Großprojekt am Kongo

Francois Misser
La saga d‘Inga
L‘histoir des barrages du
fleuve Congo
L‘Harmattan, Paris 2013,
228 Seiten, 24 Euro

Der Journalist Francois Misser hat sich kritisch die Pläne für ein neues riesiges Kraftwerk am Kongo-Fluss angeschaut. Er zeichnet die bisherigen Erfahrungen mit der dortigen Stromerzeugung nach und ist skeptisch.

Jede Sekunde stürzen 40.000 Kubikmeter Wasser über die felsigen Katarakte von Inga am Unterlauf des Kongo fast 100 Meter in die Tiefe – nur der Amazonas führt noch mehr Wasser. Und schon seit den frühen Tagen des damals belgischen Kongo sinnierten Forscher, Ingenieure und Kolonialherren darüber, wie diese gewaltige Kraft zu nutzen wäre. Nach jüngsten Berechnungen ließe sich dort die Hälfte der Elektrizität erzeugen, die ganz Afrika braucht. Das entspricht einer Leistung von 40 Kernkraftwerken.

Die Pläne für die Stromerzeugung am Kongo wurden zu Schnittstellen von Mythen, Geopolitik und Geschäftsrivalitäten. François Misser stellt sie im Kontext eines halben Jahrhunderts seit der Unabhängigkeit des Kongo dar. Das ist trotz aller Details und komplexen Zusammenhänge spannend zu lesen, bis hin zum aktuellen Stand der Dinge. Denn in diesen Tagen verhandeln die Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Südafrikas über wieder einen neuen Vertrag für ein Projekt, „Grand Inga“, das fast 40 Gigawatt Strom nach Südafrika liefern soll.

Neben der technischen und finanziellen Seite der Pläne geht Misser der Frage nach, wie wünschenswert ein solches Kraftwerk wäre. Zwar würde auch eine größte Version am Kongo, anders als bei kleineren Projekten in Südamerika oder China nur wenig Ansässige aus dem unzugänglichen und so gut wie unbesiedelten Gebiet vertreiben und kaum Umweltschäden verursachen. Problematisch hingegen ist die Größe des Projektes selbst, das in einem regional-afrikanischen Stromnetz ein fatales Ausfall-Risiko beinhaltet. Ein jüngst vom ostafrikanischen Staatenbund COMESA veröffentlichtes Gutachten nährt diese Skepsis ebenso wie Missers Analyse der bisherigen Inga-Projekte.

Die Hauptstadt bleibt im Dunkeln

Die ersten zwei Inga-Kraftwerke, Inga-I seit 1972 und Inga-II seit 1982, die kaum vier Prozent der Wasserkraft nutzen, haben bisher nie die geplanten Leistungen gebracht und abliefern können. Kongos Hauptstadt Kinshasa, nur 300 Kilometer entfernt, bleibt regelmäßig im Dunkeln, ebenso der noch nähere Hafen Matadi. Die Fernleitung von Inga-II über 1300 Kilometer in die Bergbauregion Katanga im Süden des Kongo kam nie über ein Viertel ihrer geplanten Leistung hinaus. 1983 mit Pomp eingeweiht kann derzeit nur noch ein Viertel ihrer Länge genutzt werden, an der ersten ihrer lediglich drei Schalterstationen.

Die Gleichstrom-Leitung, ausgelegt auf eine halbe Million Volt, war seinerzeit ein Pionierprojekt der westlichen Technik und wurde von Firmen aus den USA, Schweden, Deutschland und der Schweiz errichtet. Die Kosten belasten den Kongo bis heute und machen bis zu einem Viertel seiner Auslandsschulden aus. Den tatsächlichen Nutzen aus diesem Experiment ziehen die Stromnetze, die heute um die Nordsee und in den USA gebaut werden. Denn die Erfahrung mit hochgespanntem Gleichstrom geht hier in die Anbindung von  Windturbinenparks vor den Küsten und in die neuen kontinentalen Fernleitungen ein. (Heimo Claasen)

Erschienen in welt-sichten 11-2013

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