„Für Kriegsverbrechen darf es keine Amnestie geben“

„Für Kriegsverbrechen darf es keine Amnestie geben“

Der Internationale Strafgerichtshof hat die Friedensverhandlungen in Norduganda nicht behindert

Gespräch mit Elise Keppler

Seit Ende der 1980er Jahre leidet der Norden Ugandas unter dem Krieg zwischen der Regierung und der Lord’s Resistance Army (LRA). Gegen deren Führer hat der Internationale Strafgerichtshof im Jahr 2005 Haftbefehle wegen schwerer Gräueltaten erlassen. Jetzt stehen die Kriegsparteien nach langen Verhandlungen im sudanesischen Juba kurz vor dem Abschluss eines umfassenden Friedensabkommens. Sollen die Haftbefehle gegen LRA-Führer ausgesetzt werden, damit sie es unterzeichnen?

Ugandas Präsident Museveni möchte die vom Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) in Den Haag gegen die Führung der LRA (Lord's Resistance Army) erlassenen Haftbefehle aufheben lassen, weil sie einer Verhandlungslösung im Wege stünden. Tun sie das?

Nein. Ordentliche Gerichtsverfahren sind nötig, um die Straflosigkeit für die im Norden Ugandas begangenen abscheulichen Verbrechen zu beenden, und sie sind auch die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden. Außerdem haben die Regierung und die LRA in Juba bereits Abmachungen unterzeichnet, die vorsehen, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor einem ugandischen Gerichtshof verhandelt werden.

Die LRA hat ein Abkommen unterzeichnet, das die Strafverfolgung der eigenen Führung vorsieht?

Genau so ist es. Im Juni 2007 schlossen die Vertreter der LRA und der ugandischen Regierung eine Übereinkunft über die Prinzipien von Rechenschaft und Versöhnung. Zum ersten Mal wurde hierbei über die gerichtliche Verfolgung der während des Konflikts begangenen Verbrechen diskutiert. Am 19. Februar wurde dann ein wichtiger Zusatz zu dem Abkommen vom Juni beschlossen. Er sieht für ernste Verstöße gegen das Kriegsrecht und andere systematische Übergriffe auf die Zivilbevölkerung Prozesse in Uganda vor. Es ist ausdrücklich festgelegt, dass dafür eine besondere Abteilung des Obersten Gerichtshofs von Uganda eingerichtet werden soll. Und es besteht kein Zweifel, dass furchtbare Gräueltaten begangen worden sind. Der IStGH hat gegen die Führungsspitze der LRA Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen, etwa wegen Verschleppung und sexueller Versklavung von Kindern und Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Auch Regierungstruppen haben schwere Verbrechen begangen, wenn auch der IStGH gegen sie keine Haftbefehle ausgestellt hat.

Ich habe Museveni so verstanden, dass die LRA-Führer nicht vor ein reguläres ugandisches Gericht gestellt, sondern traditionelle Schlichtungsverfahren angewandt werden sollen.

Musevenis Erklärungen vom März lassen in der Tat darauf schließen, dass er traditionelle Verfahren anstrebt. Angesichts der bereits unterzeichneten Vereinbarungen ergeben diese Äußerungen aber wenig Sinn. Human Rights Watch ist überzeugt, dass Gerechtigkeit und Frieden zusammengehören. Gerechtigkeit bedeutet nach internationalen Standards, dass wegen der schlimmsten Verbrechen faire Prozesse stattfinden und im Falle einer Verurteilung angemessene Strafen verhängt werden. Traditionelle Verfahren können als wichtige Ergänzung hinzutreten, sind aber kein Ersatz dafür.

Museveni selbst hat 2003 den Fall LRA an den IStGH übergeben, da ugandische Gerichte nicht angemessen eingreifen könnten. Kann er das jetzt rückgängig machen und den IStGH stoppen?

Die ugandische Regierung kann vorbringen, der IstGH sei aufgrund der Gerichtsverfahren in Uganda nicht mehr zuständig. Das Rom-Statut, das den IstGH begründet, gestattet Prozesse auf nationaler Ebene und begrüßt sie sogar, aber sie müssen international gültigen Maßstäben entsprechen. Wenn der IStGH einmal einen Fall übernommen hat, beurteilt er selbst, ob national geführte Prozesse eine angemessene Alternative sind. Wenn er jetzt den Fall Norduganda der ugandischen Rechtsprechung überlässt und sich später herausstellt, dass die Strafverfolgung dort nicht wirklich vorankommt,dann kann der Staatsanwalt des IStGH verlangen, dass der Fall an ihn zurückgegeben wird. Und vor allem kann der IStGH Haftbefehle nicht einfach zurückziehen oder fallen lassen.

Kann nur der UN-Sicherheitsrat ein Ermittlungsverfahren aufhalten?

Der UN-Sicherheitsrat kann ein Verfahren vor dem IStGH aussetzen, nicht aber einstellen oder zurückziehen. Sein Eingreifen hätte nur aufschiebende Wirkung. Human Rights Watch hat aber prinzipiell große Bedenken gegen solche Aufschübe. Damit würde der UN-Sicherheitsrat Eingriffe der Politik in die Tätigkeit eines Justizorgans legitimieren.

Sie raten dem Sicherheitsrat im Fall Uganda nicht zu einer solchen Entscheidung?

Auf keinen Fall. Die Konfliktparteien haben bereits ohne ein Eingreifen des Sicherheitsrats Vereinbarungen über die Strafverfolgung getroffen. Solange die mutmaßlichen Täter auf freiem Fuß sind, birgt ein Aufschub außerdem die Gefahr, dass sie mit erneuten Gewalttaten drohen, wenn das Verfahren nicht erneut ausgesetzt wird.

Wenn der IStGH  die Verhandlungen nicht behindert hat, hat er sie mit dem Druck auf die LRA vielleicht sogar gefördert?

Soweit wir wissen, haben die Ermittlungen des IStGH tatsächlich geholfen, die LRA an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Auch dürfte die Befürchtung, der IStGH werde die Sache übernehmen, die Konfliktparteien dazu gebracht haben, die Vereinbarung über die Strafverfolgung  in Uganda zu schließen. Anfangs hatten sie in den Friedensverhandlungen statt dessen über traditionelle Schlichtungsverfahren diskutiert. Man nimmt an, dass die Bereitschaft, ernsthaft Prozesse auf nationaler Ebene ins Auge zu fassen, zum Teil von den Vorgaben des Rom-Statuts motiviert wurde.

Aber auf welche Weise soll der IStGH  die LRA dazu gebracht haben zu verhandeln?

Wir haben aus dem Umkreis der Verhandlungsspitzen erfahren, dass Angst vor dem IStGH die LRA motiviert hat zu verhandeln. Es überrascht nicht, dass sie die Gespräche nutzen will, um sich der Strafverfolgung und vor allem der Verfolgung seitens des IStGH zu entziehen. Daher haben Berater nach einer legitimen Lösung gesucht und die Möglichkeit von Prozessen auf nationaler Ebene ins Spiel gebracht. Aber natürlich haben für das Verhalten der LRA auch andere Faktoren eine Rolle gespielt, etwa die politische Entwicklung im Sudan, wo die LRA früher Unterstützung gefunden hatte.

An Konys Stelle würde ich mich nach der Drohung mit Strafverfolgung in den Busch zurückziehen, statt mich einem Gerichtsverfahren in Uganda zu stellen. Sind ihm ugandische Gerichte lieber als der IStGH?

So scheint es. Kony hat sogar einmal gesagt, er sei bereit, sich einem Prozess in Uganda zu stellen. Ich nehme an, er fürchtet, dass er sogar im Busch vom IStGH gefasst werden könnte.

Aber die niederländischen Gefängnisse des IstGH sind doch entschieden angenehmer als die in Uganda, oder?

Wahrscheinlich schon. Und ugandische Gerichte können die Todesstrafe verhängen, der IStGH nicht. Wir haben darauf gedrängt, dass die Todesstrafe in Uganda abgeschafft wird, aber noch gibt es sie und sie könnte angewendet werden. Deshalb muss man sich schon fragen, auf was sich die offenbare Vorliebe für die einheimische Justiz gründet.

Vermuten Sie, dass informell eine Art Amnestie ausgehandelt wurde, zumal auch die Regierung unparteiische Ermittlungen zu fürchten hätte?

Es gibt schon ernste Zweifel, ob beabsichtigt ist, das Abkommen so umzusetzen, dass ein fairer, glaubwürdiger Prozess und angemessene Strafen dabei herauskommen. Berichte, dass sich die LRA vor kurzem in die Zentralafrikanische Republik zurückgezogen hat, und die Erklärungen von Präsident Museveni in Bezug auf traditionelle Schlichtungspraktiken stützen diese Bedenken.

Werden diese traditionellen Verfahren in Norduganda häufig angewendet?

Nach meiner Erfahrung in Norduganda war das in der Vergangenheit vielfach der Fall, aber heute werden sie nicht mehr sehr oft praktiziert. Sie wurden jedoch als Teil der Schritte gegen die Straflosigkeit empfohlen, unter anderem von traditionellen Würdenträgern.

Möchte die Bevölkerung Nordugandas mehrheitlich, dass die obersten Führer der LRA vor regulären Gerichten angeklagt werden, oder würde sie traditionelle Verfahren bevorzugen?

Beide Positionen werden vertreten. In Flüchtlingslagern habe ich vor allem das Verlangen gespürt, nach Hause zurückzukehren. Manche würden alles gutheißen, was dazu beiträgt, dass sie die Lager bald verlassen können. Als daher Konys Stellvertreter Vincent Otti im Radio verbreitete, der IStGH werde den Frieden verhindern, nahm er damit einen Teil der Bevölkerung gegen den IStGH ein. Aber wenn man mit den Menschen darüber diskutiert, ob Verantwortliche für schlimme Verbrechen generell vor Gericht gestellt werden sollten, halten viele das für absolut richtig.

Was bedeutet die Erfahrung in Norduganda für die Hoffnungen, der IstGH könnte zur Beendigung laufender Kriege beitragen – etwa in Darfur, wo er ebenfalls ermittelt?

Wenn in Uganda gerechte Urteile gesprochen würden, könnte das ein deutliches Signal sein, dass solche Verbrechen nicht mehr toleriert werden. Die Achtung für das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit würde steigen. Damit schließe ich nicht aus, dass Friedensverhandlungen und die Durchsetzung von Gerechtigkeit kurzfristig in Widerspruch zueinander stehen können. Die Vermittler und die Konfliktparteien müssen sich jedoch dafür einsetzen, beide Ziele zu erreichen.

Aber Konfliktparteien sind häufig daran interessiert, Gerichtsverfahren zu vermeiden. Ist manchmal eine Amnestie nötig, um Friedensverhandlungen zum Erfolg zu führen?

Es ist sehr wichtig, dass es für solch abscheuliche Verbrechen keine Amnestie gibt. Das verlangt nicht nur das internationale Recht, sondern es ist auch entscheidend für den Aufbau einer Gesellschaft, die auf rechtsstaatlichen Prinzipien beruht. Ein Frieden, der auf eine Amnestie gegründet wird, kann kaum stabil sein.

Die Fragen stellte Bernd Ludermann

Elise Keppler ist Juristin und leitende Beraterin im internationalen Rechtsprogramm von Human Rights Watch in Wa­shing­ton (DC). Ihr Arbeitsschwerpunkt ist der Internationale Strafgerichtshof und der Sondergerichtshof für Sierra Leone.

 

 

Die letzte Instanz: der Internationale Strafgerichtshof

Der Internationale Strafgerichtshof (IstGH) in Den Haag ist das einzige ständige internationale Gericht, vor dem Verantwortliche für schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden können. Die Justiz in von Bürgerkriegen zerrütteten Ländern kann oder will die Täter oft nicht verfolgen; solche Gräueltaten bleiben daher häufig straffrei. Angesichts der Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien, in Ost-Timor und in West- und Zentralafrika im Laufe der 1990er Jahre sollte das geändert werden.

Ein Mittel dazu waren von den Vereinten Nationen eingerichtete Sondertribunale, etwa für das frühere Jugoslawien, Ruanda und Sierra Leone. Für ein ständiges internationales Gericht, das alle solchen Fälle aufgreifen kann, gab es in den UN keinen Konsens. Daher beschloss ein Teil der Staaten 1998 das Statut von Rom, mit dem der IStGH gegründet wurde. Es trat 2002 in Kraft und wurde bis Herbst 2007 von 105 Staaten ratifiziert, darunter Uganda. Diese haben damit die Jurisdiktion des IStGH anerkannt.

Das Gericht ist zuständig für Völkermord, systematische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es kann nur ermitteln, wenn die zuständige nationale Justiz dazu nicht in der Lage oder nicht willens ist. Dann kann der Gerichtshof von sich aus, auf Bitten des UN-Sicherheitsrates oder eines Mitgliedsstaates tätig werden. Er klagt nur die Haupttäter an. Anders als Ad-hoc-Tribunale ermittelt der IStGH auch, wenn ein Krieg noch andauert. Drei seiner bisher vier Verfahren eröffnete er während eines Konflikts: die zu Nord­uganda und zum Ostkongo 2004 sowie 2005 das zu Darfur (Sudan), in diesem Fall auf Geheiß des UN-Sicherheitsrates. In den drei Fällen hat der IStGH bereits Haftbefehle gegen einige Täter ausgestellt. Das vierte Verfahren bezieht sich auf die Kriegsverbrechen – besonders die Vergewaltigungen – in der Zentralafrikanischen Republik in den Jahren 2002 und 2003.     (bl)

welt-sichten 4-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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