„Aufwerten statt umsiedeln“

picture alliance/dpa
Das Viertel Akuarium in Indonesiens Hauptstadt Jakarta wird regelmäßig überflutet. Eine Mauer soll vor dem steigenden Meeresspiegel schützen.
Bürgernahe Modernisierung
Der Meeresspiegel steigt, während Jakarta sinkt – denn der Boden sackt infolge der Entnahme von Grundwasser ab und von oben drückt eine gewaltige Betonlast. Die Architektin Elisa Sutanudjaja erklärt, wie informelle Wohngebiete dennoch erhalten werden können.

Im April 2016 plante der damalige Gouverneur Jakartas, Hochwasserschutzdämme auf dem Gebiet des Stadtviertels Akuarium im Norden Jakartas zu errichten, das regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht wird. Was bedeutete das für die Bewohner des Viertels?

Elisa Sutanudjaja ist Architektin und Geschäftsführerin der Denkfabrik Rujak Center for Urban Studies in Jakarta.

600 Familien, die seit Jahrzehnten ohne offizielle Besitz- oder Mietdokumente dort gewohnt hatten, wurden vertrieben – nur elf Tage nachdem die Stadt ihnen das Projekt angekündigt hatte.  Man bot ihnen Sozialwohnungen am Stadtrand an, teilweise 20 Kilometer von ihrem alten Quartier entfernt. Da wollten sie nicht hin, sie kannten dort niemanden und kamen von da aus auch nicht mehr zu ihren Jobs. Viele lebten fortan auf der Straße, manche auch in Booten. Es gab eine Riesenprotestwelle. Als 2017 Wahlen waren, wurde der Gouverneur nicht zuletzt wegen seines Umgangs mit informellen Siedlungen abgewählt. Der neue Gouverneur, Anies Baswedan, versprach den Betroffenen, sie in die Planung neuen Wohnraums einzubeziehen. 

Sie haben dann gemeinsam mit Betroffenen eine eigene Version einer Umsiedlung präsentiert, die dann auch durchgeführt wurde. Wie sah sie aus?
Wir wollten das Viertel erhalten und an die Überschwemmungsbedingungen anpassen. So wollen es die Menschen, die dort lebten, und so kommt es letztlich auch für die Regierung finanziell günstiger – denn es braucht dann keine anderswo errichteten Sozialwohnungen, und die Menschen können weiterhin selbst für sich sorgen, weil sie ihre Arbeit und ihr Lebensumfeld behalten. Umsiedlungsprojekte haben oft zur Folge, dass die betroffenen Menschen verarmen und dann dauerhaft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.  
Wir sahen ein, dass wir wegen der Überflutungsgefahr höhere Gebäude errichten mussten – die neuen Wohnungen liegen alle über den Flutpegeln. Und doch sollten sie in ihrer Anordnung den einstöckigen kleinen Häuschen ähneln, die die Menschen gewohnt waren. Wir planten also Wohnblöcke mit jeweils viereinhalb Stockwerken mit mehreren kleinen Wohneinheiten, die durch breite Flure miteinander verbunden waren, und mit reichlich öffentlichen Gemeinschaftsflächen – zum Beispiel Grünflächen zum Eigenanbau von Obst und Gemüse, Versammlungsräumen oder auch einem Futsalfeld. Da die Küchen in allen Wohnungen aus Gründen des Feuerschutzes mit Rauchmeldern ausgestattet werden mussten, planten wir von Anfang an kleine Balkone ein, auf denen die Familien mit ihren Wok-Öfen kochen konnten. Und wir errichteten Regenauffangbecken, um die Wasserversorgung zu verbessern. 

Die Anwohner haben sich dann also doch auf Hochhäuser und Modernisierung eingelassen?
Ja, denn sie mussten ihr Viertel ja nicht verlassen. Sie verstanden die Überschwemmungsrisiken, und es wurde nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden. Das Land, auf dem die neuen Gebäude stehen, ist seit 2020 offiziell in öffentlichem Besitz, alle Bewohner sind Mitglieder einer Kooperative (Koperasi Aquarium Bangkit Mandiri). An diese zahlen sie monatlich umgerechnet 25 Euro für Miete und Instandhaltung.  
So birgt die Anpassung an den Klimawandel Chancen für die Entwicklung von informellen Siedlungen wie Akuarium. 

Das Gespräch führte Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2023: In der Stadt zu Hause
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