Frauen zählen nur die Hälfte

Frauen zählen nur die Hälfte

Traditionen und Gesetze behindern den Kampf um Gleichberechtigung

Von Anis Haroon

Frauen sind in Pakistan noch immer gesellschaftlich und politisch benachteiligt. Die Frauenbewegung hat in den vergangenen Jahren Gesetzesänderungen und eine Quotenregelung für Parlamentssitze erstritten. Im gegenwärtigen Klima der Unsicherheit wird der Kampf um mehr Rechte noch härter.

Die Lage der Frauen in Pakistan gibt Anlass zur Sorge. Trotz vollmundiger Erklärungen der Regierung von Präsident Pervez Musharraf werden Frauenfragen dem patriarchalischen System untergeordnet. Frauen werden bei der Bildung, bei der medizinischen Versorgung sowie bei Teilhabe am politischen und wirtschaftlichen Leben benachteiligt. Zwei Drittel der erwachsenen Frauen in Pakistan können nicht lesen und schreiben. Frauen verdienen nur halb soviel wie Männer – wenn sie überhaupt arbeiten gehen. Ihre Beschäftigtenquote liegt weit unter der von Männern.

Wegen ihres geringeren gesellschaftlichen Status sind Frauen in patriarchalischen Wertesystemen und Familienstrukturen häufig gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Die meisten Frauen in der pakistanischen Gesellschaft leben in einer Welt, die durch strenge religiöse, familiäre und stammesspezifische Bräuche bestimmt ist und ihren Bewegungsspielraum häufig auf den Bereich innerhalb des Hauses beschränkt. Die Tradition der Ehrenmorde, das Überlassen von Frauen an eine Gegenpartei, um Fehden zu schlichten, das Tauschen von Bräuten zwischen zwei Sippen, Schwierigkeiten mit der Mitgift und Scheidungsprobleme verdüstern noch immer die Existenz aller Frauen in den ländlichen Teilen Pakistans.

 Die Gründe für den niedrigen Status der Frauen in Politik und Gesellschaft, ihre Benachteiligung und die Zunahme der Gewalt liegen auf der Hand. General Zia-ul-Haq hatte Ende der 1970er Jahre im Zuge der Islamisierung diskriminierende Gesetze wie das Gesetz über Zeugenaussagen und die „Zina-Verordnung“, die außerehelichen Geschlechtsverkehr unter Strafe stellt, erlassen. Sie sind noch heute in Kraft. Nach dem Zeugengesetz ist die Aussage einer Frau nur halb so viel wert wie die eines Mannes. Wenn es um finanzielle Angelegenheiten geht, sind die Aussagen von zwei Frauen statt einer erforderlich. Bei „Hadd-Strafen“, den auf dem Koran basierenden Körperstrafen, die bei Vergewaltigung und Mord die Höchststrafe darstellen, wird ihre Aussage gar nicht berücksichtigt.

Vergewaltigte Frauen landeten im Gefängnis

Die „Zina-Verordnung“ unterschied nicht zwischen Vergewaltigung und Ehebruch. Das heißt, auch ein Vergewaltigungsopfer musste seine Unschuld beweisen. Aufgrund falscher Beschuldigungen landeten Tausende von Frauen im Gefängnis. Die Justiz ist schwach und korrupt, und die Gesetze werden von Männern ausgelegt, die religiös, voreingenommenen und frauenfeindlich eingestellt sind. Die 2001 in Aussicht gestellte Polizeireform, die das archaische System hätte modernisieren und die Polizeibeamten von politischer Beeinflussung unabhängig machen sollen, ist noch nicht in Kraft. Gesellschaftliche Barrieren verhindern, dass vom Rechtswesen und der Polizei alle gleichermaßen geschützt werden.

Etwa 50 Prozent der Bevölkerung Pakistans sind weiblich, doch in Entscheidungsprozessen auf allen politischen Ebenen spielten Frauen früher so gut wie gar keine Rolle. Diese Entrechtung führte zu einer ungleichen Verteilung der Ressourcen und trug dazu bei, die Unterdrückung der Frauen zu zementieren. Die Organisationen der Zivilgesellschaft haben erkannt, dass Frauen mehr politische Macht brauchen, um in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen mehr Einfluss nehmen zu können. Schon vor zwei Jahrzehnten forderte die pakistanische Frauenbewegung, vor allem Organisationen wie die Aurat Foundation, das Frauen-Aktionsforum (Women’s Action Forum, WAF) und die Gruppe Shirkat Gah (Platz der Teilhabe), eine Frauenquote von 33 Prozent in allen politischen Gremien.

Im Jahr 2000 gab General Musharraf schließlich der Forderung nach. Zum ersten Mal nahmen Frauen an den Kommunalwahlen teil und etwa 40.000 wurden in die Gemeinderäte gewählt. Diese willkommene Veränderung stand in krassem Gegensatz zu ihrem bisherigen gesellschaftlichen Status. Jahrhundertealte Traditionen, angestammte Privilegien, rückwärtsgewandte Einstellungen und Korruption erschweren es ihnen, ihrer neuen Rolle gerecht zu werden. Trotzdem sind Fortschritte festzustellen. In vielen Gemeinden haben die weiblichen Räte für Verbesserungen bei der Gesundheitsfürsorge sowie für Schulen, Straßen, Straßenbeleuchtung, Wasserversorgung und Kanalisation gesorgt. Doch Emanzipationsfeindlichkeit und geschlechtsspezifische Benachteiligung bestehen weiter, besonders, wenn es um Finanzmittel für größere Projekte geht.

Offenbar fehlt der politische Wille, die Frauen den Männern gleichzustellen. 

Musharrafs Regierung hat die Frauenquote von 33 Prozent bei den Kommunalwahlen 2000 und 2001 auf 17 Prozent bei den Wahlen für das Parlament gedrückt. Außerdem wurde die Forderung der Frauen nach direkten Wahlen nicht akzeptiert. Männliche Parteimitglieder suchten die Kandidatinnen aus, die die für Frauen reservierten Sitze bekommen sollten. Dieses System muss sich ändern, die Frauen müssen direkt gewählt werden.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Regierung bis zu einem gewissen Grade darum gekümmert, die gesellschaftliche Situation der Frauen zu verbessern und die frauenspezifische Armut zu bekämpfen. Dies ist der Tatsache zu verdanken, dass Frauen in den politischen Gremien sitzen, hinter denen die Organisationen der Frauenbewegung stehen. Zwei unter der Regierung Musharraf beschlossene Reformen haben viel Staub aufgewirbelt: ein Gesetz über die Bestrafung von Ehrenmorden und das heftig umstrittene Frauenschutzgesetz.

Im Jahr 2005 unterzeichnete General Musharraf eine Gesetzesvorlage, in der Ehrenmorde als reguläre Morde und damit als Verbrechen definiert wurden. Doch das Gesetz hat einen gravierenden Schwachpunkt: Die Forderung der Frauen, „Quisas“ (Vergeltung) und „Diyat“ (Blutgeldzahlung) bei Ehrenmorden auszuschließen, wurde nicht erfüllt. Diese Praktiken dienen weiterhin dem Schutz von Mördern, häufig nahen Verwandten, denen von einem anderen männlichen Angehörigen aus der Familie des Opfers vergeben wird. Wenn „Qisas“ und „Diyat“ zugelassen werden, ist der Mord kein auf staatliche Initiative zu verfolgendes Verbrechen, und die betroffenen Familien handeln gemeinsam eine Regelung aus, die ihnen zusagt.

Musharraf sucht den Ausgleich mit den Religiösen Parteien

Das Frauenschutzgesetz, eigentlich eine reformierte Version der „Zina-Verordnung“ von 1979, hat viel Aufsehen erregt. Danach wird Vergewaltigung nach dem pakistanischen Strafgesetz und nicht mehr nach dem islamischen Recht geahndet. Ehebruch und einvernehmlicher außerehelicher Geschlechtsverkehr bleiben immer noch strafbar, doch können Vergewaltigungsfälle von den Richtern statt in Scharia-Gerichten jetzt vor Zivilgerichten verhandelt werden. Damit entfällt die Notwendigkeit, vier männliche Augenzeugen zu präsentieren. Urteile können aufgrund des medizinischen Befundes und anderer Indizien gefällt werden.

Die rechtsgerichteten politischen Parteien organisierten landesweite Proteste gegen das neue Gesetz und verurteilten es als unislamisch. Die Frauengruppen dagegen, die seit den 1980er Jahren gegen diese diskriminierenden Gesetze kämpfen, forderten die gänzliche Aufhebung der Hudood-Gesetze, die Körperstrafen und Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Zeugen vorsehen. Sie waren mit der halbherzigen Reform unzufrieden und bezeichneten sie als Augenwischerei. Offenbar sollte sie als politischer Schachzug dienen, um die Bewegung zu spalten und die Opposition zu ködern. Zwar erhebt die Regierung Musharraf den Anspruch, für Aufklärung und Fortschritt einzutreten, doch andererseits sucht sie ständig den Ausgleich mit den religiösen Kräften.

Eine neue Welle religiöser Militanz überrollt Pakistan seit dem 11. September 2001. Der Mangel an Demokratie und die Unfähigkeit der politischen Führung, mit dem zunehmenden Extremismus umzugehen, zerreißen die Gesellschaft. Die wachsende Intoleranz und der Anstieg von Inflation, Armut und Arbeitslosigkeit bedrohen die öffentliche Ordnung. In einer derart lebensbedrohenden Umwelt wird es für Frauen schwierig, ihre Anliegen zu vertreten. Doch trotz allem kämpfen sie weiter gegen Gewalt, für mehr Rechte, für die Aufhebung der Scharia-Gesetze und für mehr Einfluss in der Politik.

Anis Haroon hat lange als Journalistin gearbeitet und zählt zu den Gründungsmit­gliedern der pakistanischen Menschenrechtskommission und des Frauen-Aktionsforums. Sie setzt sich seit den 1970er Jahren für Frauenrechte in Pakistan ein. Zurzeit ist sie Regional­direktorin der 1986 gegründeten Frauenrechtsorganisation Aurat Foundation in Karatschi.

welt-sichten 2/3-2008

  

 

erschienen in Ausgabe 2 / 2008: Pakistan - Staat in der Dauerkrise
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