetzen, betonte die BMZ-Stabsleiterin Ukraine, Ulrike Hopp-Nishanka.
Doch in Kriegszeiten erweise sich als eine der wichtigsten Früchte der Dezentralisierung, dass Kommunen sich eigenständig um eine Notversorgung mit Strom, Wasser oder Medizin kümmern könnten, betonte Vitalii Lukov, der Vizebürgermeister der Stadt Mykolaiv im Süden des Landes. Dank Gemeindehelfern fänden Menschen in „Unbreakable“-Zentren Wasser, Wärme, Ärzte oder Strom fürs Handy. Nicht von ungefähr würden in Grenzregionen häufig Bürgermeister von russischen Kräften verschleppt, so Lukov – wie andere Kriegsverbrechen ein Versuch, das ukrainische Volk zu brechen. Doch seien zugleich mit internationalen Partnern vertrauensvolle und wirksame Strukturen der Zusammenarbeit entstanden, die auch gut gerüstet seien gegen Korruption.
Auch Städtepartnerschaften werden gefördert
Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan war zuletzt Ende Oktober in Kiew, um Zusagen für zivile Unterstützung zu erneuern. Die Stärkung der Kommunen soll dabei zu transparenten Regierungsstrukturen beitragen. Das BMZ hat seit Beginn des Angriffskriegs im Februar 2022 bis September 2025 rund 1,8 Milliarden Euro für die Widerstandskraft der Gesellschaft und den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt, darunter für die Gesundheits- und Energieversorgung und für Binnenvertriebene. Das Auswärtige Amt hat vor allem humanitäre Hilfe und Energienothilfe im Wert von 2,78 Milliarden Euro geleistet. Insgesamt gibt die Bundesregierung an, seit Kriegsbeginn bilaterale zivile Unterstützung von rund 36 Milliarden Euro und militärische Unterstützung von rund 40 Milliarden Euro bereitgestellt zu haben.
BMZ-Geld fließt nicht direkt an Kommunen in der Ukraine, sondern an deutsche Städte, an die Durchführungsorganisation GIZ oder an die Entwicklungsbank KfW; sie setzen Projekte um oder erbringen Sachleistungen wie Feuerwehrfahrzeuge oder Generatoren. Laut BMZ sind derzeit 256 deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften, vor allem von Städten, sowie 18 Partnerschaften von Betreibern wie Stadtwerken aktiv. Künftig soll dieses Potenzial stärker ausgeschöpft werden, heißt es aus dem Ministerium. Man rufe dazu auf, dass sich weitere Kommunen engagieren. So gebe es deutsch-französisch-polnische Städtepartnerschaften – dem sogenannten Weimarer Dreieck –, die sich um eine ukrainische Kommune erweitern könnten. „Dazu planen wir eine gemeinsame Initiative mit Frankreich und Polen“, so aus dem BMZ weiter.
Auch könnten Städtepartnerschaften stärker Gruppen der Zivilgesellschaft, Stiftungen und die lokale Wirtschaft einbeziehen. Solche Akteure bringe die Plattform Wiederaufbau zur Unterstützung ukrainischer Kommunen oder der Zivilgesellschaft zusammen. Wie in einem Puzzle könne man so etwa Finanzierungsbeiträge für den Wiederaufbau eines Krankenhauses von unterschiedlichen Geberregierungen, internationalen Organisationen und nichtstaatliche Stellen zusammenfügen.
Keimzelle eines demokratischen Wiederaufbaus
Ohne internationale Hilfe könnten Kommunen auch nicht Stromausfälle infolge der Bombardierungen der Netze von großen Betreibern auffangen. Deutschland spiele bei der Hilfe für den Aufbau einer dezentralen Notversorgung – etwa mit Solarpumpen für die Trinkwasserversorgung – eine Führungsrolle, betonten Teilnehmer der Konferenz in Berlin. Viele Kranken- und Pflegeeinrichtungen funktionierten dank solcher Solarlösungen, die nicht so leicht angegriffen würden. Die NGO Ecoclub, die mit Kommunen solche Projekte durchführt, hat Kapazitäten für einige Dutzend, aber hunderte Anfragen, berichtet ihr Koordinator Andrii Martynyuk. Aus solchen Notlösungen, die neben Reparaturen der fossilen Energie- und Wärmeversorgung gefördert werden, soll irgendwann eine nachhaltige grüne Energieversorgung entstehen, so die Hoffnung.
Die Kommunen klagen, sie würden von der ukrainischen Zentralregierung bei der Energiewende zu wenig unterstützt. Doch für den Wiederaufbau sei die lokale Ebene entscheidend. 1400 Kommunen und ihr Investitionsmanagement seien der institutionelle demokratische Kern für den Wiederaufbau, betonte Ihor Onishuk vom Polaris Programm für Regierungsführung auf allen Ebenen in der Ukraine. Sie hätten trotz Einschränkungen durch Kriegsrecht und Militärsteuern ihre finanzielle Autonomie zum Glück weitgehend bewahrt.
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