Historischer Machtwechsel in Brasilien: Lula gewinnt Präsidentenwahl

Berlin/São Paulo - Wahlkrimi in Brasilien: Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen hat der Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva die Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien knapp gewonnen. Lula, der Brasilien bereits von 2003 bis 2011 regierte, erhielt 50,9 Prozent der Stimmen, wie die Wahlbehörde am Sonntagabend (Ortszeit) mitteilte. Auf den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro entfielen 49,1 Prozent der Stimmen. Es ist das knappste Ergebnis zwischen zwei Finalisten einer Präsidentschaftswahl in Brasilien nach der Militärdiktatur (1964-1985). Der Unterschied beträgt 2,1 Millionen Stimmen.

In seiner ersten Ansprache versprach Lula am Sonntagabend, das Land zu versöhnen. „Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk.“ Nun sei der Moment gekommen, den Frieden wiederherzustellen und die Waffen niederzulegen. „Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren“, sagte der 77-Jährige in São Paulo. Den von Fake News und Diffamierungen geprägten Wahlkampf nannte er kriminell. Tausende seiner Anhänger verfolgten die Auszählung der Stimmen live im Stadtzentrum von São Paulo. Als kurz vor 20 Uhr Ortszeit der Wahlsieg von Lula feststand, brach Jubel aus.

Amtsinhaber Bolsonaro äußerte sich bislang noch nicht zum Wahlsieg. Selbst seine engsten Mitarbeiter konnten ihn laut brasilianischer Medien nicht erreichen. Er sei früh ins Bett gegangen, hieß es. Viele Brasilianer befürchten, dass der Ex-Militär das Wahlergebnis nicht akzeptieren wird. Bolsonaro hatte im Wahlkampf das elektronische Wahlsystem infrage gestellt und mit Behauptungen über Wahlbetrug provoziert. In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder gewaltsame Aktionen von Alliierten Bolsonaros gegeben.

Verschiedene Vertreter von staatlichen Institutionen machten jedoch noch in der Wahlnacht klar, dass sie das Wahlergebnis anerkennen würden. So erklärte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Arthur Lira, der als Verbündeter von Bolsonaro gilt, die Wahlen seien sauber und einwandfrei verlaufen.

Die Wahlen zeigen die tiefe politische Spaltung des größten Landes in Lateinamerika. Der Ex-Gewerkschaftsführer Lula hat seine stärksten Unterstützer im armen Nordosten und unter den Menschen mit einem geringen und mittleren Einkommen. Bolsonaro hatte seine Anhänger im Wahlkampf mit einer gewaltigen Kampagne über die sozialen Medien mobilisiert und Fake News über seinen Kontrahenten verbreiten lassen. Auf seiner Seite stehen das Militär, die Polizei und mehrheitlich Unternehmer, vor allem aus dem Agrarbusiness.

Lula versprach in der Wahlnacht, die Armut weiter zu bekämpfen, eine neue Industriepolitik und Brasiliens Rückkehr in die internationale Gemeinschaft. Brasilien dürfe nicht weiter der weltweite Paria sein, erklärte Lula. Auch sei Brasilien bereit, in der Klimapolitik seine Führungsrolle wieder aufzunehmen. Unter Bolsonaro hatte die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwaldes stark zugenommen. Er hatte zahlreiche Gesetzgebungen zum Schutz des Amazonas ausgehöhlt.

Die Wahlen selbst verliefen ohne große Zwischenfälle. Lediglich im Nordosten, einer Hochburg von Lula, versuchte die Autobahnpolizei, Busse mit Wählern davon abzuhalten, zu den Wahllokalen zu gelangen. Der Chef der Autobahnpolizei hatte zuvor zur Wahl Bolsonaros aufgerufen. Zahlreiche Videos über blockierte Straßen kursierten in den sozialen Medien.

Lula wurde 2018 wegen Korruption und Geldwäsche zu einer Gefängnisstrafe von mehr als zwölf Jahren verurteilt. Lula selbst nannte seine Verurteilung politisch motiviert. 2021 erhielt er sämtliche politischen Rechte zurück, nachdem der Oberste Gerichtshof die Urteile gegen ihn aufgehoben hatte. Seine Inhaftierung hatte damals den Wahlsieg von Bolsonaro geebnet.

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