Im Kloster Mar Musa kommen Christen und Muslime ins Gespräch
Von Claudia Mende
Der italienische Jesuit Paolo Dall’Oglio hat 1991 in einem ehemaligen syrisch-orthodoxen Kloster eine Begegnungsstätte für Christen und Muslime gegründet. Vom Vatikan wird das Projekt skeptisch verfolgt, von der Europäischen Union und der syrischen Regierung aber unterstützt.
„Ich liebe diesen Ort“, bekennt Aliaa Hweijit und nippt verfroren an ihrem Tee. In Pulli und Jacke gehüllt, sitzt sie auf der Terrasse des alten Klosters Mar Musa mitten in der Wüste von Syrien. Es ist frisch hier auf 1400 Metern Höhe. Hinter der Steinbrüstung der Terrasse fällt der Berg steil ab. Am Horizont leuchten die kahlen Hänge des Antilibanon-Gebirges im fahlen Morgenlicht. Die Landschaft ist unendlich weit, steinig, aber von grünen Tupfern durchsetzt. Aliaa schaut verträumt in die Ferne. „In Mar Musa darf ich sein, wie ich bin“, meint die 24- jährige Syrerin, „deshalb fühle ich mich hier so wohl.“
Die Journalistik-Studentin ist mit einem Minibus aus der Hauptstadt Damaskus gekommen, die Fahrzeit beträgt eine gute Stunde. Sie ist die 400 steilen Stufen hinauf in das festungsähnliche alte Gemäuer gestiegen, das malerisch zwischen zwei Bergrücken eingekeilt ist. Jetzt genießt Aliaa Hweijit die Stille und freut sich schon darauf, nach dem Frühstück in den Bergen zu wandern.
Mar Musa („Moses-Kloster“) ist eine Begegnungsstätte für Christen und Muslime, ein Ort für Suchende aus Syrien und der ganzen Welt. Als es im 6. Jahrhundert gegründet wurde, war es das letzte syrisch-orthodoxe Kloster auf dem Pilgerweg nach Jerusalem. Im 18. Jahrhundert gaben die Mönche das Kloster auf. Warum, weiß niemand so genau. Die antiken Fresken verfielen ebenso wie die mächtigen Mauern, die die Gebäude Jahrhunderte lang vor Überfällen geschützt hatten. 1982 entdeckte der Italiener Paolo Dall’Oglio, damals noch ein junger Theologie-Student, das verfallene Kloster. Fasziniert vom Orient und der arabischen Sprache war er nach Syrien gekommen. In der einsam gelegenen Ruine erkannte er den Ort seines Lebens.
Zwei Jahre später wurde Dall’Oglio zum Priester geweiht und trat dem Jesuitenorden bei. Immer wieder kam er nach Mar Musa, bis er hier 1991 eine eigene Gemeinschaft von Männern und Frauen, Mönchen, Nonnen und Laien nach syrisch-katholischem Ritus gründete. Sie beten, arbeiten und praktizieren in der Wüste Gastfreundschaft. Aufgrund seiner Kontakte nach Italien konnte Dall’Oglio ein weltberühmtes Team römischer Restauratoren dafür gewinnen, die alten Fresken in der Klosterkirche freizulegen und zu restaurieren.
Für Aliaa Hweijit und die anderen Gäste gibt es jetzt erst einmal Frühstück – ein einfaches Mahl mit Fladenbrot, Oliven, Ziegenkäse aus der klostereigenen Käserei und Saatar, einem Brotaufstrich aus Olivenöl und Sesam. Schweinefleisch und Alkohol sind tabu in Mar Musa. Wer möchte, kann auch übernachten, aber das Kloster ist kein Hotel. Die Gäste werden gebeten, beim Geschirrspülen oder beim Waschen und Aufhängen der Bettwäsche zu helfen. „Freunde haben mir von Mar Musa erzählt,“ berichtet Aliaa. „Ich bin Muslimin, trotzdem komme ich gerne hierher. Wenn ich hier wandere, habe ich das Gefühl, an einem heiligen Ort zu sein.“ Aliaas Familie gehört zu einer schiitischen Splittergruppe, den Ismailiten, die einen liberalen Islam leben. Für junge Frauen ist das Leben in Syrien nicht einfach. Neben dem Studium arbeitet Aliaa als Synchronsprecherin beim syrischen Kinderkanal. Um den beruflichen Einstieg zu schaffen, braucht sie sehr viel Energie: Die Arbeitslosenquote beträgt rund 20 Prozent. Die Konkurrenz ist groß und die Vorstellungen, was Frauen tun dürfen, bewegen sich immer noch in einem äußerst engen Rahmen.
„Für uns ist es mehr als Tourismus, wenn Muslime in unser Kloster kommen. Es hat etwas Spirituelles“, meint Paolo Dall‘Oglio. Er sitzt mit zerschlissenem Pullover und Flip-Flops an den nackten Füßen im Lesezimmer des Klosters und erläutert seine Philosophie. “Wir wollen die uralte Tradition der Gastfreundschaft wiederbeleben, ohne zu bekehren,“ erläutert er. „Die frühen christlichen Klöster standen in engem Kontakt zu den Muslimen.“ Seiner Ansicht nach muss die christliche Kirche in einem arabischen Land die Muslime lieben, und zwar „nicht trotz ihrer Religion. sondern mit ihrem Bekenntnis und ihrer ganzen Zivilisation“. Der temperamentvolle Römer hat sich in den 25 Jahren in Mar Musa in einen echten Syrer verwandelt. Nur mit der orientalischen Gelassenheit hat er seine Schwierigkeiten. Er spricht und schimpft in fließendem Arabisch, wenn ihm wieder einmal alles zu langsam geht.
Mar Musa hat sich ganz der Liebe zu den Muslimen verschrieben, die sogar in den Regeln der Gemeinschaft enthalten ist. Die Kirche ist mit Teppichen und Sitzkissen ausgelegt und wird wie eine Moschee ohne Schuhe betreten. Für die vielen muslimischen Besucherinnen und Besucher ist es auch „ihr“ Kloster. Jeden Freitag strömen sie herbei, besichtigen die Kirche, trinken Tee und unterhalten sich mit den Mitgliedern der Gemeinschaft. „Wir brauchen keine Vorschläge aus dem Westen, wie wir den Dialog mit dem Islam praktizieren sollen“, unterstreicht Dall’Oglio. „Syrien kennt die Erfahrung einer multireligiösen Gesellschaft seit Jahrhunderten. Das Leben an der Basis zeigt, dass Muslime zu religiösem Pluralismus fähig sind.“ Im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern ist Syrien konfessionell und ethnisch vielfältig. Drei Viertel der Bevölkerung gehören dem sunnitischen Islam an. Daneben gibt es 15 Prozent Schiiten, die sich wiederum aus verschiedenen Splittergruppen zusammensetzen. Dazu gehört auch die Minderheit der Alawiten, die in Staat und Gesellschaft fast sämtliche Führungsposten inne haben. Radikale Muslime bestreiten, dass sie „echte“ Muslime seien. Die Führungsclique um Präsident Bashar al-Assad steht daher als Garant für die religiöse Toleranz. Die rund 10 Prozent Christen gehören zu einer kaum überschaubaren Anzahl unterschiedlicher Ostkirchen.
Dennoch gibt es Probleme, die Paolo Dall’Oglio nicht verschweigt. Religionsfreiheit besteht in Syrien nur eingeschränkt, das Kloster nimmt keine Muslime auf, die zum Christentum konvertieren möchten. „Das ist eine sehr heikle Angelegenheit“, räumt er ein. „Wir helfen, wenn sich jemand ein neues Leben aufbauen will. Aber wir können niemanden aufnehmen, der seine Religionsgemeinschaft wechseln will. Das würde unser Projekt gefährden.“ Dabei hat Mar Musa mit der katholischen Kirche größere Schwierigkeiten als mit den syrischen Behörden oder den Muslimen. Das Projekt stand schon mehrfach auf der Kippe. Der Vatikan nahm die Gemeinschaft in den Jahren, als der heutige Papst Benedikt XVI. noch Präfekt der Glaubenskongregation war, sorgfältig unter die Lupe. Anfang 2006 kam schließlich die Anerkennung aus Rom. Doch Dall’Oglio bleibt aus Erfahrung vorsichtig: „Ich weiß nicht, wie es nächstes Jahr um meinen Kopf steht“, scherzt er. Die syrisch-katholische Kirche sieht es nicht gern, wenn Symbole christlichen Lebens auch anderen Gläubigen offen stehen. Sie fürchtet um die eigene Identität.
Die Europäische Union (EU) dagegen ist froh über eines der wenigen Dialogprojekte im Nahen Osten. 2006 hat Mar Musa den „Euro-Mediterranean Award“ für Verständigung der Anna-Lindh-Stiftung der EU erhalten. Regelmäßig finden im Kloster Seminare mit Intellektuellen, Scheichs und Kirchenführern statt. Auch die syrische Regierung hat ein Interesse an einer Begegnungsstätte wie Mar Musa, denn das Land steht vor einer Zerreißprobe. Die internationale Isolation, in die Syrien wegen der Unterstützung der Hisbollah im Libanon und guten Beziehungen zum Iran geraten ist, beginnt gerade aufzubrechen. Ein erster Schritt war die Teilnahme von Präsident Assad an der Gründung der Mittelmeerunion Mitte Juli in Paris. Gleichzeitig strapazieren rund 1,5 Millionen irakische Flüchtlinge im Land bei einer Bevölkerung von 20 Millionen die öffentlichen Kassen. Die Angst ist groß, dass die Iraker auch ihre Konflikte mit ins Exil bringen.
Die Nacht senkt sich über das Kloster. Aliaa Hweijit ist wie die meisten Besucherinnen und Besucher wieder nach Hause gefahren. Die Gemeinschaft versammelt sich in der Kirche zum Gebet. „Den Dialog durchhalten auch in Zeiten des Konflikts“ – darin sieht der Jesuit Dall’Oglio seine Aufgabe. Dieser Weg ist steinig wie die syrische Wüste. Aber es gibt keine Alternative.
Claudia Mende ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik in München. Ihre Recherchereise nach Syrien wurde vom EED unterstützt.
welt-sichten 8-2008