Kenia: Entführungen von Kritikern an der Tagesordnung

Seit heftigen Protesten im Juni verschwinden in Kenia immer wieder Regierungskritiker. Manche tauchen lebend wieder auf, andere tot, wieder andere gar nicht. Jüngst traf es auch ausländische Oppositionelle. Der Druck auf Präsident Ruto steigt.

Nairobi - Alle paar Tage verschwindet in Kenia eine Kritikerin oder ein Kritiker der Regierung von Präsident William Ruto. Seit im Juni Proteste gegen ein Steuergesetz begannen, sind laut der Kenianischen Menschenrechtskommission mehr als 80 Personen verschleppt worden. Bis Ende des Jahres fehlte von knapp 30 von ihnen weiterhin jede Spur.

Wer genau für die Entführungen verantwortlich ist, ist unklar. Die Polizei steht dabei ebenso unter Verdacht wie der Geheimdienst. Beide bestreiten jedoch bisher jegliche Beteiligung. In einem Fall haben Überwachungskameras eine Entführung aufgenommen. Darin sind Männer in Zivil zu sehen, die einen jungen Mann überwältigen und in ein Auto zerren. Manche Verschleppten tauchen Tage oder Wochen später wieder auf, andere werden tot aufgefunden.

Sogar ein Regierungsmitglied bezichtigt den Geheimdienst der Entführung seines Sohnes: Der Minister für den öffentlichen Dienst, Justin Muturi, erklärte, sein Sohn sei während der Proteste gegen die Regierung vom Nationalen Nachrichtendienst verschleppt und erst nach dem persönlichen Eingreifen von Präsident Ruto wieder freigelassen worden.

Ruto gerät immer mehr unter Druck und kündigte Ende Dezember an, den Entführungen ein Ende setzen zu wollen. Der Rechtsanwalt Nathans Browne sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Behörden seien seit den unerwarteten Protesten im Juni im Panikmodus.

Für Schlagzeilen sorgt auch der Fall von vier jungen Männern, die laut Medienberichten Mitte Dezember in Mlolongo südlich der Hauptstadt Nairobi verschleppt wurden. Von zweien fehlt weiterhin jede Spur, zwei sind inzwischen tot gefunden worden. Das Hohe Gericht in Nairobi hatte mehrfach die Freilassung der Männer gefordert und den Generalinspektor der Polizei sowie den Leiter der Kriminalpolizei wiederholt vorgeladen, lange Zeit erfolglos. Schließlich erschienen sie vor Gericht, gaben jedoch an, nichts zu wissen.

Der beliebte Karikaturist Kibet Bull hingegen tauchte zwei Wochen nach seiner Entführung an Weihnachten wieder auf. Bekannt wurde er mit Schwarz-Weiß-Cartoons auf der Internetplattform X mit Silhouetten, die Präsident Ruto ähnlich sehen. Bevor er verschleppt wurde, postete er ein Bild von der Figur, wie sie Jesus am Kreuz auspeitscht. Nach seiner Freilassung, eigenen Angaben zufolge mehrere Autostunden von seinem Wohnort Nakuru entfernt, sagte er Journalisten, er sei körperlich unversehrt, könne aber nicht über seine Erfahrungen sprechen.

Die Ereignisse erinnern viele Kenianerinnen und Kenianer an das Vorgehen des früheren Präsidenten Daniel arap Moi, der das Land zunehmend autoritär von 1978 bis 2002 regierte. In den 1980er und 90er Jahren verschwanden regelmäßig Personen, die sich kritisch geäußert hatten. Ein Teil überlebte die berüchtigten Folterkammern im Nyayo Haus in der Hauptstadt Nairobi nicht. Zugleich war Moi ein politischer Mentor von Präsident Ruto. Nun erlebe Kenia die Rückkehr zu den Moi-Methoden, sagte die Vorsitzende der Anwaltskammer, Faith Odiambo, in einem Interview mit einem kenianischen Radiosender.

Auch Regierungskritiker aus den Nachbarländern sind in Kenia scheinbar nicht sicher. Im Dezember wurde der ugandische Oppositionspolitiker Kizza Besigye in Nairobi von ugandischen Sicherheitskräften verhaftet und unter anderem wegen Hochverrats vor einem Militärgericht angeklagt. Ihm droht nun die Todesstrafe. Mehrere Stunden verschwunden war unterdessen auch die tansanische regierungskritische Aktivistin und Journalistin Maria Sarungi Tsehai. Sie vermutet, dass die Bewaffneten, die sie am 12. Januar in ein Auto zwangen, kenianische und tansanische Agenten waren. Amnesty International sprach von einem sehr gefährlichen Präzedenzfall.

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