Wie im wirklichen Leben

In ihrem Emigrantendrama „Una Noche – Eine Nacht in Havanna“ schildert die britische Regisseurin Lucy Mulloy, wie drei junge Kubaner die Flucht in die USA wagen. Getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben wollen sie die Alltagssorgen und Repressionen des sozialistischen Karibikstaates hinter sich lassen.

Die junge Lila und ihr Zwillingsbruder Elio sind seit ihrer Kindheit fast unzertrennlich. Gemeinsam ertragen sie die ewigen Streitereien ihrer Eltern und die Unzulänglichkeiten des Alltags im sozialistisch regierten Kuba einfach besser. Doch eines Tages bemerkt Lila, dass Elio oft abgelenkt ist und weniger Zeit für sie hat. Dafür verbringt er mehr Zeit mit seinem neuen Kumpel Raúl, der ebenfalls in einer Hotelküche schuftet. Raúl ist ein attraktiver Draufgänger, der aus Havanna weg will – zu seinem Vater, der vor Jahren nach Miami geflohen ist.

Als Raúl einen westlichen Freier seiner HIV-kranken Mutter, die als Prostituierte arbeitet, schwer verletzt, macht die Polizei Jagd auf ihn. So müssen er und Elio ihren geheimen Plan vorziehen, mit einem selbstgebastelten Floß die 90 Meilen nach Florida zu fliehen. Lila entdeckt in einem Strandversteck das Floß und schließt sich den beiden an. Doch auf dem engen Fahrzeug brechen in der Nacht rasch unterdrückte Spannungen auf.

Jeder fünfte Kubaner lebt bereits im Exil

Das Langfilmdebüt besticht durch eine präzise Schilderung der ärmlichen Lebensbedingungen, mit denen die meisten Einwohner in Havanna zurechtkommen müssen. Jenseits der Klischees von exotischen Schön-heiten, fröhlichen Musikern, nostalgischen US-Straßenkreuzern und dem morbiden Charme verfallener Hausfassaden zeigt die Regisseurin Lucy Mulloy, die in Oxford und New York studiert hat, die Härte des Alltags, der vom Überlebenskampf zwischen Schwarzhandel und Alkoholismus, Prostitution und Beamtenwillkür, Dissidententum und Polizeigewalt geprägt ist. Mulloy kennt die örtlichen Verhältnisse gut, sie hat jahrelang in Kuba gelebt. In ihr Drehbuch hat sie viele authentische Beobachtungen und Erlebnisse gepackt. Die Kamera hält sie in fiebrigen Sequenzen fest, die die Zuschauer hineinreißen in das pulsierende Leben auf den Straßen Havannas. Angesichts von bedrückender Armut und politischer Repression träumen viele Kubaner von einem Leben im vermeintlichen Sozialparadies USA. Tausende „Balseros“ (Flößer) wagen jedes Jahr die gefährliche Flucht übers Meer. Schließlich ist Kuba das einzige lateinamerikanische Land mit einer schrumpfenden Bevöl-kerung. Jeder fünfte Kubaner lebt bereits im Exil, allein in den USA sind es fast zwei Millionen.

Dass sich gerade die Generation der 20-Jährigen mit den tristen Perspektiven nicht zufriedengibt, zeigen die drei Hauptdarsteller mit beeindruckender Natürlichkeit. Mulloy hat für die Rollen mehr als 2000 junge Leute vorsprechen lassen und das Trio gleichsam auf der Straße gefunden. Die Intensität der kubanischen Straßenszenen kann das Schlussdrittel mit der ermüdenden Floßfahrt allerdings nicht mehr halten: Hier gehen der Regisseurin ein wenig die Ideen aus, auch wenn die erotischen Anziehungskräfte und Eifersüchteleien innerhalb des Trio zeitweise für neue Spannung sorgen.

Der Film hat nach der Uraufführung auf der Berlinale 2012 etliche Auszeichnungen erhalten, darunter den Publikumspreis auf dem Festival in Havanna. Auf dem Tribeca Film Festival in New York wurde Mulloy zur besten Newcomer-Regisseurin gekürt und Dariel Arrechaga und Javier Núñez Florián wurden als beste Darsteller ausgezeichnet. Bei einem Zwischenstopp in Miami tauchten Núñez Florián und die Lila-Darstellerin Anailín de la Rúa de la Torre unter und beantragten politisches Asyl. (Reinhard Kleber)

Una Noche – Eine Nacht in Havanna,
Regie: Lucy Mulloy
USA/Kuba/Großbritannien 2011
90 Minuten
Kinostart: 12. Dezember 2013

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