"Atlas der Zivilgesellschaft": Aktivistinnen zunehmend bedroht

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Demonstration für Frauenrechte und gegen Gewalt (Archivbild aus Mexiko)
Wer sich für Menschenrechte einsetzt, muss vermehrt Angriffe fürchten. Bedroht sind vor allem Frauen, die sich politisch und gesellschaftlich engagieren.

Berlin (epd). Das Erstarken nationalistischer und fundamentalistischer Bewegungen weltweit gefährdet zunehmend die Freiheits- und Menschenrechte. Das geht aus dem aktuellen "Atlas der Zivilgesellschaft" hervor, den das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" und das internationale Netzwerk Civicus am Mittwoch in Berlin veröffentlichten. Demnach leben aktuell nur rund drei Prozent der Weltbevölkerung - also 259 Millionen Menschen - in 43 Staaten, die die Grundrechte respektieren und schützen. Im Vorjahr waren es vier Prozent. Besonders gefährdet sind laut dem Atlas Frauen, die politisch und gesellschaftlich aktiv sind.

Von Zensur bis Mord

Von insgesamt 536 gemeldeten Angriffen auf zivilgesellschaftliche Tätigkeiten, die Civicus zwischen dem 1. Oktober 2018 und 11. November 2019 ausgewertet hat, richteten sich mit 22 Prozent die meisten gegen Frauen. Bei der nicht repräsentativen Auswahl gehe es um staatliche Zensur, Festnahmen, Gesetzen gegen Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Gewalt gegen Protestierende bis hin zum Mord. Menschenrechtsverteidigerinnen seien besonders auch von sexualisierten Belästigungen etwa in sozialen Medien betroffen sowie von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung. Weit verbreitet sei es zugleich, die Kinder und Familien dieser Frauen zu attackieren.

Vor allem in Lateinamerika und in Osteuropa mehrten sich Vorwürfe gegen Aktivistinnen, dass sie mit "Gender-Ideologie" die gesellschaftliche Ordnung destabilisierten und die Wehrhaftigkeit ihres Volks untergraben wollten. 14 Prozent der gemeldeten Angriffe betrafen ferner Homosexuelle oder Transgender-Aktivisten, gefolgt von Gewerkschaften, Umweltgruppen, Jugendlichen sowie von Flüchtlingen und Migranten.

Beispiel Brasilien

Verschlechterungen habe es etwa in Brasilien gegeben, wo der ultrarechte Ex-Militär Jair Bolsonaro am 1. Januar 2019 als Präsident vereidigt wurde. Fast täglich würden in dem Land Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Die Aktivistin Maria Betânia Àvila beschreibt, dass der religiöse Fundamentalismus eine sehr große Herausforderung sei. Es gebe eine Allianz zwischen Regierung, konservativen, neoliberalen und fundamentalistischen Kräften in der Gesellschaft, wie einigen Pfingstkirchen. "Diese Gruppierungen vertreten offen frauenverachtende Positionen, stellen grundlegende sexuelle und reproduktive Rechte infrage, verurteilen Feministinnen und Feministen und rufen zur Gewalt auf."

Brasilien sei in Lateinamerika kein Einzelfall. In vielen Ländern der Region setzten sich besonders Frauen für Umweltschutz und Landrechte ein. Das mache sie häufig zur Zielscheibe von korrupten Politikern, kriminellen Banden, Investoren oder Großgrundbesitzern.

Keine Kritik erlaubt

Die Präsidentin von "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, betonte, es seien häufig Frauen, die Entwicklungs- und Versöhnungsprozesse forcierten und positive Veränderungen anstießen. Sie rief die Bundesregierung auf, "in Bereichen wie der Außenwirtschaftshilfe jede Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen vermeiden".

In 153 von 196 untersuchten Ländern wurden laut Atlas die Freiheit der Meinungsäußerung und das Recht auf friedliche Versammlung mindestens behindert. Weltweit müssten drei Milliarden Menschen in 38 Staaten fürchten, überwacht, eingeschüchtert, inhaftiert, verletzt oder sogar getötet zu werden, wenn sie die Machthaber in ihrem Land kritisierten: Das sind knapp 40 Prozent der Weltbevölkerung. In 24 Ländern mit zwei Milliarden Menschen werden Kritik und Proteste gewaltsam unterbunden.

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