EU warnt vor humanitärer Katastrophe in Äthiopien

Genf/Addis Abeba - Im Konflikt im Norden von Äthiopien zeigt die Zentralregierung weiter Härte. Die Staatsanwaltschaft stellte Haftbefehle gegen 64 Mitglieder der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) wegen Hochverrats aus, wie der regierungsnahe Privatsender Fana BC am Freitag berichtete. Auch gegen den bisherigen Regierungschef der Tigray-Region und TPLF-Führer, Debretsion Gebremichael, gehen die Behörden vor. Zudem begann die Zentralregierung mit dem angekündigten Austausch der Regionalregierung von Tigray. Ministerpräsident Abiy Ahmed teilte mit, ein neuer Gouverneur sei ernannt worden. Die UN forderten derweil die Untersuchung eines möglichen Massakers an Zivilisten. Experten warnen vor einer weiteren Eskalation.

Die Zentralregierung unter Abiy und die TPLF liefern sich seit Anfang November heftige militärische Kämpfe um die Kontrolle über die Tigray-Region. Die TPLF fordert mehr Autonomie. Nach Angaben von Amnesty International wurden bei einem Massaker an Zivilisten am Montag wahrscheinlich Hunderte Menschen getötet. Weil die Region weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten ist, gab es aber keine unabhängige Bestätigung der Entwicklungen in Tigray oder Angaben zu den Tätern. Journalisten werden laut "Reporter ohne Grenzen" an der Berichterstattung zum Konflikt gehindert, mehrere Medienschaffende wurden festgenommen.

UN-Menschenrechtskommissarin fordert Untersuchung des möglichen Massakers

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, forderte eine Untersuchung des möglichen Massakers. Falls sich die Berichte bestätigen ließen, müsse von einem Kriegsverbrechen ausgegangen werden. Sie warnte zudem vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. Die Kämpfe drohten völlig außer Kontrolle zu geraten, erklärte sie in Genf. 

Derweil beschuldigte die äthiopische Zentralregierung die TPLF, für das Massaker verantwortlich zu sein. Regierungsmitglied Bikila Hurissa sagte in einem Interview mit dem britischen Sender BBC, TPLF-Anhänger seien auf der Flucht vor dem Militär in ein Dorf eingedrungen und hätten alle Bewohner angegriffen, die nicht dem Volk der Tigray angehörten.

Die EU-Kommission warnte vor einer humanitären Katastrophe. "Die militärische Eskalation in Äthiopien bedroht die Stabilität des ganzen Landes und der Region", sagte der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Das Risiko, dass die Gewalt sich ausbreite, sei sehr real. Lenarcic forderte die äthiopische Regierung auf, den Hilfsorganisationen schnell und bedingungslos Zugang zur Region Tigray zu gewähren.

Expertin: Destabilisierung des Sudan droht

Die Äthiopien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Annette Weber, sagte: "Wenn sich der Konflikt regional ausweitet, würde das zu großen Migrationsschüben auch nach Europa führen." Es könne zudem sein, dass das Nachbarland Sudan wieder destabilisiert werde. "Alle Beobachter in der Region sind sehr nervös." Nach UN-Schätzungen sind seit Anfang der Woche bereits mehr als 7.000 Menschen in den Sudan geflohen.

Auslöser der militärischen Konfrontation war ein mutmaßlicher Angriff der TPLF auf eine Militärbasis Anfang November. Der Angriff verschärfte die seit Monaten bestehenden Spannungen zwischen Addis Abeba und Tigray um die für den Sommer geplanten Parlamentswahlen. Ministerpräsident Abiy hatte die Wahlen wegen der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Regionalregierung hatte daraufhin im September Wahlen abgehalten, die Abiy für ungültig erklärte. Abiy, der sich zunächst stark um Aussöhnung der verschiedenen Ethnien im Land bemüht hatte, wurde 2019 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
 

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