Mal zu wenig, mal zu viel Wasser

Peru
In den Städten Lima und La Paz in Peru und Bolivien hängt die Wasserversorgung vom Niederschlag ab – und der wird zunehmend unberechenbar. Doch die Probleme erklären sich nicht einfach durch den Klimawandel.

Ende 2016 und Anfang 2017 saßen die Menschen in Lima und in La Paz buchstäblich auf dem Trockenen. Obwohl zwischen den beiden Orten 1700 Kilometer und 4000 Meter Höhenunterschied liegen, machten beiden Hauptstädten die Regenfälle zu schaffen: In La Paz regnete es zu wenig, in den Bergen von Lima zu viel. Beides wirkte sich verheerend aus auf die Stadtbewohner. Und beide Fälle haben mit der Erderwärmung wenig zu tun.

„Drei bis vier Tage lang kam kein Wasser aus der Leitung, und wenn es kam, wussten wir nicht wann. Und es kam nur eine braune Brühe“, erzählt Moira Zuazo. Die bolivianische Politikwissenschaftlerin lebte in La Paz, als der Stadt das Wasser ausging. Ende November 2016 waren die Speicherbecken leer; seit zwei Monaten hatte es nicht geregnet. Das hatte es in La Paz seit Jahrzehnten nicht gegeben. Betroffen waren vor allem die Bewohner im wohlhabenden Süden der Stadt. Die größere Zwillingsstadt El Alto dagegen versorgte sich mit Wasser aus einem anderen Speichersee, der noch Wasser hatte. Die Menschen in La Paz gingen auf die Straße und protestierten gegen Präsident Evo Morales. Der gab dem Klimawandel die Schuld. Wie ein Erdbeben sei die Trockenheit unerwartet über sie gekommen, sagte Morales am 23. November 2016, als er den Notfallplan vorstellte.

Dass sich die Erde erwärmt, leugnet niemand in La Paz. Die Stadt ist von mit Schnee und Eis bedeckten 5000 und 6000 Meter hohen Bergen umgeben. Doch die weißen Gipfel werden weniger. Das sichtbarste Zeichen für den Klimawandel ist das Schrumpfen der Gletscher, die La Paz umgeben. „Zwischen 1963 und 2006 ist die Gletscherfläche um La Paz um die Hälfte geschrumpft“, sagt der Gletscherforscher Alvaro Soruco von der staatlichen San-Andres-Universität in La Paz. Und seitdem, schätzt er, ist noch mal die Hälfte der Gletscher verschwunden. Auf dem Chacaltaya, einst als weltweit höchstgelegene Skistation Boliviens ganzer Stolz, hat sich schon seit Jahren niemand mehr die Bretter unter die Füße geschnallt.

Autorin

Hildegard Willer

ist freie Journalistin und lebt in Lima (Peru).
Dennoch haben all jene Unrecht, die behaupten, der Klimawandel beziehungsweise die Gletscherschmelze sei schuld an der Trockenheit in La Paz. „Zwischen 16 und 21 Prozent des Wassers für La Paz ist Gletscherwasser“, sagt Soruco. In einer Studie basierend auf den vorhandenen Klimadaten von 1963 bis 2006 hat er zusammen mit Fachkollegen diese Zahl errechnet. „Aber im Süden der Stadt, wo die Speicherseen leer waren, macht das Gletscherwasser noch höchstens zwei Prozent aus.“

Die Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Wasserkrise in La Paz von 2016 ist einfach und sie ist wie der Klimawandel menschengemacht. „Die Bevölkerung der Städte La Paz und El Alto hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren verdoppelt, aber die Stadt hat keine neuen Speicherseen gebaut“, erklärt Dirk Hoffmann. Der Gebirgsforscher hat lange in Bolivien gelebt und betreibt bis heute den Klimablog www.cambioclimatico-bolivia.org.

Gletscher sind wichtig für die Regulation des Wasserhaushalts, vor allem in den Trockenzeiten und zum Erhalt der Feuchtwiesen in den Hochanden. Für die Wasserversorgung der Städte dagegen ist ausschlaggebend, ob, wann und wie viel Regen fällt. Hoffmann ist der Ansicht, man könne bereits ein Muster erkennen, dass die Regenzeit in den Anden später einsetzt, die Regenfälle unregelmäßiger und heftiger sind, das Volumen der Regenfälle insgesamt aber gleich bleibt. „Das bedeutet, es gibt mehr Starkregen und dadurch auch mehr Erosion und Erdrutsche“, sagt Hoffmann.

Der Glaziologe Alvaro Soruco sieht das anders. Soruco hält sich streng an die vorhandenen Messdaten – und die sind in den Anden äußerst dürftig. Selbst die Aussage, dass Extremwetterphänomene zunehmen, sei durch Daten nicht belegt, sondern einzig subjektives Empfinden. Einig sind die beiden Forscher darin, dass Planungsmangel bei den Wasserwerken hauptsächlich für die Wasserkrise verantwortlich war.

Wasser ist billig – und wird verschwendet

Dass Wasser ein politisch überaus sensibles Thema ist, wissen die Bolivianer besonders gut. Im Jahr 2000 kam es in der Stadt Cochabamba zu heftigen Demonstrationen gegen die geplante Privatisierung der städtischen Wasserversorgung. Der als „Wasserkrieg“ in die bolivianische Geschichte eingegangene Aufstand war unter anderem ein politisches Sprungbrett für den damaligen Kokabauern-Anführer Evo Morales. 2005 wurde er Präsident, zwei Jahre später entzog er dem französischen Unternehmen Suez die Konzession für das Trinkwasser von La Paz und El Alto und unterstellte die Wasserversorgung der beiden Städte der Nationalregierung.

Es sei ja schön und recht, dass Wasser als Grundrecht in der bolivianischen Verfassung stehe, meint Dirk Hoffmann. Doch dass jedem kostenloses Trinkwasser zustehe, sei eine Kampfparole geworden. „Damit verhindert man die Frage, was es kostet, Wasser von den Anden heranzuführen und aufzubereiten oder defekte Rohre zu sanieren und neue Stauseen zu bauen“, meint er. Da der Trinkwasserpreis politisch so sensibel ist, vermeidet es jede Regierung, die Wassertarife zu erhöhen.

Da das subventionierte Wasser billig ist, sind die Bewohner nicht angehalten, sparsam damit umzugehen. Ein Teufelskreis, den man nur mit einer groß angelegten Informationskampagne für einen effizienteren Umgang mit Wasser angehen könnte. Aber auf dieser Ebene passiere nichts, sagt Pablo Solón von der gleichnamigen Umweltstiftung in La Paz: „Die Regierung setzt allein auf den Bau neuer Stauseen; ich sehe keine Bemühungen, die Bevölkerung im Umgang mit Wasser zu schulen.“

Während es in La Paz im Winter 2016/2017 zu wenig geregnet hat, hat die peruanische Hauptstadt Lima im März 2017 die Auswirkungen von zu viel Regen abbekommen. Lima liegt in einer Wüste am Pazifik und erlebt sonst höchstens mal einen Nieselregen. In Lima muss jeder Baum und jeder Rasen künstlich bewässert werden. Das Trinkwasser für die Zehn-Millionen-Stadt wird in einem aufwendigen System von Stauseen in den nahen Hochanden gespeichert und in die Wüstenstadt Lima hinuntergeleitet.

Lima ist von Regenfällen abhängig

Die Gletschermasse in den peruanischen Zen-tralanden – also das Gletschergebiet auf der Höhe der Hauptstadt Lima – ist schon seit Jahren geschrumpft. Der Geograf Fabian Drenkhan von der Universität Zürich schätzt den Beitrag der verbliebenen Gletscher zum Trinkwasservorrat von Lima auf sehr gering, auf jeden Fall weniger als zehn Prozent. Ebenso wie in La Paz ist nicht die Gletscherschmelze, sondern der Niederschlag ausschlaggebend dafür, ob Lima Wasser hat oder nicht. Lima lebt vor allem in der Trockenzeit von den großen Speicherseen Antacoto und Marcapomacocha. Der Gletscherwasseranteil war vermutlich bereits höher oder wird sehr bald niedriger sein – aber genaue Studien dazu gibt es für Lima nicht.

Dass es im März 2017 in den Anden bei Lima besonders heftig regnete, lag an einem periodischen Klimaphänomen, dem „Küsten-Niño“. Der Regen führte in Lima zu mehreren Problemen, da es auf den Straßen und den Häusern kein Abflusssystem für Regenfälle gibt, wie Fernando Neyra, ein Experte für Katastrophenschutz, erläutert. Besonders betroffen waren die Armenviertel an den sonst jahrelang trockenen Flussbetten. Ihre Häuser wurden von Schlammlawinen mitgerissen, es gab Tote und Verletzte. Auch hier war das Ausmaß der Katastrophe menschengemacht: „Die zuständigen Kommunen wissen, dass man in den trockenen Flussbetten keine Häuser bauen darf. Aber eine einmal entstandene wilde Siedlung zu räumen, gibt politisch nur Minuspunkte. Kein Bürgermeister wagt sich da ran“, sagt Neyra. Dazu komme Korruption bei den Distriktämtern, wo man Baugenehmigungen unter der Hand kaufen könne.

Paradox ist: Während die Schlammlawinen aus den Anden mehrere Armenviertel an den Osthängen der Stadt mitrissen und die Flüsse Rimac, Chillon und Lurin Unmengen von braunem Wasser in den Pazifik spülten, ging den Menschen im Rest der Stadt das Wasser aus. Auch im reichen Stadtteil Miraflores waren bald alle Mineralwasserflaschen aufgekauft; nur wer im Haus einen großen Wassertank hatte, kam ohne Notration über die Runden.

Tagelang kam kein Wasser aus den Hähnen. Denn die von den Erdrutschen mitgeschwemmte Erde sowie Äste und Steine verstopften den Zugang zur Aufbereitungsanlage La Atarjea. Die städtischen Wasserwerke Sedapal mussten den Zufluss schließen, um nicht die ganze Anlage zu gefährden. Erst nach mehreren Tagen, nachdem die Regenfälle nachgelassen hatten, funktionierte die Wasserversorgung wieder.

Ein weiteres Problem: Rückstände aus dem Bergbau

„In Lima haben wir einen sehr prekären Wasservorrat“, sagt Sedapal-Direktor Guillermo Maisch. Während im chilenischen Santiago für jeden Einwohner durchschnittlich 125 Kubikmeter Wasser gehortet werden, sind es in Lima gerade mal 33 Kubikmeter. Dem Ingenieur Maisch schwebt eine technische Lösung vor: „Wir werden ein weiteres Stausee-System in den Anden mit einem weiteren Transatlantik-Tunnel bauen.“ Über den Tunnel soll Wasser, das sonst Richtung Atlantik abfließen würde, zur regenarmen Pazifikseite geleitet werden. 2023 soll das neue System fertig sein. Lima wächst jedes Jahr um 130.000 Menschen, die Stauseen sind aber bisher nicht mitgewachsen. Um die wachsende Bevölkerung auf mehrere nahe Küstenstädte zu verteilen, wie Maisch außerdem vorschlägt, bräuchte es ein funktionierendes Nahverkehrssystem. Ein solches hat Lima aber nicht.

Und doch ist der Regenmangel nicht das einzige große Risiko für die Wasserversorgung von Lima und La Paz. Mindestens genauso gefährdet ist die Qualität des Wassers. „In den Wassereinzugsgebieten von La Paz verseuchen informelle Goldgräber das Grundwasser“, sagt der Gletscherforscher Alvaro Soruco.

Auch im peruanischen Lima ist das Wasser, das von den Anden herunterfließt, mit Rückständen aus dem Bergbau verschmutzt. Erst vor Kurzem warnte die staatliche Sedapal vor der Errichtung einer neuen Mine im Wassereinzugsgebiet. Die Schwermetalle herauszufiltern ist aufwendig und teuer – die Reinigung zahlen nicht etwa die verursachenden Bergwerke, sondern die staatliche Sedapal. Da der Wasserpreis wie in Bolivien stark subventioniert ist, bekommen die Bürger davon wenig mit.

Viele haben keine Ahnung davon, auf welch abenteuerlichen Wegen ihr Wasser in Lima ankommt. Sie verbrauchen nur zu viel davon. In der Wüstenstadt Lima konsumiert ein Bewohner durchschnittlich 270 Liter pro Tag, deutlich mehr als in europäischen Städten – in Berlin liegt der tägliche Wasserverbrauch pro Kopf durchschnittlich bei 115 Liter. In La Paz sind es 200 Liter, in El Alto bisher 50 Liter, Tendenz steigend. Solange waghalsige Ingenieure in den höchsten Andengipfeln Stauseen und Tunnel bauen und Politiker Angst haben, die Wasserpreise anzuheben, solange wird es zu keinem Umdenken in der Bevölkerung kommen. Ganz egal, ob auch der letzte Gletscher schmilzt oder sich die Erde weiter erwärmt.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2019: Arznei und Geschäft
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