Sturm auf brasilianischen Kongress: Scharfe Kritik an der Polizei

Der gewalttätige Sturm auf brasilianische Institutionen durch Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Bolsonaro hat international für Entrüstung gesorgt. Im Land selbst schürte er Angst vor einem Putsch. Präsident Lula gab sich kämpferisch.

Berlin/São Paulo - Nach dem Sturm auf den Kongress durch militante Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro wird immer mehr Kritik an den Sicherheitskräften laut. Mehrere Stunden konnten sich die Angreifer am Sonntag (Ortszeit) in der Hauptstad Brasília im Gebäude des Kongresses, des Justizministeriums und des Obersten Gerichts aufhalten, ohne auf nennenswerten Widerstand durch die Polizei zu stoßen. Anstatt die Randalierer aufzuhalten, applaudierten Polizisten oder machten gut gelaunt Fotos, wie auf zahlreichen Handy-Videos zu sehen ist. Erst am Abend griffen Spezialkräfte ein und räumten die Gebäude. Laut Justizministerium wurden mehr als 200 Menschen festgenommen.

Bilder des TV-Senders „O Globo“ zeigten, wie Bolsonaro-Anhänger Möbel und Fenster zerstörten, teils wertvolle Kunstwerke mutwillig beschädigten, Feuer legten und Computer aus dem Fenster warfen. Die Bilder verbreiteten sich schnell im ganzen Land und schürten die Angst vor einem Putsch. Seit Wochen protestieren Bolsonaro-Anhänger vor Kasernen und fordern das Eingreifen des Militärs, weil die Wahlen im Oktober ihrer Behauptung nach manipuliert wurden.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der seit dem 1. Januar im Amt ist, erklärte in der Nacht auf Montag, nachdem er die Schäden gesichtet hatte, die Putschisten würden identifiziert und bestraft. Am Sonntag hatte er während eines Besuchs bei Flutopfern in der südlichen Stadt Araraquara ein Dekret unterzeichnet, mit dem die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt. Doch zu dem Zeitpunkt randalierten die Bolsonaro-Anhänger bereits seit Stunden in der Hauptstadt. Es war schon seit Tagen bekannt, dass sich ultrarechte Bolsonaro-Anhänger in Brasília zu Protesten versammeln wollen.

Guterres: "Brasilien ist eine große Demokratie"

Die Gewalt wurde international scharf verurteilt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, die gewalttätigen Attacken seien ein Angriff auf die Demokratie, der nicht zu tolerieren sei. US-Präsident Joe Biden nannte den Angriff „ungeheuerlich“. Er versicherte auf Twitter, die demokratischen Institutionen Brasiliens hätten die vollständige Unterstützung der USA und er freue sich auf seine weitere Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Präsidenten Lula.

UN-Generalsekreter António Guterres erklärte, der Willen des brasilianischen Volkes müsse respektiert werden. Er habe vollstes Vertrauen in die brasilianischen Institutionen habe. „Brasilien ist eine große Demokratie.“ Auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs lateinamerikanischer Länder äußerten ihre Solidarität.

Sicherheitschef wurde entlassen

Lula bezeichnete die Angreifer als Faschisten und warf der Polizei „Inkompetenz, Böswilligkeit oder Bosheit“ vor, weil sie nicht eingegriffen hatte. Vor allem die Militärpolizei gehört zu den treuesten Anhängern Bolsonaros. Der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, ehemaliger Justizminister der Bolsonaro-Regierung, wurde aus dem Amt entlassen. Der Gouverneur des Distrikts Brasília, Ibaneis Rocha, - ebenfalls ein Bolsonaro-Verbündeter - wurde vom Obersten Gerichtshof für 90 Tage suspendiert.

Rocha hatte versichert, die Lage unter Kontrolle zu haben, obwohl bereits am Samstag zahlreiche Busse mit Demonstranten in Brasília angekommen waren. Trotz der Bitte des Justizministeriums, den Platz zwischen dem Kongress, dem Obersten Gericht und dem Justizministerium zu sperren, wurden Demonstranten mit Polizei-Eskorte dorthin geleitet, wie Videos zeigen. Die Szenen erinnern an den Sturm auf das US-amerikanische Kapitol am 6. Januar 2021.

Bolsonaro war vor der Amtsübergabe an Lula auf Anraten seiner Anwälte in die USA gereist, um sich strafrechtlichen Ermittlungen zu entziehen. Vor seinem Abflug rief er seine Anhänger zum Kampf gegen Lula auf. Er weise unbewiesene Vorwürfe zurück, erklärte er in der Nacht auf Montag. Während seiner Amtszeit habe er sich immer im Rahmen der von der Verfassung vorgegebenen Grenzen bewegt. Plünderungen und der Überfall öffentlicher Gebäude entsprächen nicht den Regeln.

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