Explosive Mischung

Zwei Konflikte prägen die Region um den Persischen Golf: Saudi-Arabien, der Iran und der Irak streiten um die Vormachtstellung; und Israelis und Palästinenser kämpfen um ihr Territorium. Hinzu kommen innenpolitische Spannungen, weil die überwiegend autoritären Regime keine Reformen zulassen. Aufgrund ihres Öl- und Gasreichtums spielt die Region eine wichtige Rolle für die Weltpolitik. Doch die Versuche auswärtiger Mächte wie den USA, Einfluss auf die Konflikte zu nehmen, haben die Probleme eher verschärft.

Von Guido Steinberg

Der Nahe Osten ist neben Südasien (Pakistan, Indien, Afghanistan) und Ostasien (Nordkorea) die wichtigste und gefährlichste Konfliktregion der Welt. Die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung und der Konflikt um die Vorherrschaft am Persischen Golf prägen die Regionalpolitik. Hinzu kommen gesellschaftliche Spannungen, die in erster Linie auf die Politik autoritärer Regime zurückgehen, die keinerlei Neigung zeigen, dringend nötige politische Reformen anzugehen. Diese Regime mögen zwar oberflächlich stabil erscheinen, sind aber im Grunde schwach. Immer wieder geraten Staaten der Region deshalb in Gefahr, auseinanderzufallen.

Auswärtige Mächte verschärfen die Probleme. Die USA haben mit der Intervention im Irak 2003 das Land bis an den Zusammenbruch geführt und die Situation nur mit äußerster Mühe und unter großen Opfern unter Kontrolle gebracht. Auch infolge dieser wohl katastrophalsten Fehlleistung der US-amerikanischen Politik der vergangenen Jahrzehnte schickt sich nun der Iran an, im Nahen Osten eine Führungsrolle zu übernehmen.

In Deutschland herrscht die Ansicht vor, die israelisch-palästinensische oder israelisch-arabische Auseinandersetzung sei der „Schlüsselkonflikt“ in der Region. Dabei hat die Konkurrenz zwischen dem Irak, Iran und Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in der Golfregion seit den 1970er Jahren schnell an Bedeutung gewonnen und dürfte für die Weltpolitik zumindest ebenso wichtig sein wie der eigentliche Nahostkonflikt.

Beim israelisch-arabischen Konflikt handelt es sich im Kern um einen Streit über das Territorium des historischen Palästina zwischen Israel und den Palästinensern. Im Verlauf mehrerer Kriege haben sich die Israelis durchgesetzt. Große Teile der palästinensischen Bevölkerung sind geflohen oder wurden vertrieben, die Übrigen blieben auf israelischem Territorium oder in von Israel besetztem Gebiet zurück. Die heutige Konstellation wird vor allem von den Ergebnissen des Sechstagekrieges im Juni 1967 bestimmt. Damals eroberte die israelische Armee den ägyptischen Sinai, den Gazastreifen, das Westjor­danland einschließlich Ost-Jerusalems und die syrischen Golanhöhen. Den Sinai gab Israel nach dem 1979 mit Ägypten geschlossenen Frieden an Kairo zurück, hielt die Besetzung des Gazastreifens und der Westbank aufrecht und annektierte den Golan und Ost-Jerusalem.

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes kam Bewegung in die festgefahrenen Fronten. Im ersten Oslo-Abkommen von 1993 erkannten sich Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO gegenseitig an und einigten sich darauf, eine Zwei-Staaten-Lösung anzustreben. Als ersten Schritt durften die Palästinenser die Verwaltung des Gazastreifens und eines kleinen Teils der Westbank übernehmen. Allerdings gab es nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin 1995 keine substantiellen Fortschritte mehr. Auch in den 2000 vom amerikanischen Präsidenten Bill Clinton vermittelten Verhandlungen lagen die Positionen der Parteien zu weit auseinander. Im September 2000 begann die zweite Intifada der Palästinenser, die schnell in einen bewaffneten Aufstand gegen die Besatzungsmacht und eine brutale Terrorkampagne gegen zivile israelische Ziele umschlug.

 

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Die israelische Regierung argumentierte seit dem Jahr 2000, dass es auf der palästinensischen Seite keinen Partner für einen Friedensprozess gebe, und setzte auf unilaterale Maßnahmen. Auf den einseitigen Rückzug aus dem Südlibanon im Mai 2000 folgte der Abzug von Siedlern und Militär aus dem Gazastreifen im August 2005. Doch zeigte sich schnell, dass auch dieser Ansatz Israel nicht mehr, sondern weniger Sicherheit brachte: Die libanesische Hisbollah, eine schiitische Partei mit eigener Miliz, und die palästinensische Hamas, der islamistisch ausgerichtete Konkurrent der PLO unter den Palästinensern, interpretierten die Rückzüge als Eingeständnis von Schwäche und setzten nun erst recht auf den bewaffneten Kampf. Der Krieg im Sommer 2006 zwischen der Hisbollah und Israel sowie die israelische Militärintervention im Gazastreifen im Dezember 2008 waren die Folge.

Die militärische Eskalation schärfte jedoch in den USA das Bewusstsein, dass eine Lösung des Konfliktes immer notwendiger wird. Die Regierung Obama brachte die beiden Konfliktparteien im September 2010 wieder an den Verhandlungstisch. Das Beharren der Regierung von Benjamin Netanjahu auf einer Fortsetzung der bisherigen Siedlungspolitik und die Schwäche des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und seiner Fatah, der bei weitem stärksten PLO-Fraktion, machen jedoch eine Lösung sehr unwahrscheinlich.

Die Konflikte in der Golfregion haben jedoch seit den 1970er Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Region über die weltweit größten Reserven an Öl und Gas verfügt und diese künftig noch wichtiger als heute werden, weil Öl und Gas in anderen Lagerstätten schneller zur Neige gehen. Deshalb wuchs erstens das Interesse der Weltpolitik an der Region stetig. Zweitens gewannen große ölexportierende Staaten wie der Irak, der Iran und Saudi-Arabien an wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gewicht und traten immer deutlicher in Konkurrenz um eine regionale Vormachtstellung. Seit der Islamischen Revolution im Iran entbrannte dieser Konflikt in aller Schärfe.

Aufgrund der geostrategischen Bedeutung der Golfregion entwickelten die USA ein stetig wachsendes Interesse an den dortigen Entwicklungen. Dies zeigte sich einer breiteren Öffentlichkeit erstmals 1990, als eine multinationale Koalition unter der Führung der USA das von irakischen Truppen besetzte Kuwait befreite. Seitdem sind die USA in der Golfregion ohne Unterbrechung militärisch präsent geblieben. Im Jahr 2003 gaben sie alle Zurückhaltung auf, marschierten in den Irak ein und stürzten das Regime von Saddam Hussein.

Zwar hatte die US-Regierung zunächst offenbar keine längere Militärpräsenz im Irak geplant. Sie sah sich aber gezwungen, selbst Verantwortung zu übernehmen, als es nicht gelang, rasch eine handlungsfähige Regierung einzusetzen. Zudem brach im Sommer 2003 ein Aufstand sunnitischer Gruppierungen aus, der ab 2005 in einen konfessionellen Bürgerkrieg mündete. Es gelang der US-Regierung erst mit einer Aufstockung der amerikanischen Truppen 2007 und einer neuen Aufstandsbekämpfungsstrategie, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Regierung Obama nutzte die Beruhigung der Lage im Irak, um ihr Wahlkampfversprechen wahrzumachen und den Krieg zu beenden: Bereits kurz nach seinem Amtsantritt verkündete Präsident Obama im Februar 2009, dass die USA alle Kampftruppen bis Ende August 2010 und die restlichen Einheiten bis spätestens Ende 2011 aus dem Irak abziehen.

 Infolge des beginnenden Rückzugs wurde die regionale Dimension der Auseinandersetzungen im Laufe des Jahres 2010 wieder deutlicher. Das wohl wichtigste regionalpolitische Ergebnis des Irak-Krieges war die Stärkung der iranischen Position. Mit dem Regime Saddam Husseins fiel 2003 der bis dahin mächtigste Gegner Teherans aus. Die iranische Führung nutzte die Gelegenheit, ihren Einfluss auf die irakische Innenpolitik auszubauen. Immer häufiger versucht Teheran darüber hinaus, auf die Ereignisse im Libanon und in den palästinensischen Gebieten einzuwirken. Dabei zeigt sich immer deutlicher, dass Saudi-Arabien der wichtigste regionale Gegenspieler der Iraner ist.

Paradoxerweise stand am Anfang des Irak-Krieges eine korrekte Analyse: Die Regierung Bush hatte erkannt, dass die Anschläge des 11. September 2001 auf die innenpolitischen Verhältnisse in Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten zurückzuführen waren. Die autoritären Regime dort unterdrückten ihre Opposition, so dass diese in Gestalt von militanten islamistischen Gruppen zur Gewalt griff und nicht nur den eigenen Staat, sondern auch dessen wichtigsten Verbündeten – die USA – angriff. George Bush und seine Mitstreiter zogen daraus jedoch den reichlich absurden Schluss, dass sie nur im Irak eine Musterdemokratie errichten müssten, die dann auf die anderen Staaten der Region ausstrahlen würde.

Zunächst zeigten die Verbündeten in Riad und Kairo unter dem Druck der US-Regierung tatsächlich Reformbereitschaft. Als sich die Lage im Irak jedoch 2005 rapide verschlechterte und der Iran immer mehr Einfluss gewann, änderte die US-Regierung ihren Umgang mit den alten Verbündeten. Statt auf Demokratisierungsrhetorik setzte sie nun auf die Bekräftigung des Bündnisses mit „moderaten“, also prowestlichen Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien. Seitdem ist ein Prozess der autoritären Konsolidierung zu beobachten. Dabei ist die Verkrustung der politischen Systeme tatsächlich das wichtigste innenpolitische Problem der gesamten Region und müsste dringend aufgebrochen werden. Bis auf Israel und den Libanon werden alle Staaten der Region autoritär regiert. Die Menschen leiden fast überall schwer unter der grassierenden Korruption und der Misswirtschaft häufig überforderter politischer Eliten.

In politischen Systemen, in denen die Macht von nur wenigen Personen ausgeübt wird, kommt zudem der Nachfolge des Herrschers eine besondere Bedeutung zu. So lähmt seit einigen Jahren die ungeregelte Nachfolge des Präsidenten Mubarak (geboren 1928) das politische Leben in Ägypten. In Saudi-Arabien steht bald die Nachfolge des greisen König Abdullah (geboren 1924) an, die die politischen Debatten im Land beherrscht. Im Jemen wird die Nachfolge des Präsidenten Ali Abdallah Salihs, in Irakisch-Kurdistan die des Präsidenten Masud Barzani und des PUK-Führers (und irakischen Präsidenten) Jalal Talabani und innerhalb der PLO die des Präsidenten Mahmud Abbas diskutiert.

Diese Situation gefährdet auch die Stabilität der Regime und Staaten. Obwohl sie eine gewisse Beharrungskraft gezeigt haben, provozieren autoritäre Regime immer wieder den Widerstand zumindest einzelner Bevölkerungsteile. Zwar sind die Oppositionsbewegungen meist machtlos, doch sind sie bereit, jedes Anzeichen von Schwäche der Regierung für einen Umsturz zu nutzen. Konflikte über die Nachfolge des Herrschers können vor allem dann bedrohlich werden, wenn sie mit außenpolitischen, wirtschaftlichen oder auch ökologischen Krisen zusammenfallen. Unter der Bevölkerung in Saudi-Arabien, Ägypten und im Jemen ist die Furcht vor solchen Krisenszenarien heute besonders groß.

Die weit verbreitete Furcht vor dem Zusammenbruch von Regimen und Staaten wird von den Erfahrungen der vergangenen Jahre genährt. Insbesondere der Irak, wo es den US-Truppen nicht gelang, das Abgleiten in einen Bürgerkrieg zwischen sunnitischen Aufständischen und schiitischen Milizen zu verhindern, gilt den Menschen in der Region als gefährliches Beispiel. Tatsächlich sind die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten in den vergangenen Jahren größer geworden. Die Regierungen der Staaten, in denen wie im Libanon, in Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten große schiitische Gemeinschaften leben, fürchten die zunehmende politische Mobilisierung dieser Gruppen. Gefahren drohen insbesondere dort, wo, wie in Saudi-Arabien, Schiiten brutal diskriminiert werden.

Neben dem Irak standen in den zurückliegenden Jahren mehrere andere Länder und Regime  kurz vor dem Zusammenbruch. In der libanesischen Hauptstadt Beirut kam es im Mai 2008 zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen Anhängern der von der Hisbollah angeführten Opposition und der Regierung. In den palästinensischen Gebieten brachen im Juni 2007 Kämpfe zwischen der islamistischen Hamas und der Fatah des Präsidenten Abbas aus, in deren Folge die Hamas die Macht im Gaza-Streifen übernahm. Die Gefahr einer militärischen Eskalation und weiteren Schwächung staatlicher beziehungsweise quasi-staatlicher Strukturen  besteht im Libanon ebenso wie in den palästinensischen Gebieten fort.

Der wohl erste Kandidat für einen Staatszerfall jedoch ist der Jemen. Hier gelingt es der Zentralregierung aufgrund von Finanzproblemen immer weniger, die mächtigen Stämme im Land zu kontrollieren. Zudem hat sie mit drei Krisenherden zu kämpfen: Im Norden herrscht seit 2004 ein immer wieder aufbrechender Bürgerkrieg zwischen der Zentralregierung und Rebellen, die der schiitischen Glaubensrichtung des Zaidismus folgen. Im Süden fordert eine stetig erstarkende separatistische Bewegung die Wiederherstellung eines von Sanaa unabhängigen südjemenitischen Staates. Und schließlich verübt die örtliche al-Qaida seit 2007 immer häufiger aufsehenerregende Anschläge. Es ist nicht abzusehen, wie die Regierung alle diese Probleme in den kommenden Jahren in den Griff bekommen soll. Die Ölproduktion geht jetzt schon stetig zurück und dürfte in einem Jahrzehnt völlig versiegen.

Bisher konnten auswärtige Akteure nur wenig zur Lösung der Probleme in der Region beitragen. Eher im Gegenteil haben die USA durch ihre Interventionen die Konflikte am Golf eskalieren lassen. Insbesondere der Krieg im Irak seit 2003 hat das regionale Gleichgewicht empfindlich gestört und zum Aufstieg des Iran beigetragen. Teheran schickt sich mithilfe seines Atomprogramms – von dem die Menschen in der Region zu Recht überzeugt sind, dass es militärischen Zwecken dient – an, eine regionale Führungsposition einzunehmen. Seit Jahren bereits wirkt es immer intensiver auf das politische Geschehen im Arabischen Osten ein. Dass es den USA nicht gelang, nach dem militärischen Sieg über die Truppen Saddam Husseins auch die Aufständischen im Irak unter Kontrolle zu bringen, zeigte den Gegnern der USA deren Schwächen im Kampf gegen Guerillaeinheiten auf.

Dieser Eindruck wurde trotz der amerikanischen Erfolge ab 2007 vom damals schon eskalierenden Konflikt mit den Taliban in Afghanistan noch verstärkt. Vor allem die iranische Führung zog aus den Problemen der USA den Schluss, dass diese geschwächt und unentschlossen seien und deshalb nicht in der Lage, militärisch gegen ihr Atomprogramm vorzugehen. Alle Verhandlungen mit dem Iran verliefen im Sande und Teheran schlug auch 2009 die „ausgestreckte Hand“ von Präsident Obama aus. Vielmehr untermauerte Präsident Mahmud Ahmadinedschad den regionalen Führungsanspruch immer wieder mit heftigen antiisraelischen und antiamerikanischen Tiraden.

Die US-Regierung hat dem iranischen Hegemonialstreben ein erneuertes Bündnis unter der Führung Saudi-Arabiens und Ägyptens entgegengesetzt. Zum einen hat die US-Regierung umfangreiche Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien, den VAE und anderen Golfstaaten angekündigt, die der Abschreckung des Iran und der Beruhigung der Partner dienen sollen. Zum anderen versucht sie, mit einer Wiederbelebung der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern regionale Spannungen abzubauen. Während eine neue amerikanische Eindämmungsstrategie erst langsam Gestalt annimmt, liegt die Lösung des Nahostkonfliktes jedoch in weiter Ferne. Vielmehr deutet sich bereits heute eine neue Runde im Ringen um die Vorherrschaft im Nahen Osten an.

 

Guido Steinberg ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

 

erschienen in Ausgabe 11 / 2010: Arabische Welt: Umworben und umkämpft
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