Berlin - Das Entwicklungsministerium muss angesichts geplanter Milliardenkürzungen seinen Kurs neu ausrichten. Laut aktuellem Haushaltsentwurf stehen dem Haus von Ministerin Reem Alabali Radovan (SPD) 2025 rund eine Milliarde Euro weniger zur Verfügung, im kommenden Jahr sollen weitere 330 Millionen Euro wegfallen. Welche Schwerpunkte die Bundesregierung künftig setzen will, ist noch offen. Experten sehen in der Neuaufstellung auch eine Chance für eine grundlegende Reform.
Dass die Kürzungen im Entwicklungsetat besonders stark schmerzen, liegt auch daran, dass dieser jahrelang nur wuchs. Einen deutlichen Aufwuchs gab es ab 2016 unter CSU-Minister Gerd Müller, der sich die Bekämpfung von Fluchtursachen auf die Fahnen geschrieben hatte. Die zur Verfügung stehenden Mittel stiegen danach von 7,42 Milliarden Euro (2016) kontinuierlich auf den bislang höchsten Wert von 13,8 Milliarden Euro im Jahr 2022.
Die Hilfsorganisationen passten sich dem rasanten Wachstum an. Laut dem Direktor des „Centre for Humanitarian Action“ (CHA), Ralf Südhoff, wurde die Arbeitsteilung zwischen den UN-Organisationen, Regierungen und Entwicklungsorganisationen dabei zunehmend verwischt. „Helfer kritisieren teils selbst, dass heute alle im Grunde alles ein bisschen machen würden“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Organisationen hätten sich in dieser Wachstumsphase breiter aufgestellt und Themen bedient, die das Ministerium für besonders förderungswürdig erachtete - wie Klima- oder Genderthemen.
Trotz der drastischen Kürzungen sieht Südhoff die Krise auch als Chance für überfällige Reformen. „Das deutsche Engagement ist zu kleinteilig und fragmentiert zwischen zahlreichen Ländern, verschiedenen Programmen zu Entwicklung, Friedensförderung und Stabilisierung“, diagnostiziert er. Diese Programme sollen nun noch um weitere Ziele wie Förderung der deutschen Wirtschaft erweitert werden. Es sei zwar klar, dass man mit weniger Mitteln nicht mehr leisten könne. „Trotzdem wäre es hilfreich, wenn die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit die Krise im System nutzen, um sich über einen sinnvollen Reformprozess Gedanken zu machen“, sagte der CHA-Direktor.
Südhoff plädiert dafür, die Hilfe lokaler zu organisieren, um die Wirksamkeit zu steigern. Er schlägt vor, dass Geber größere Summen in sogenannte Pool Funds geben, die dann lokal verwaltet und auf unterschiedliche Organisationen verteilt werden. Lokale Akteure seien nicht nur kostengünstiger als internationale Kräfte, sondern könnten auch besser entscheiden, was vor Ort wirklich gebraucht werde.
Ministerin Alabali Radovan hat einen Reformprozess in ihrem Haus bereits angekündigt. Dieser solle bis zum Jahresende laufen und darauf abzielen, die Mittel neu zu priorisieren. „Wir werden uns nicht aus ganzen Regionen zurückziehen. Wir orientieren uns eher thematisch“, erläuterte die Ministerin ihr Vorhaben im Interview mit dem epd. Zudem versucht die SPD-Politikerin über andere Kanäle Gelder für die Entwicklungsländer zu mobilisieren, zum Beispiel über Privatinvestitionen.
Der Politikwissenschaftler Stephan Klingebiel begrüßt die Initiative der Ministerin, mehr auf die Privatwirtschaft zu setzen. „Gleichzeitig brauchen wir die öffentlichen Mittel für Investitionen in Entwicklungsländern, zum Beispiel um Straßen, Schulen und Krankenhäuser zu bauen“, sagte der Wissenschaftler vom IDOS-Institut, das sich auf entwicklungspolitische Themen fokussiert, dem epd.
Klingebiel hält eine Reform für unumgänglich. Die Zahl der Themen und Sektoren müsse ebenso reduziert werden wie die Zahl der Partnerländer. Zudem braucht es dem Politikwissenschaftler zufolge eine Bestandsaufnahme, um die Planungs- und Umsetzungsprozesse zu verbessern. Entscheidend sei dabei eine stärkere Steuerung durch die Politik. „Die Bundesregierung muss dazu in der Lage sein zu sagen, klar zu formulieren, was sie will - und darf das nicht allein den Durchführungsorganisationen überlassen“, sagte Klingebiel.
Beide Experten sind sich jedoch einig, dass die Kürzungen zur Unzeit kommen. Sie treffen auf ein ohnehin überlastetes internationales Hilfssystem. Zwar könne Deutschland die Lücke, die die USA hinterlassen haben, nicht füllen, sagte Südhoff. „Aber dass Deutschland in dieser globalen Krise nicht einmal seine Beiträge stabil hält, ist wirklich dramatisch und verantwortungslos.“ Klingebiel sprach von einem negativen Signal, das Deutschland aussende. „In einer Situation, in der der Bundeshaushalt wächst, streichen wir den Entwicklungshaushalt zusammen“, sagte er. Das schwäche Deutschlands Ansehen in der Welt.