Die Europäische Union (EU) hat das 2024 beschlossene Lieferkettengesetz bis zur Wirkungslosigkeit abgeschwächt. Nach dem EU-Parlament, wo die vom CSU-Politiker Manfred Weber geführte EVP-Fraktion Mitte November zusammen mit Rechtsaußen-Parteien für die Entkernung gestimmt hat, hat nun auch der Rat der Mitgliedstaaten zugestimmt.
Das 2024 beschlossene Gesetz sollte größere Unternehmen verpflichten, darauf zu achten, dass ihre Zulieferfirmen im Ausland grundlegende Menschen- und Arbeitnehmerrechte einhalten, und dies nachzuweisen. Unternehmensverbände prangern das als weitere, überzogene bürokratische Belastung an. Nun sollen die Pflichten nur noch für wenige sehr große Firmen ab 5000 Mitarbeitern und mit 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz gelten, und auch die sollen Geschädigte nicht mehr für klare Verstöße haftbar machen können.
Gerade jetzt sind wirksame Regeln nötig
Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen wie Misereor und Brot für die Welt sind darüber zu Recht empört. Die Risiken, dass Vorprodukte europäischer Firmen etwa mit Ausbeutung, Giftbelastung oder Kinder- und Zwangsarbeit entstehen, besonders in manchen Entwicklungsländern, sind bekannt und unbestreitbar. Sie absichtlich auszublenden, ist keine akzeptable Art der Wirtschaftsförderung. Gerade jetzt, in Zeiten eines neuen Wettlaufs um Rohstoffe aus dem Süden und verschärfter globaler Konkurrenz, sind wirksame Schritte zum Schutz der Schwachen und der Umwelt in globalen Lieferketten besonders nötig. Sie möglichst wenig aufwändig zu gestalten, ist sinnvoll, solange sie wirksam bleiben. Die EU aber macht sie weitgehend unwirksam.
Das liegt im Trend. Unter dem Vorwand der Entbürokratisierung fordern europäische Politiker immer lauter, Regeln und Vorgaben für Unternehmen zu lockern oder abzuschaffen, auch zum Beispiel Umweltauflagen. Das freut manche Firmen kurzfristig, geht aber an den Problemen der europäischen Wirtschaft völlig vorbei. So haben dem auf Exporte und große Verbrenner-Autos fixierten deutschen „Erfolgsmodell“ nicht EU-Auflagen die Grundlage entzogen, sondern, man erinnere sich an den Dieselskandal, die Missachtung solcher Auflagen, womit man die Elektrifizierung vertagen konnte. Es folgten die Konkurrenz aus Fernost, das Ende der billigen russischen Gaslieferungen und zuletzt die Zollpolitik von Donald Trump.
Neuer Kniefall vor der US-Regierung
Hinzu kommt: Mit der Entkernung des Lieferkettengesetzes macht die EU vor der US-Regierung einen weiteren Kniefall. Laut SOMO, einer Rechercheorganisation zu multinationalen Konzernen, hat der US-amerikanische Ölkonzern ExxonMobil großen Einfluss auf die Entscheidung genommen. Zum einen mit einer aggressiven Lobbykampagne gegenüber EU-Gremien samt der Drohung, Europa von geplanten Milliardeninvestitionen auszuschließen. Zum anderen aber hat der Konzern laut SOMO Anfang 2025 erreicht, dass die US-Regierung ExxonMobils wichtigste Einwände gegen das EU-Lieferkettengesetz zum Bestandteil ihrer Verhandlungen mit Brüssel über Zölle und Handelsfragen machte. Die EU hat sich dann in der Einigung mit den USA vom August 2025 verpflichtet, mindestens drei dieser Forderungen nachzukommen, darunter, zivilrechtliche Klagemöglichkeit abzuschaffen.
Wie groß der US-Einfluss auf die Entscheidung der EU war, ist zwar kaum zweifelsfrei nachzuweisen. Aber es ist klar, dass die US-Regierung mit den Spitzen ihrer heimischen Energie- und IT-Konzerne verbandelt ist und aggressiv die Abschaffung von europäischen Gesetzen und Regeln fordert, die den Geschäften dieser Konzerne irgendwelche Grenzen setzen. So steht in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA ausdrücklich: „Wir wollen, dass Europa … seinen verfehlten Fokus auf erstickende Regulierung aufgibt“.
Man kann also getrost davon ausgehen, dass in Washington nach der Entkernung des EU-Lieferkettengesetzes Champagnerkorken geknallt haben. Die Teile der US-Regierung, die Europa ihre Regeln aufzwingen wollen, Vizepräsident J.D. Vance an vorderster Front, werden jetzt die Angriffe auf EU-Gesetze für Datenschutz und digitale Dienste verstärken. Mit dem Beschluss zum Lieferkettengesetz lädt die EU dazu geradezu ein. Dabei hätte sie Mittel, sich zu wehren. Doch Menschenrechte und Nachhaltigkeit im eigenen Geschäft sind großen Teilen der politischen und ökonomischen Führungsgruppen dafür wohl nicht wichtig genug.
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