Auf angenehme Weise subjektiv

Philipp Hedemann
Der Mann, der den Tod auslacht
Begegnungen auf meinen Reisen durch Äthiopien
DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2013, 258 Seiten, 14,99 Euro

Philipp Hedemann zeigt mit diesem Buch, worum es einem guten Journalisten gehen sollte: die Menschen hinter den Geschichten. Seine Reiseberichte ergeben ein sehr lesenswertes Porträt von Äthiopien, das Land und Leuten zugewandt ist.

In Berichten und Reportagen aus fremden Ländern präsentieren sich Autoren häufig als welterfahrene Draufgänger, die nichts schreckt und nichts mehr wundern kann. Oder aber sie tun so, als gäbe es keine kulturelle, weltanschauliche oder soziale Kluft zwischen ihnen und den Leuten, über die sie  schreiben – um bloß nicht westlich-arrogant rüberzukommen und den Vorwurf zu vermeiden, man schreibe aus „kolonialistischer Perspektive“. Beides – Großmäuligkeit und politische Überkorrektheit – macht Reiseberichte langweilig: Man kann nie sicher sein, wie ehrlich der Berichterstatter ist und wie sehr seine Schilderungen tatsächlich seiner Wahrnehmung von Land und Leuten und nicht bloß seinen Wunschbildern entsprechen.

Philipp Hedemanns Berichte aus Äthiopien kranken nicht an diesen Mängeln – im Gegenteil: Sie zeigen mustergültig, wie man es richtig macht. Der 1979 geborene Journalist war dreieinhalb Jahre in dem ostafrikanischen Land, als mitausreisender Partner seiner Freundin, die dort als Entwicklungshelferin tätig war. Hedemann ist in dieser Zeit kreuz und quer durchs Land gefahren und lässt uns in seinem Buch in 30 meistens nicht länger als zehn Seiten langen Kapiteln an seinen Begegnungen und Erlebnissen teilhaben.

Das ist von der ersten bis zur letzten Seite überaus interessant und unterhaltsam, weil es Hedemann gelingt, den unterschiedlichsten Leuten spannende, mitunter sehr persönliche Geschichten zu entlocken. Er schafft das, indem er ihnen mit einer bewundernswerten Mischung aus Selbstsicherheit, Respekt und Neugier begegnet. Dem entspricht sein schnörkelloser, lebendiger, von Effekthascherei und jeglichem Pathos freier Schreibstil.

Mönche, Flüchtlinge und Dauerlacher

Zu den Personen, deren Geschichten Hedemann erzählt, gehören Belachew Girma, der den Weltrekord im Dauerlachen hält, der jugendliche Schuhputzer Negusse, der sich keine Illusionen über seine Zukunft macht, die ungekrönte Qat-Königin Suhura Ismail, die ein Millionenvermögen mit der im Land weit verbreiteten Droge gemacht hat, sowie der Bauer Ayane Hadis, der erzählt, wie er als junger Mann die verheerende Hungersnot 1984/85 überlebt hat, die das Bild von Äthiopien als Afrikas Armenhaus bis heute prägt.

Außerdem treten auf: die Architekturstudentin Lia, die davon träumt, dass ihre Heimatstadt Addis Abeba einmal so aussieht wie Schanghai, diebische Hotelportiers, eine ganze Menge Mönche, darunter Abba Gebre-Mesquel, der in der heiligen Stadt Aksum die Kapelle hütet, in der die sagenhafte Bundeslade mit den zehn Geboten stehen soll, sowie Flüchtlinge aus Eritrea, die teilweise schon bis nach Malta gekommen waren, aber von dort wieder zurück nach Afrika geschafft wurden.

Hedemann gewährt allen seinen Gesprächspartnern einen großen Vorschuss an Sympathie, der allerdings in einigen Fällen von seinem Gegenüber schnell verbraucht ist. Er macht kein Hehl daraus, wenn ihm etwas nicht passt oder er etwas fragwürdig findet – heruntergekommene Hotels etwa, der weit verbreitete Glaube an Wunderheiler oder die Rastafari-Gemeinde, die in Äthiopien ihre Wurzeln hat.

Hedemanns Berichte sind auf angenehme Weise subjektiv: Er ist als Erzähler immer präsent, es geht aber nie nur um ihn, sondern darum, wie er Äthiopien wahrnimmt. Nach der Lektüre wünscht man sich, dass seine Lebensgefährtin bald wieder ausreist und er die Gelegenheit erhält, sich in einem anderen Land genauer umzusehen und ein Buch darüber zu schreiben. (Tillmann Elliesen)

Erschienen in welt-sichten 12-2013/1-2014

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