Afghanistan-Expertin: Laute Rufe nach roten Linien kontraproduktiv

Berlin - Laute Rufe nach roten Linien werden von den Menschen in Afghanistan nach Einschätzung der früheren Leiterin des Kabuler Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ellinor Zeino, als kontraproduktiv wahrgenommen. Sie sagte am Donnerstag bei einem Online-Gespräch, dass es vor Ort wenig nutze und manchmal sogar schade, wenn Frauenrechte oder die Rechte von Minderheiten als ausländische Agenda angesehen würden. Dies hätten ihr viele Gesprächspartner gesagt, auch aus der Zivilgesellschaft, betonte Zeino, die bis vor wenigen Tagen bei einem zweiwöchigen Besuch in dem Land am Hindukusch war.

Beim Thema Umgang mit den Taliban gingen die Diskurse der Menschen in Afghanistan und die der afghanischen Diaspora sehr stark auseinander. So werde in Kabul wenig emotional über eine Anerkennung der Taliban-Regierung durch andere Staaten diskutiert. Die Menschen dort hielten es für gut, wenn mit der afghanischen Regierung gesprochen werde, weil das der einzige Weg nach vorn sei. Sie forderten, es solle hart verhandelt werden, aber auch behutsam, pragmatisch und Schritt für Schritt.

Laut Zeino sind auch unter den Taliban Pragmatiker, die für die Schulbildung von Mädchen seien. Diese hofften nun auf den Einfluss anderer muslimischer Staaten. Sie habe erfahren, dass etwa Saudi-Arabien Taliban zur Pilgerfahrt, dem Hadsch, nach Mekka einlade - und anschließend stehe die Besichtigung einer Mädchenschule auf dem Programm. Deutschland und Frankreich seien derweil die Länder mit den schärfsten roten Linien gegenüber der afghanischen Regierung. In Deutschland hänge das mit der feministischen Außenpolitik zusammen.

Die Stiftungsmitarbeiterin, die aktuell das Regionalprogramm Südwestasien leitet, wies überdies auf die „inhumane Situation“ von in Pakistan gestrandeten afghanischen Frauen hin, die einst wohl auch von einigen deutschen Nichtregierungsorganisationen aus Afghanistan geschleust wurden, ohne dass diese über Reisedokumente oder Aufnahmezusagen verfügten. Manche von ihnen müssten sich jetzt in Islamabad prostituieren. Sie könnten weder weiterreisen noch zurückkehren.

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