Kritische Stimmen unerwünscht?

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Im September protestieren Demonstranten in München gegen die Internationale Automobil-Ausstellung IAA und fordern mehr Engagement für einen guten öffentlichen Nahverkehr. Zuvor hatte die Stadt Fördermittel für Umweltorganisationen gestrichen, die während der IAA für das gleiche Anliegen werben wollten.
Eine-Welt-Arbeit
Angesichts von knappen Kassen und dem Rechtsruck in Gesellschaft und Politik gerät in Deutschland zivilgesellschaftliche Eine-Welt-Arbeit zunehmend unter Druck.

In vielen Kommunen haben sich über Jahrzehnte Eine-Welt-Foren und Eine-Welt-Netzwerke etabliert, die Themen wie fairer Handel oder globale Partnerschaften voranbringen wollen. Häufig herrscht zwischen ihnen und den Stadtverwaltungen ein partnerschaftliches Verhältnis. Viele Kommunen schätzen die Expertise der Engagierten. 

Das Nord-Süd-Forum in München etwa, ein Netzwerk von rund 60 Vereinen und Initiativen in der bayerischen Landeshauptstadt, sieht sich als Korrektiv in Fragen der globalen Verantwortung in der Kommune durchaus wertgeschätzt. Sachlich fundierte Kritik an städtischem Handeln sei möglich, sagt Raphael Thalhammer vom Nord-Süd-Forum. So habe man das Modell zur CO2-Kompensation der Stadt München grundsätzlich hinterfragt und zum Thema E-Mobilität Partner aus Peru eingeladen, um auf die Folgen der Ausbeutung von Rohstoffen dort, die für grüne Technologien gebraucht würden, hinzuweisen. „Wir halten der Kommune einen kritischen Spiegel vor“, sagt Thalhammer – und ergänzt: „Aber wird diese sich das auch in Zukunft noch leisten?“

Wie schnell Fördermittel für kritische Stimmen wegfallen, haben andere Gruppen in der Landeshauptstadt bereits erfahren müssen. Einer jährlich stattfindenden Friedenskonferenz hat das Kulturreferat seinen Zuschuss in Höhe von 5000 Euro im Jahr gestrichen, nachdem es zu Konflikten über die inhaltliche Ausrichtung der Konferenz und die Referenten gekommen war. Und zivilgesellschaftlichen Gruppen wie dem Bund Naturschutz, die während der Internationalen Automobilausstellung IAA im September für nachhaltige Mobilität werben wollten, strich das Mobilitätsreferat bereits vorgesehene Gelder in Höhe von 400.000 Euro. In den Jahren davor bestand in der Stadtpolitik noch Einigkeit, dass es während der IAA nicht nur ums Automobil gehen solle. „Diese Entwicklung macht mir große Sorgen“, sagt Thalhammer, obwohl das Nord-Süd-Forum in beiden Fällen nicht direkt betroffen ist. Es gebe zwar Sparzwänge, aber die Toleranz mit kritischen Stimmen habe nachgelassen in der Stadtpolitik. Im Netzwerk werde diese Entwicklung genau beobachtet und werfe viele Fragen auf. 

Das Verhältnis zum BMZ ist gut

„Die entwicklungspolitischen Landesnetzwerke sind gut beraten, sich auch aufgrund der politischen Situation finanziell breiter aufzustellen“, sagt Martin Weber, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Netzwerke in den Bundesländern (agl). „Noch ist die finanzielle Situation für unsere Arbeit relativ gut. Das kann sich aber ändern.“ Die Netzwerke werden sowohl von den Bundesländern als auch vom Entwicklungsministerium (BMZ) in Berlin gefördert. Das Verhältnis zwischen den Netzwerken und dem BMZ sei entspannt, sagt Weber. Angesichts nachlassender Akzeptanz für Entwicklungszusammenarbeit in der Bevölkerung sei das Ministerium froh über die entwicklungspolitische Arbeit der Initiativen im Inland. 

Stefanie Widholm vom Eine-Welt-Forum in Düsseldorf hält neben dem Rückgang von Fördermitteln vor allem die Skepsis gegenüber „der Bedeutung von weltgesellschaftlichem Zusammenhalt im Allgemeinen“ für besorgniserregend. Mit ihren Themen geraten Eine-Welt-Netzwerke gesellschaftlich und gegenüber Politikern zusehends in die Defensive, sagt Widholm. 

Dazu kommen gezielte Versuche der Diffamierung etwa der AfD und rechtskonservativer Publikationen wie „Nius“ und „Junge Freiheit“, die nichtstaatliche Organisationen und ihre Arbeit zu delegitimieren versuchen. So hat in Bremen die „Junge Freiheit“ im Oktober das Eine-Welt-Netzwerk zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen in der Stadt in einem Artikel über Kirchenasyl als Teil einer gut finanzierten „Migrationsindustrie“ diffamiert, obwohl das Netzwerk mit dem Kirchenasyl nichts zu tun hat. 

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Auch in Deutschland „geraten zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume zunehmend unter Druck“, schreibt die Organisation Lobbycontrol in einer im September erschienenen Studie. Autoritäre Tendenzen trügen dazu bei, „dass demokratische Werte an Bedeutung verlieren – etwa die Beteiligung der Zivilgesellschaft oder die Offenheit des Staats für Kritik“, heißt es darin. Wie in dem Beispiel aus Bremen versuchten Kreise aus dem rechtskonservativen und rechtsextremen Milieu, zum Teil aber auch aus demokratischen Parteien nichtstaatliche Organisationen mit falschen Anschuldigungen etwa beim Umgang mit Fördergeldern zu delegitimieren.

Die Arbeit sei vor diesem Hintergrund schwieriger geworden, sagt Martin Weber von der agl. Die Netzwerke wollten mit ihrer Arbeit der Spaltung der Gesellschaft begegnen und „mit aller Kraft Brücken zu allen demokratischen Institutionen und Organisationen“ bauen. 

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