UN-Hochkommissar beklagt Eskalation der Gewalt in Haiti

In Haiti wurden laut UN in diesem Jahr bereits mehr als 1.400 Menschen getötet. Der Karibik-Staat versinkt nach Schilderungen der Landesdirektorin der Welthungerhilfe, Annalisa Lombardo, im Chaos.

Genf - Die Gewalt durch kriminelle Banden in Haiti hat nach Einschätzung von UN-Hochkommissar Volker Türk eine neue Stufe der Brutalität erreicht. Bis zum 20. März seien in diesem Jahr bereits 1.434 Menschen getötet und 797 weitere verletzt worden, erklärte der Menschenrechtskommissar am Dienstag in Genf. Die ersten drei Monate seien somit der Zeitraum mit den meisten Gewaltopfern seit Einführung eines UN-Überwachungsmechanismus vor zwei Jahren. Auch die sexuelle Gewalt habe ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht.

Auch die Landesdirektorin der Welthungerhilfe in Haiti, Annalisa Lombardo, beklagte die katastrophalen Zustände in dem Karibik-Staat. „Seit die Gewalt am 29. Februar eskalierte, leben wir in einem Belagerungszustand“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in der Hauptstadt Port-au-Prince. Dort kontrollieren bewaffnete Gangs die Armenviertel und greifen die öffentliche Infrastruktur an.

Viele ärmere Stadtviertel erlebten regelrechte „Nächte des Terrors mit wilden Schießereien“, Tausende Menschen hätten fliehen müssen, sagte Lombardo. An Nachschub von Waffen und Munition mangelt es den Gangs offensichtlich nicht. Viele Kliniken und ein Drittel der Schulen mussten wegen der Gewalt der Banden schließen. In den vergangenen Tagen seien in der Hauptstadt zwei Schulen niedergebrannt worden, berichtete Lombardo.

Seit Ende Februar eskaliert die Gewalt in dem auch davor ärmsten Land Lateinamerikas. Kriminelle Banden kontrollieren inzwischen große Teile Haitis und fast die gesamte Hauptstadt. Industrienationen wie die USA, die EU und Deutschland haben ihr Personal aus dem Land abgezogen.

Mitte März war Haitis Interimsregierung zurückgetreten, ein Übergangsrat soll das Land zu Neuwahlen führen. Obwohl Haiti sehr stark von Importen abhängig ist, sind die großen Häfen wegen der Gewalt geschlossen, Lebensmittel und Benzin sind knapp. Die letzten Handelsschiffe legten am 5. März an.

Insbesondere die Stadtbewohner auf der Flucht befinden sich laut Lombardo in einer äußerst kritischen humanitären Situation. „Von den über 360.000 Vertriebenen von Port-au-Prince suchten allein in den letzten Wochen 30.000 Zuflucht auf dem Land.“

Außerhalb von Port-au-Prince sei die Lage unterschiedlich. Während ein guter Teil der Bauernfamilien weiter ihr Land bewirtschaften könne, sei die Gewalt in einigen Regionen allgegenwärtig. Als Beispiel nannte Lombardo den Landesteil Artibonite, das ehemals florierende Zentrum des Reisanbaus: „Heute droht den Bewohnern von Artibonite eine Hungersnot, niemand bestellt mehr sein Land, alle versuchen, das ökonomisch zweitwichtigste Departement Haitis zu verlassen“, sagt die Landesdirektorin der Welthungerhilfe.

Die Krise in Haiti, einst stolze karibische Nation, die aus dem Sklavenaufstand gegen die Kolonialmacht Frankreich entstand, spitzt sich seit Jahren zu. 2016 konnte die Bevölkerung letztmals an Wahlen teilnehmen. 2021 fiel Präsident Jovenel Moïse einem Mordanschlag zum Opfer, sein Stellvertreter Ariel Henry übernahm als Interimsregierungschef - mit dem Versprechen, baldige Neuwahlen einzuleiten. Diese wurden jedoch immer wieder verschoben. Das Parlament und der Senat sind aufgelöst, der Oberste Gerichtshof tagt nicht mehr.

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