„Reinweg ideologisch“

Im Oktober soll der Europäische Rat sich mit den Argumenten für oder gegen eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte befassen. Die Europäische Kommission ist uneins, ebenso die Regierungen der EU-Mitglieder.

Im Juni hatten die EU-Regierungen bei ihrem Gipfeltreffen die EU-Kommission aufgefordert, die Modalitäten einer Finanztransaktionssteuer „weiter zu erforschen“. Heraus kam ein so genanntes „Non-Paper“, das die Kommission den EU-Finanzministern zu ihrer Ratssitzung Anfang September vorgelegt hat. Steuer-Kommissar Algirdas Semeta behauptete zwar, er – und somit die Kommission – sei weder für noch gegen diese Steuer, doch das „Nicht-Papier“ enthält nur Gegenargumente. Das NGO-Netzwerk Eurostep beurteilte es deshalb als „reinweg ideologisch“. Zudem herrscht in der Kommission keineswegs Einigkeit. Im April hatten Enwicklungskommissar Andries Piebalgs und der Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn, die Finanzsteuer in einem gemeinsamen Gutachten befürwortet. Der für Finanzdienstleistungen und Binnenmarkt zuständige Kommissar Michel Barnier ist ebenfalls mehrmals offen dafür eingetreten.

Autor

Heimo Claasen

ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".

Auch die Regierungen der EU-Länder sind nicht einer Meinung. Überraschend rau fiel die Ablehnung des schwedischen Finanzministers Anders Borg aus: „Wir wollen keine neue Transaktionssteuer sehen!“ rief er eingangs des Ministerrats am 7. September.

Weniger überraschend rückte der neue britische Schatzkanzler Georges Osborne von der vorsichtigen Befürwortung der Steuer des früheren Labour-Premiers Gordon Brown ab – freilich mit der ausweichenden Begründung, dass die Erhebung außerhalb der EU „sehr schwierig“ sei. Dabei sitzt die größte Abrechnungsstelle für Finanzgeschäfte in London; über sie laufen auch die Geschäfte außerhalb der Börse (over the counter, OTC), die neun Zehntel der spekulativen Derivate-Geschäfte ausmachen, auf die die Steuer vor allem zielt. Zudem läuft jede einzelne Zahlung über die internationale Banken-Weiche SWIFT mit Sitz in Belgien, gleich an der Einfallstraße zum Brüsseler EU-Viertel. Erst vor kurzem hat die EU mit der US-Regierung den Zugriff auf diese Daten vereinbart.

Deutliche Zustimmung für eine Finanzmarktsteuer kam von den Finanzministern Frankreichs, Österreichs, Belgiens und, wenn auch vorsichtig, Deutschlands: Für Wolfgang Schäuble gibt es „keine Sicherheit, aber durchaus eine Chance“ für ihren Einsatz. Im Oktober soll die Kommission die Angelegenheit dem Europäischen Rat vorlegen.  Die Steuer ist ohnehin zur Chefsache geworden.

 

erschienen in Ausgabe 10 / 2010: Artenvielfalt: Vom Wert der Natur
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