Moderne Menschenjagd

Sonia Shah
Am Menschen getestet.
Wie die Pharmaindustrie die Ärmsten der Welt für Medikamententests missbraucht
Redline Wirtschaft, München 2008, 
304 Seiten, 24,90 Euro

„Man muss Ski fahren, wo es Schnee gibt“, erklärt ein US-Pharmakonzern unverfroren in seiner Werbebroschüre. Für ihn heißt das in Thailand, Indien oder Südafrika. Denn dort finden Arzneimittelhersteller eine Vielzahl von Menschen, die an Krebs, Diabetes oder Aids erkrankt sind und keine Behandlung bekommen. Sie sind die idealen Versuchspersonen für klinische Tests von Medikamenten, die für deren Zulassung erforderlich sind. Früher benutzte die Branche dazu Häftlinge oder Arme, heute weicht sie in Entwicklungsländer aus. Angesichts fehlender Behandlungsmöglichkeiten wissen die Kranken hier „die bei Studien kostenlos dargebotenen Arzneimittel zu schätzen“, beschreibt die US-Journalistin Sonia Shah voll Ironie das Geschäft mit dem Leid. Geld lässt sich durch die Tests in Entwicklungsländern zusätzlich sparen: Bei der britischen Firma GlaxoSmithKline sind das Einsparungen von 200 Millionen US-Dollar pro Jahr.

„Noch nie haben sich die Pharmahersteller daher so sehr für die Armen der Welt interessiert“, erklärt die Autorin und prangert die Folgen an. Die Konzerne bürdeten die Risiken der Erprobung den Armen auf, den Nutzen hätten nur die Reichen. Die zugelassenen Medikamente könnten sich die Menschen in Entwicklungsländern ohnehin nicht leisten. Darüber hinaus wirft Shah den Pharmafirmen Heuchelei vor. In Industrieländern hielten sie ethische Grundsätze wie die Helsinki-Deklaration hoch, die vorschreibt, dass die Teilnahme an einem Test freiwillig sein muss. In Entwicklungsländern hingegen scheren sie sich oft kein Deut um rechtliche oder ethische Standards, wie die Autorin anhand zahlreicher Fälle belegt. So verschwieg der Pharmakonzern Pfizer 1996 Slumbewohnern in Nordnigeria während einer Meningitis-Epidemie, dass ihre erkrankten Kinder an Tests teilnahmen.

Industrieländer sollen einschreiten

Immer wieder führen Pharmafirmen in Entwicklungsländern auch ethisch fragwürdige Placebotests durch. Mitunter schwerkranke Teilnehmer erhalten Pillen ohne Wirkstoff und setzen damit ihr Leben aufs Spiel. So bekam bei Tests in Thailand eine Gruppe HIV-infizierter Mütter nur Zuckerpillen anstelle von wirksamen HIV-Präparaten. Die Folge: 70 von 300 Müttern brachten Babys mit einer HIV-Infektion zur Welt. In Sambia verabreichten US-Forscher 25 HIV-infizierten Kindern das wirksame Mittel Nitazoxanid. Ihnen ging es bald besser. Die Kontrollgruppe erhielt indes nur Placebos – vier Kinder starben.

Shahs Buch ist gut recherchiert und beeindruckt mit der Fülle an Beispielen und der konzisen Analyse ökonomischer und historischer Zusammenhänge. Gegen die „moderne Menschenjagd“ fordert die Autorin das Einschreiten der Industrieländer. So sollten deren Arzneimittelbehörden künftig nur Tests in Entwicklungsländern akzeptieren, wenn schriftliche Einwilligungen der Getesteten vorliegen. Zudem sollten die Behörden nur Medikamente zulassen, die besser wirken als bereits verfügbare. Bislang müssen die Firmen nur nachweisen, dass ihr Mittel wirksamer ist als ein Placebo. Eric Breitinger

 

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe

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