Nutzlose Staatenbünde

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Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit
Menschenrechtsverteidiger
Lateinamerika
In Lateinamerika gibt es eine Vielzahl supranationaler Organisationen. Manche arbeiten gegeneinander, andere wollen dasselbe, und allen ist gemeinsam: Ihre Ziele stehen nur auf dem Papier.

Böse Zungen behaupten, das Zentralamerikanische Parlament mit Sitz in Guatemala-Stadt sei einzig dazu da, den Präsidenten der acht daran beteiligten Staaten auch nach der Amtszeit Straffreiheit zu sichern. Denn die Staatschefs samt ihrer Vizepräsidenten bekommen, sobald sie ausscheiden, für eine weitere Periode automatisch einen Sitz in dieser Volksvertretung und damit strafrechtliche Immunität. Notorisch korrupte ehemalige Präsidenten wie der Nicaraguaner Arnoldo Alemán (1997 bis 2002) und der Guatemalteke Alfonso Portillo (2000 bis 2004) haben das schon genutzt. Man kann aus diesem Parlament viele Skandale erzählen. Der spektakulärste handelt von den drei rechten salvadorianischen Abgeordneten Eduardo d’Aubuisson, William Pichinte und Ramón González: Sie haben am 17. Februar 2007 im Schutz ihrer Immunität größere Mengen Kokain oder dessen Gegenwert in US-Dollar (das wurde nie geklärt) nach Guatemala gebracht und wurden dort bei einer Abrechnung unter Drogenkartellen zusammen mit ihrem Fahrer grausam ermordet.

Erfolge des Parlaments dagegen sind Mangelware. In den Beschlüssen des hohen Hauses sind „anregen“, „vorschlagen“, „zur Kenntnis nehmen“ die am liebsten benutzten Verben. Viel Vages, nichts Konkretes. Der Anspruch aber ist riesig. Das Zentralamerikanische Integrationssystem (SICA), dessen demokratischer Ausdruck dieses Parlament ist, war 1991 angetreten, um der Europäischen Union (EU) nachzueifern – bis hin zu einer gemeinsamen Währung. Doch nicht einmal eine vernünftige Zollunion hat man in bald dreißig Jahren hinbekommen. Noch immer stauen sich die Lastwagen an den Grenzen für Stunden und manchmal Tage. So sind vor dem Muttertag im Mai an der Grenze zwischen Guatemala und El Salvador Schnittblumen im Wert von mehreren Millionen Dollar verdorrt, weil ein neues Zollformular, das den Prozess eigentlich beschleunigen sollte, noch längere Wartezeiten zur Folge hatte.

Bedeutunglos, schwach, Instrument der US-Regierung

SICA ist nur einer der vielen nutzlosen Nationenverbände Lateinamerikas. Der älteste und mit 35 Mitgliedern größte ist die 1948 in Bogotá gegründete Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Auch Kanada gehört ihr an – und die USA, weshalb dieser Staatenbund heute ziemlich bedeutungslos ist: Sein Sitz ist in Washington, die dortige Regierung bezahlt den Großteil des Etats und will entsprechend auch die Politik bestimmen. Eben das macht die Schwäche der OAS aus. Sie gilt als Instrument der US-Regierung. So hat die OAS 1962 auf Druck von Washington die Mitgliedschaft des sozialistischen Kuba suspendiert. Als das Land 2009 wieder zum Mitmachen eingeladen wurde, lehnte Raúl Castro dankend ab. Die OAS sei anachronistisch und weiterhin von den USA dominiert. Auch Kubas wichtigster Verbündeter in Lateinamerika ist 2017 ausgetreten: Aus der Sicht von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro unterstützt der derzeitige OAS-Generalsekretär Luis Almagro aus Uruguay zu sehr die Bestrebungen der USA, ihn zu stürzen.

Autoren

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.

Toni Keppeler

ist freier Journalist und berichtet für mehrere deutschsprachige Zeitungen und Magazine aus Lateinamerika.
Gegen die OAS wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine ganze Reihe neuer Staatenbünde gegründet. 2004 entstand ALBA, die Bolivarische Allianz für Amerika. Sie war eine Idee des damaligen venezuelanischen Präsidenten Hugo Chávez und direkt gegen die Bestrebungen der USA gerichtet, auf dem ganzen Kontinent eine einzige Freihandelszone zu schaffen. Dieses marktradikale Projekt steht tatsächlich als Ziel in der Gründungsakte der OAS. Chávez wollte dagegen einen Wirtschaftsverband, der mehr auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe beruht. Eine Zeitlang hat das einigermaßen geklappt. Seit dem Tod von Chávez 2013 und der Wirtschaftskrise in Venezuela aber siecht ALBA vor sich hin. Die Allianz hat zwar noch immer elf Mitgliedstaaten. Mehr Aktivitäten als ein bisschen medizinische Hilfe und Alphabetisierungskurse aus Kuba aber gibt es nicht mehr. Immerhin sind auch die Pläne zur Freihandelszone in den Schubladen verschwunden.

Auch die Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) war gegen die OAS und die von ihr angestrebte kontinentale Freihandelszone gerichtet. Die 2008 gegründete Organisation mit Sitz in Quito (Ecuador) wurde hauptsächlich von den damaligen linken Präsidenten Lula da Silva (Brasilien) und Cristina Fernández de Kirchner (Argentinien) angestoßen. Auch sie sah eine Art Europäische Union vor, aber eben ohne den Koloss im Norden. Und sie schrieb sich nicht nur wirtschaftliche Integration und eine gemeinsame Währung auf die Fahne, sondern auch den Kampf gegen soziale Ungleichheit und Armut. Erreicht wurde davon nichts.

Untote Bürokratien

Alle Mitglieder des Gemeinsamen Südamerikanischen Markts (Mercosur) und der Andengemeinschaft (CAN) sind damals UNASUR beigetreten. Eigentlich logisch: Alle drei Staatenbünde haben dieselben erklärten Ziele. Warum dann aber die beiden kleinen nicht einfach im großen aufgegangen sind und aufgelöst wurden, ist wohl nur damit zu erklären, dass Bürokratien, wenn sie einmal geschaffen sind, nie wieder verschwinden, sondern als Untote weiterexistieren.

Inzwischen ist UNASUR auch so eine Untote. Kaum waren die überwiegend sozialdemokratischen und linken Präsidenten Südamerikas von konservativen und rechten Nachfolgern abgelöst worden, gründeten diese im Februar dieses Jahres mit PROSUR, dem Forum für Fortschritt und Entwicklung in Südamerika, eine Gegenveranstaltung. Die Armutsbekämpfung wurde – nicht weiter verwunderlich – in ihren Zielen vergessen. Dafür geht es jetzt vorwiegend um die Integration der Infrastruktur. Warum aber nur Ecuador aus UNASUR ausgetreten ist, alle anderen PROSUR-Staaten aber gleichzeitig noch Mitglieder der moribunden Konkurrenz sind, bleibt ihr Geheimnis.

Dann gibt es noch CELAC, die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, der alle Länder des Kontinents mit der Ausnahme der USA und Kanadas angehören. Auch dieses Bündnis war eine Antwort auf die Dominanz der USA in der OAS. Es wurde 2010 gegründet, ein Jahr nach dem Putsch in Honduras. Die USA hatten damals die OAS gedrängt, die von ihr unterstützte rechte Putschregierung sofort anzuerkennen. Zu den Zielen von CELAC gehört deshalb „das Eindämmen des Einflusses der USA auf die Region“ und das „Zurückdrängen des Kolonialismus“.

Eigentlich schöne Ziele. Nur sind sie nicht sehr glaubwürdig, weil die Staatsoberhäupter fast aller CELAC-Länder genauso bei den alle zwei Jahre stattfindenden und von Spanien dominierten Iberoamerika-Gipfeln anzutreffen sind. Das Sekretariat und die Unterorganisationen dieses Staatenbunds sind in Madrid, dem Herzen der alten Kolonialmacht. Deren König führt sich bei den Gipfeltreffen gerne so auf, als habe er noch das Sagen. Man kann es politische Schizophrenie nennen, wenn dieselben lateinamerikanischen Präsidenten heute zum antikolonialen Treffen der CELAC reisen und morgen zum kolonialen des Iberoamerika-Gipfels. Oder ist es nur Reise- und Repräsentierfreudigkeit bar jeglichen Inhalts?

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erschienen in Ausgabe 7 / 2019: Multilaterale Politik: Zank auf der Weltbühne
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