Gemälde gegen das Gemetzel

Halbporträt eines sudanesischen Künstlers mittleren Alters im Profil. Der bärtige Mann im kurzärmeligen rotvioletten Hemd beugt sich über ein Zeichenbrett. Die Atelierwand hinter ihm ist gepflastert mit farbenfrohen gemalten Bildern.
Altayeb Musa
Der aus dem Sudan stammende Künstler Galal Yousif in seinem Atelier in Nairobi.
Bürgerkrieg im Sudan
Viele sudanesische Künstler sind nach Nairobi geflohen, seit im April 2023 der Bürgerkrieg im Sudan begonnen hat. In ihren Werken verarbeiten sie ihre Erfahrungen von Vertreibung, Schmerz und Verlust und erinnern an eine vergessene Katastrophe.

Am frühen Morgen des 15. April 2023, im Fastenmonat Ramadan, hört der sudanesische Künstler Galal Yousif in seinem Atelier in der Innenstadt von Khartum, ganz in der Nähe des Präsidentenpalastes, laute Geräusche von Lastwagen und Fahrzeugen. Er sieht, wie sich draußen Hunderte Soldaten des Militärs versammeln. Erschrocken nimmt er rasch seine Autoschlüssel und fährt durch verschiedene Kontrollpunkte, bis er im Morgengrauen den Nil in Richtung Nord-Khartum überquert, wo er mit seiner älteren Tante und seinem Onkel lebt. 

Bei Tagesanbruch beginnt ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der sudanesischen Armee und der mächtigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF). Die Generäle von beiden bildeten die Militärregierung, hatten sich aber darüber zerstritten, wer das drittgrößte Land Afrikas kontrollieren soll. Die Kämpfe, die nun seit knapp einem Jahr andauern, haben zu einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt geführt. Mindestens 13.000 Menschen wurden laut UN-Angaben getötet, über zehn Millionen vertrieben

Yousif verbringt zunächst zwei Wochen im Haus seiner Familie im kriegszerstörten Khartum. In diesen „chaotischen Tagen“, erzählt er, „gab es kein Wasser, keinen Strom und nur wenig zu essen“. Mit Mühe kümmert er sich um seine ältere Tante und den Onkel. Jede Nacht hört er den Lärm von Flugzeugen und Schüssen und sieht große Rauchschwaden über der Stadt. Jeden Tag wird der Krieg schlimmer und zwingt ihn schließlich, sein geliebtes Heimatland zu verlassen. Er nimmt nur seinen Reisepass, wichtige Dokumente, zwei Jeans, fünf Hemden und den Schlüssel zu seinem Auto und seinem Kunstatelier mit. Diese wenigen Habseligkeiten quetscht er in einen kleinen Rucksack, den er immer noch bei sich hat.

Nach Wochen auf der Flucht geht Galal Yousif ins Ausland

Zusammen mit seiner Tante und seinem Onkel flieht er mit einem öffentlichen Bus aus Khartum. Sie fahren nach Rufaa, der Stadt ihrer Vorfahren im östlichen Zentralsudan, wo seine Tante und Onkel ebenfalls ein Haus haben. Nachdem er dort mehrere Wochen geblieben ist, beschließt er, ins Ausland zu gehen. Er hofft, dort als Künstler ein gutes Einkommen zu erzielen und seine Familie finanziell unterstützen zu können. Ende Mai 2023 reist er allein von Rufaa in Richtung der äthiopischen Grenze. Mit dem Bus erreicht er schließlich Metemma, eine Grenzstadt im Nordosten Äthiopiens. Dort sind Zehntausende Flüchtlinge aus dem Sudan gelandet, die wie er auf der Suche nach Sicherheit die Grenze überquert haben.

Yousifs Flucht aus dem Sudan hat er in seinem Gemälde „The Man with a Heavy Heart“ (Der Mann mit dem schweren Herzen) dargestellt, einem eindrucksvollen Porträt aus Acryltinte auf Papier. Es zeigt einen Mann, der die Hand über sein Herz hält, umgeben von kreisförmigen roten Flächen, die an Schusswunden erinnern. Hinter seinem Kopf scheint ein weißer Mond. Im Hintergrund steht ein Stuhl, davor liegt der Rucksack, in den er seine Habseligkeiten gestopft hat, auf dem Boden. Der Hintergrund ist schwarz. 

Seine Flucht aus der Heimat hat Galal Yousif im Gemälde „Der Mann mit dem schweren Herzen“verarbeitet.

Yousif hat dieses Bild zum ersten Mal als Wandgemälde im Juni vergangenen Jahres in Addis Abeba gemalt, wo er sich nach seiner Ankunft in Äthiopien aufhielt. Noch im selben Monat flog er nach Nairobi, wo er jetzt in einer kleinen Wohnung mit Kunstatelier lebt. In der kenianischen Hauptstadt hat er das Wandbild in ein Gemälde umgewandelt und es in einer Ausstellung von sudanesischer Kunst in der Alliance Française gezeigt, dem französischen Pendant zum deutschen Goethe-Institut.

In Werken wie diesem verarbeitet Yousif seine Erfahrungen mit der Vertreibung zu einem großen Gemälde der zahllosen Sudanesinnen und Sudanesen, die Krieg und Exil erleiden. In gewisser Weise wird der Rucksack zur kraftvollen visuellen Darstellung der Last derjenigen, die den Schmerz des Krieges erfahren. Für ihn ist dieses Werk auch ein Akt des Gedenkens an die „vielen Menschen, die wir verloren haben“ in einem, wie er es nennt, „sinnlosen Krieg“. Das bewegende Kunstwerk hat er seinem Cousin gewidmet, der zu Beginn des Krieges im Sudan getötet wurde. „Er war mein Freund, mein Seelenverwandter, mein Cousin“, sagt er. 

Yousif war einer der bekanntesten Künstler des Sudan. Doch als er floh, war er gezwungen, seinen gesamten Katalog in seinem Atelier zurückzulassen. Er weiß, dass das Gebäude im Krieg beschädigt wurde, aber er hat keine Ahnung, was mit seinem Atelier und seinen Kunstwerken passiert ist. Yousif ist bekannt für seine Gemälde, Wandmalereien und innovativen Arbeiten, für die er Materialien mischt wie Metall, Holz oder Pappe. Als Künstler sieht er es als seine Aufgabe an, seinen Pinsel zu benutzen, um „meinen Schmerz zu malen“. Er verwandelt die eigene Erfahrung in Bilder des kollektiven Erlebens. 

In den Medien geht es zu wenig um Kunst und Kultur

Doch Yousif möchte in seinen Werken auch immer einen menschlichen Blick einbringen, so dass die Handlungsfähigkeit, die Geschichten und die Notlage seines Volkes inmitten des Gemetzels nicht verloren gehen. In den Medien geht es vor allem um die politischen, militärischen und diplomatischen Aspekte des Krieges im Sudan, nur selten um die künstlerischen und kulturellen Aspekte.

Autor

Ismail Einashe

stammt aus Somalia und berichtet als freier Journalist unter anderem aus Kenia.

Yousif gehörte zu der großen, blühenden Kunstszene in Khartum, die der Bürgerkrieg nun zerstreut hat. Im Sudan hatten sich vorher einige der einflussreichsten Künstler Afrikas etabliert, darunter Ibrahim El-Salahi, der als erster afrikanischer Künstler eine Retrospektive in der Londoner Tate Gallery of Modern Art hatte, und die bekannte Malerin Kamala ­Ibrahim Ishaq, die ebenfalls aus dem Sudan stammt. Jetzt üben sudanesische Künstler wie Yousif ihre Kunst im Exil aus. 

Der Kunstkurator Rahiem Shadad aus Khartum lebt inzwischen auch in Nairobi. Rund 35 sudanesische Künstler – darunter bekannte Namen wie Bakri Moaz, Yasir Algari und Hani Khalil Jawdat – leben nach seinen Angaben ebenfalls in Kenias Hauptstadt. Shadad, dem die Downtown Gallery in Khartum gehört und der viele angesehene zeitgenössische Künstler vertritt, sagt im Interview, dass seine Galerie schwer beschädigt worden sei und in Trümmern liege. Er habe eine Vielzahl an zeitgenössischen sudanesischen Kunstwerken verloren, mindestens 165 gerahmte Gemälde und 300 andere Werke von 60 Künstlern – unter anderem von Yousif und von Eltayeb Dawelbait.

In den vergangenen Monaten hat sich Nairobi zu einem florierenden Zentrum für sudanesische Künstler entwickelt. Dazu hat auch Shadad beigetragen, der dort mehrere Ausstellungen sudanesischer Kunst organisiert hat. Kenianer sind an diesen Werken interessiert, aber es gibt auch ein internationales Publikum: In diesen Ausstellungen trifft man Menschen aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Äthiopien, Somalia, Südafrika und aus der großen sudanesischen Exilgemeinschaft in Kenia. Shadad hat mit Institutionen wie dem Goethe-Institut und der Alliance Francaise in Nairobi zusammengearbeitet. Außerdem hat er mit Unterstützung des GoDown Arts Center in Nairobi „The Rest“ gegründet, einen kreativen Raum für sudanesische Künstler im Exil.

Viele Künstler aus dem Sudan sind zutiefst traumatisiert

Doch viele Sudanesen, die in der Stadt ankommen, haben laut Shadad mit einer düsteren Situation zu kämpfen. Es gibt Probleme mit dem Asylrecht, Dokumente fehlen, und sie haben sehr wenig Einkommen. „Einige kamen mit nur 100 Dollar in der Tasche“, sagt er. Zwar würden sudanesische Künstler von der kenianischen Kunstgemeinschaft herzlich aufgenommen, meint der Kurator. Er glaubt aber, dass „mehr getan werden muss“, um notleidenden sudanesischen Künstlern zu helfen.  

Zudem seien die meisten Künstler durch ihre Erfahrungen zutiefst traumatisiert. Denn viele haben sich an der sudanesischen Revolution beteiligt und sind gegen das Militär aufgestanden. Gerade Künstler, die sich politisch engagiert haben, erleben nun eine besondere Belastung, sagt Shadad: Viele, die an der zivilen Protestbewegung 2019 teilgenommen haben, die zum Sturz des langjährigen Staatschefs Omar al-Bashir führte, fühlen sich nun völlig entmutigt. Denn die Armee stimmte zunächst einer Machtteilung mit zivilen Gruppen zu, riss dann aber die Macht an sich, und das hat zum Absturz in den jetzigen Krieg geführt.

„Emotional und geistig geht es mir nicht gut“, sagt die Künstlerin Tibian Bahari. Denn sie kann nicht in den Sudan zurück, wo ihr Vater und ihre Schwester noch leben. Bahari befand sich bei Kriegsausbruch außerhalb von Khartum und ist nie nach Hause zurückgekehrt. Trotzdem hat Bahari in ihrem Atelier in Nairobi einen gewissen Trost in ihrer Arbeit gefunden. „Ich trage jeden Morgen mein Jellabiya“, ein traditionelles Kleidungsstück. „Ich muss meine Mutter anrufen und nach meinen Nachbarn fragen“, sagt sie. 

Tibian Bahari will sich im Exil ihre Heimat bewahren

Die sudanesische Kultur liegt ihr sehr am Herzen. In ihrer Kunst geht es darum, die Heimat auch in einem fremden Land zu bewahren. Sie drückt die ursprünglichen Züge der sudanesischen Landschaften aus, der Topografie und der urbanen Räume. „Ich spreche über Sand, Land, Erde, Wüste“, sagt sie. In ihren Arbeiten wendet sie verschiedene Techniken und Materialien an, darunter Malerei, Nähen von Stoffen und recycelte Materialien. In Werken wie „The Topography of Home“ schafft Bahari intime, schwermütige und schöne Arbeiten, die zeigen, dass die Kraft der Kunst Vergangenheit und Gegenwart überwinden und heilen kann. 

Dennoch nennt Bahari die Zerstörung des künstlerischen Archivs des Sudan eine „Tragödie“ und beklagt schmerzlich, wie „unsere Geschichte durch den Krieg ausgelöscht wurde“. Sie fühlt eine starke Verpflichtung, ihre Reise als sudanesische Künstlerin „wahrheitsgetreu“ mitzuteilen, die Kunst in Vertreibung und Exil darzustellen und besonders einen Raum für sudanesische Künstlerinnen zu erhalten. Trotz der Schwierigkeiten hat sie wie Yousif in Nairobi einen Ort gefunden, an dem sie wieder an ihren Werken arbeiten kann. Sie bleibe optimistisch für ihr Heimatland, das sie als ein „magisches Land“ mit einem unverwüstlichen Geist beschreibt.

Als im Sudan der Krieg ausbrach, war Tibian Bahari nicht zu Hause. Ihre Familie hat sie seitdem nicht wiedergesehen.

Doch die Lage im Sudan ist nach wie vor dramatisch und gilt als eine vergessene humanitäre Katastrophe: Millionen Menschen wurden vertrieben, es herrschen Hunger und ethnische Säuberungen. Während sich die Weltpolitik auf die Konflikte in Gaza und der Ukraine konzentriert, fühlen sich die Menschen im Sudan ignoriert. Der Krieg ist bald ein Jahr alt und die UN rufen auf, 4,1 Milliarden Dollar bereitzustellen, um die Betroffenen zu unterstützen.  

Die Familie von Yousif, die mit ihm nach Ausbruch des Krieges in ihre Heimatstadt Rufaa geflüchtet war, mussten im Dezember erneut fliehen: Nachdem die RSF nach schweren Kämpfen die Stadt eingenommen hatte, mussten sie ihr eigenes Haus verlassen und im Haus seiner Großmutter im Zentrum von Rufaa Schutz suchen. Sein Vater, seine Schwestern und Brüder, seine Tante und sein Onkel leben nun in der Stadt, in die sie vor der Gewalt in Khartum geflohen sind, unter Belagerung, berichtet Yousif. Während der Eroberung von Rufaa wurde seine Schwester von RSF-Rebellen angeschossen und schwer verletzt, überlebte aber.

Yousif arbeitet in Nairobi hart daran, mit seiner Kunst die bittere Realität der Millionen Sudanesen zu zeigen, die wie seine Familie im Krieg festsitzen. Immerhin kann er mit dem, was er als Künstler in Kenia verdient, seiner Familie helfen. Deren Haus in Rufaa wurde inzwischen von der RSF-Miliz geplündert und in Besitz genommen. Es sei schwierig, mit den Angehörigen in Kontakt zu bleiben, da die Telefonverbindungen oft unterbrochen sind, erklärt Yousif; „die Menschen in Rufaa sind praktisch Gefangene und können sich nicht bewegen oder fliehen“. Seine Familie berichte, es gebe nur wenig zu essen und die Menschen hätten schwer zu kämpfen. „Zum zweiten Mal hat meine Familie ihr Zuhause verloren, zuerst in Khartum und jetzt in Rufaa“, sagt er traurig.

Aus dem Englischen von Melanie Kräuter. 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2024: Von Fahrrad bis Containerschiff
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