Aktivistin: Proteste könnten eine Wende für Madagaskar bringen

Nairobi/Antananarivo - Die derzeitigen Proteste in Madagaskar könnten nach Einschätzung der Aktivistin Ketakandriana Rafitoson ein Wendepunkt für den Inselstaat werden. „Die Jugend auf den Straßen fordert nicht weniger als einen neuen Gesellschaftsvertrag, in dem der Staat dem Volk dient und nicht den Interessen der Eliten“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Frustration über das egoistische Verhalten der Mächtigen habe ein neues Niveau erreicht. Sollte die Regierung weiter Symbolik anstelle von Substanz liefern, werde sich die Krise verschärfen und Madagaskar in eine anhaltende Instabilität stürzen, sagte die Menschenrechtlerin.

Seit dem 25. September gehen in Madagaskar Tausende junge Menschen auf die Straße, um gegen das Regierungsversagen zu protestieren. Auslöser sind die anhaltenden Strom- und Wasserausfälle. Doch mittlerweile gehe es nicht nur um das Nötigste, erklärte Rafitoson, die unter anderem stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Madagaskar ist. "Sie wollen Würde, Rechenschaftspflicht und eine Stimme in der Gestaltung des Staates.”

Die Protestierenden sind meist unter 30 und sie organisieren sich vor allem über Facebook als „GenZ”. Ihr Symbol ist - wie auch bei Protesten unter anderem in Nepal, Indonesien, Peru und Frankreich - ein Totenschädel mit Strohhut aus der japanischen Anime-Serie “One Piece”.

Bisher habe sich in Madagaskar oft das gleiche Skript wiederholt, sagt die Politikwissenschaftlerin. Erst bilde sich Unmut, dann begännen Proteste, die Regierung mache Versprechen - und am Ende ändere sich nichts. Doch die aktuellen Protestierenden hätten eine andere Bestimmtheit. „Sie sind aufgewachsen mit Armut, Korruption und institutionellem Verfall”, sagte Rafitoson. “Eine Generation, die nichts mehr zu verlieren hat, könnte durchaus diejenige sein, die alles verändert."

Mehr als drei Viertel der knapp 33 Millionen Einwohner des Inselstaates leben nach Angaben der Weltbank unterhalb der Armutsgrenze, im Korruptionsindex von Transparency International liegt das Land auf Platz 140 von 180.

Rafitoson zufolge haben die jungen Demonstrantinnen und Demonstranten starken Rückhalt in der Gesellschaft. Die Sicherheitskräfte allerdings reagierten auf die Proteste mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bisher mindestens 22 Menschen getötet und mehr als 100 Menschen verletzt worden. Am Montag hatte Präsident Andry Rajoelina als Reaktion auf die Proteste die Regierung entlassen. Nun fordern die jungen Menschen den Rücktritt des Präsidenten.

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