Evangelische Kirche positioniert sich neu zu militärischer Gewalt

10. November 2025
Von Franziska Hein und Karsten Frerichs (epd)
Die evangelische Kirche tritt für Frieden ein. Dass zur Sicherung von Frieden unter Umständen auch Gewalt angewendet werden muss, stellt ein neues Grundsatzpapier heraus.

Dresden - Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat angesichts der aktuellen Krisen und Konflikte ihre Position zu militärischer Gewalt neu justiert. Ein Staat dürfe die Mittel haben, seine Bürger durch Gegengewalt vor Gewalt zu schützen, sagte die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs am Montag in Dresden bei der Präsentation einer neuen Friedensdenkschrift mit dem Titel „Die Welt in Unordnung“. Doch Gewalt könne nur das letzte Mittel sein und müsse konsequent der Herrschaft des Rechts unterstellt bleiben.

Das neue Grundsatzpapier des Rates der EKD entstand aus friedensethischen Debatten rund um die Kontroverse über Waffenlieferungen an die Ukraine infolge des russischen Angriffskriegs. Fehrs sagte, die Denkschrift wolle helfen, den Frieden zu bewahren, „indem sie einen Kompass gibt durch diese Zeit voller Bedrohungen“. Sie diene auch der individuellen Gewissensentscheidung. Es gehe darum, dass Deutschland „friedenstüchtig“ ist.

Die Denkschrift vertritt das Leitbild eines „gerechten Friedens“, für den vier Dimensionen erfüllt sein müssen: der Schutz vor Gewalt, die Förderung von Freiheit, der Abbau von Ungleichheiten und ein friedensfördernder Umgang mit Pluralität. Dem Schutz vor Gewalt, für den auch der Einsatz militärischer Mittel als „ultima ratio“ legitim ist, wird in dem neuen Grundsatzpapier aber eine Vorrangstellung eingeräumt.

„Kein Manifest, sondern ein Werkzeug“

Der Münchner Theologe Reiner Anselm aus dem Autoren-Team sagte, es sei aus den Debatten im Vorfeld bekannt, dass manche auf das Papier mit Skepsis blicken und es als zu nüchtern und realistisch sehen. „Wir wollten kein Manifest, sondern ein Werkzeug“, sagte er vor den Delegierten der in Dresden tagenden EKD-Synode.

Friedensverbände in der evangelischen Kirche übten Kritik an der Denkschrift. Sie fokussiere sich darauf, militärisches Handeln friedensethisch zu rehabilitieren, heißt in einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), die in Bonn veröffentlicht wurde. Der Vorstand der Bonhoeffer-Niemöller-Stiftung erklärte in Wiesbaden, das Ziel, die Institution des Krieges aus der internationalen Politik zu entfernen, sei aufgegeben worden.

Generalmajor Ruprecht von Butler, der vom Rat der EKD in die Synode berufen ist, lobte das Grundsatzpapier, das eine „ganz hervorragende Ausgewogenheit“ biete. Es helfe ihm weiter, wenn er mit jungen Soldatinnen und Soldaten spreche und versuche, ihnen Orientierung zu geben, sagte Butler bei der Aussprache im Kirchenparlament. Wenn er Gewalt anwende als Soldat, müsse er sich mit seinem eigenen Gewissen auseinandersetzen. Dafür gebe ihm die Denkschrift Orientierung.

Frage der Atomwaffen bleibt Dilemma

Waffenlieferungen dürfen laut Denkschrift nur dem Schutz der Bevölkerung und der Wiederherstellung des Friedens dienen. Ein besonderer Punkt ist die Abwägung zur atomaren Abschreckung. Die Denkschrift ächtet Atomwaffen wie bereits das Vorgängerpapier von 2007 weiterhin als friedensethisch nicht zu rechtfertigen, erkennt aber an, dass die Drohung mit Atomwaffen einer wirkungsvollen Verteidigung dienen kann.

Der Friedensbeauftragte der EKD, Friedrich Kramer, sagte bei der öffentlichen Präsentation der Denkschrift in der Dresdner Frauenkirche, er habe dem Rat empfohlen, kirchenpolitisch beim „Atompazifismus“ zu bleiben. Die EKD-Ratsvorsitzende Fehrs entgegnete, die Denkschrift lehne Atomwaffen aus ethischer Sicht ganz klar ab. „Atomwaffen gehören weltweit abgeschafft“, sagte sie. Dass die Drohung mit Atomwaffen in der Denkschrift als Dilemma beschrieben werde, mindere diese Grundhaltung nicht.

10. November 2025
Von Franziska Hein und Karsten Frerichs (epd)
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