Jetzt sind wir die Dinosaurier

Klimaschutz
Das Klima zu schützen, gehört für Missionswerke und kirchliche Hilfswerke untrennbar zur Armutsbekämpfung. Bremsen die Partner im globalen Süden oder fordern sie mehr Tempo?

An dieses Treffen denkt Sabine Minninger gerne zurück. Die Klima-Expertin von Brot für die Welt hatte vor der Weltklimakonferenz von Paris im November 2015 Partner aus dem Tschad und aus Fidschi nach Deutschland eingeladen. Sie diskutierten mit Vertretern der Bundesregierung über Anpassung an den Klimawandel sowie Ausgleichszahlungen für Verluste und Schäden. Dabei brachten sie ihr Unverständnis, dass Deutschland nicht längst aus der Kohle ausgestiegen ist, sehr deutlich zum Ausdruck: „scheinheilig“ sei das – und sprangen damit dem evangelischen Hilfswerk in seiner Lobbyarbeit zur deutschen Klimapolitik bei.

Das Blatt hat sich gewendet: Längst gehen Länder wie der Tschad, Fidschi, aber auch Tansania und Bangladesch beim Klimaschutz voran, während Industriestaaten wie Deutschland als „Dinosaurier“ gelten, sagt Minninger, die sich diesen Vorwurf in Gesprächen mit Partnern schon einmal gefallen lassen muss. Selbst die Schwellenländer Indien und China haben sich angesichts der wachsenden Umwelt- und Luftverschmutzung im Pariser Klimaabkommen zu CO2-Minderungszielen durchgerungen. Auf politischer Ebene, sagt Minninger, „ist die Nord-Süd-Wand aufgeweicht“. Der Süden bestehe nicht mehr darauf, dass die im Klima-Rahmenabkommen von 1992 festgelegte „gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung“ vor allem den Industrieländern Pflichten im Klimaschutz zuweise.

Widerstand gegen unbegrenztes Wachstum, der Kampf gegen die Armut und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen: Missions- und kirchliche Hilfswerke wollen mit ihrer politischen Lobby- und ihrer Projektarbeit eine sozial- und umweltverträgliche Entwicklung befördern, wie sie auch die Vereinten Nationen in den 17 Nachhaltigkeitszielen ihrer Agenda 2030 festgelegt haben. Wenn es um die Anpassung an den Klimawandel und die Reduzierung von Treibhausgasen geht, sind sie sich mit ihren Partnern weitgehend einig, wie Kathrin Schroeder von Misereor bestätigt.

Keine Energie um jeden Preis

Das katholische Hilfswerk hat gerade in sechs Ländern, darunter der Demokratischen Republik Kongo, Südafrika und den Philippinen, zivilgesellschaftliche Organisationen zu Workshops eingeladen. Darin wurden Perspektiven für Energiesysteme der Zukunft erarbeitet, die die planetarischen Grenzen respektieren und für die Ärmsten erschwinglich sind. Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen in den Ländern habe es Übereinstimmungen gegeben, sagt Schroeder. „Die Partner wollen keine Energie um jeden Preis, sie fordern einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern“ – eine Position, die auch Misereor vertritt. Im Schwellenland Südafrika führten sie derzeit einen „harten Kampf“ gegen die Kohleindustrie und die Pläne der Regierung zum Ausbau der Kernkraft.

Mit den neun Partnerkirchen in Indonesien führe man in Umwelt- und Klimafragen einen „sehr konstruktiven Dialog“, sagt der zuständige Referent derEvangelischen Mission in Solidarität (EMS), Hans Heinrich. Sie sähen es als ihre Pflicht, die Schöpfung zu bewahren. Eine „Vorwurfshaltung“ gegenüber den Kirchen aus dem Norden habe er nie erlebt. „Wir überlegen, was wir gemeinsam gegen Umweltverschmutzung und Naturzerstörung tun können.“ Dazu zählten Aufforstungsprogramme auf Sulawesi oder Projekte zum Sammeln und Verwerten von Müll auf der Urlaubsinsel Bali – aber auch die kritische Auseinandersetzung damit, was die Kirchen in Deutschland tun, um weniger Energie zu verbrauchen.

Doch wie steht es mit dem individuellen Beitrag zum Klimaschutz, der einen Verzicht auf Wachstum und Konsum bedeuten könnte? Dieses Bewusstsein sei etwa in der Mittelschicht der Philippinen „noch nicht so ausgeprägt“, hat Schroeder beobachtet. Die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus,„Laudato sí“, habe allerdings in den dortigen Kirchengemeinden eine lebhafte Debatte angeregt, setzt sie hinzu.

Lebensstilfragen: Unterschiede zwischen Nord und Süd

Sabine Minninger von Brot für die Welt sieht in Fragen des Lebensstils deutliche Unterschiede zwischen Nord und Süd. Besonders heikel ist für sie das Thema Ernährung: Den Veganismus als klimafreundliche Ernährungsform zu propagieren, sei eine „pure Beleidigung für viele Afrikaner“. Darüber diskutiere sie in deutschen Kirchengemeinden, aber nicht bei Partnerbesuchen in Afrika. Hans Heinrich von der EMS sieht in Indonesien Parallelen zur deutschen Gesellschaft: Einzelne Gruppen debattierten über eine gesunde Ernährung, aber für die meisten sei etwa der Fleischkonsum „kein Thema“. Das Bewusstsein für die Luftverschmutzung durch den wachsenden Verkehr sei durchaus vorhanden. Doch nähmen viele das in Kauf, um selbst daran teilhaben zu können.
 
Über nötige globale Veränderungen hat Misereor mit seinen Süd-Partnern einen dreijährigen Dialogprozess geführt. Das westliche Modell von Entwicklung mit seiner stark ökonomischen Ausrichtung sei durchweg kritisch gesehen worden, sagt Georg Stoll, der den Prozess begleitet hat. Das Modell werde für die wachsende soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung verantwortlich gemacht.  Dennoch hielten viele Partner Wachstum in ihrem Land für notwendig, um Ressourcen gerecht zu verteilen und Korruption und Cliquenwirtschaft auszurotten, ergänzt Stoll. Johannes Grün von Brot für die Welt bestätigt diese Beobachtung: Bei Entwicklung gehe es den Partnern nicht um „Wachstum als Selbstzweck“. Vielmehr wollten sie die Lebensumstände verbessern und durch gerechtere Produktions- und Handelsstrukturen mehr Widerstandskraft gegen Armut aufbauen.

Brot für die Welt hat für gemeinsame Strategiedebatten 2014 eine sogenannte Global Reference Group eingerichtet. Darin tauschen sich zehn Vertreterinnen und Vertreter von Partnerorganisationen aus allen Kontinenten einmal im Jahr mit der Leitung des Hilfswerkes aus. Im vergangenen Jahr haben sie einen Entwurf für eine lebenszentrierte Ethik als „neues Paradigma“ für die Arbeit vorgelegt, in dem sie unter anderem den Respekt vor der Natur als „gleichberechtigten Partner“ der Menschen hervorheben. Sie dürfe nicht als reines „Objekt wirtschaftlicher Aktivitäten“ betrachtet werden. Die Gruppe schlägt vor, die Partner im Süden besser miteinander zu vernetzen und ihre Stimmen noch stärker in die Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Bundesregierung einzubringen. 

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Kirchliche Partner spielen in ärmeren Ländern beim Klimaschutz eine wichtige Rolle – mit ihren Gemeinden sind sie an vielen Orten präsent, Pfarrer und Bischöfe werden als Autoritäten ernst genommen. Sabine Minninger von Brot für die Welt verweist auf Bangladesch: In dem Land, in dem die Menschen weltweit mit am meisten unter häufigen Wetterextremen leiden, macht sich die Christliche Kommission für Entwicklung (CCDB) für den Ausbau erneuerbarer Energien stark. Sie hat ein Klimazentrum eingerichtet, in dem sie dazu Trainings und Workshops anbietet.

Ein weiteres Beispiel: Der Kirchenrat von Tansania ist über seinen Klimabeauftragten Mitglied im Climate Action Network Tanzania und setzt sich für eine Energiewende des Landes weg von Kohle und Holz ein. Und liefert zugleich mit seinen Projekten ein Beispiel dafür, wie Klimaschutz und der Kampf gegen Armut Hand in Hand gehen können: Die Elektrifizierung mit Hilfe netzunabhängiger Solarmodule habe vor allem ländlichen Regionen einen „enormen Entwicklungsschub“ beschert, sagt Sabine Minninger. Besonders glücklich sind darüber die Frauen: keine zeitraubende Beschaffung von Feuerholz mehr, bei der sie Gefahr liefen, überfallen und vergewaltigt zu werden.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2017: Religion und Umwelt
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