Karim El-Gawhary
Frauenpower auf Arabisch
Jenseits von Klischee und Kopftuchdebatte
Kremayr & Scheriau, Wien 2013
204 Seiten, 22 Euro
Der deutsch-ägyptische Journalist Karim El-Gawhari zeichnet in seinen Porträts und Reportagen eine große Vielfalt von Schicksalen. Er räumt dabei mit Stereotypen und Pauschalurteilen auf.
Über die Rolle der Frauen im arabischen Frühling ist viel geschrieben worden – als Heldinnen des Widerstands werden sie dargestellt, und zugleich als Verliererinnen der Revolution. Nachdem die Machthaber in Tunesien, Libyen und Ägypten aus dem Amt gejagt worden waren, gewannen islamistische Kräfte mit ihrem traditionell-konservativen Frauenbild die Oberhand. Und die Freiheiten, die sich die Frauen in den Monaten des Aufstandes erkämpft hatten, wurden schnell wieder eingeschränkt.
Auch der Journalist Karim El-Gawhary analysiert in seinem neuen Buch die Folgen des Wandels in der arabischen Welt für das Leben von Frauen – das letzte Kapitel seines Buches hat er im Juni 2013 geschrieben. Viel mehr als die Islamisten sieht er vor allem den Niedergang der Wirtschaft als Feind der Frauen. Für viele von ihnen stehe der Kampf um das tägliche Überleben im Vordergrund, das halte sie davon ab, neue Freiräume zu erobern und die alten zu verteidigen.
Doch sein Anliegen ist umfassender: Er will arabischen Frauen eine Stimme geben und so dafür sorgen, dass das vorherrschende Bild von ihnen im Westen – als „Opfer“ der Verhältnisse – aufgeweicht und differenziert wird. Und das gelingt ihm mit seinen Porträts und Reportagen, die zwischen 2002 und diesem Sommer im Jemen, in Palästina, Libyen und in Ägypten entstanden sind.
Hochachtung vor dem Mut der Frauen
El-Gawhary begleitet Ägyptens einzige Fernfahrerin Umm Khaled in ihrem LKW durch die Wüste, er besucht eine Palästinenserin, die Opfer einer Phosphorgranate geworden ist, und berichtet über eine junge Straßenverkäuferin in Suez, die eine Gewerkschaft gegründet hat und Streiks organisiert, um für mehr Lohn und gesellschaftliche Anerkennung zu kämpfen. Er sitzt am Küchentisch von Umm Naama, die am Standrand von Kairo um das tägliche Überleben kämpft, und steht in einem Krankenhaus von Tripolis am Bett einer Scharfschützin, die Mohammad al-Gaddafi gedient hat.
El-Gawhary schreibt engagiert und lässt an vielen Stellen Hochachtung vor dem Mut seiner Gesprächspartnerinnen, aber auch Erschütterung über ihr Schicksal durchblicken. Dennoch verfällt er nicht in Betroffenheitsjournalismus – er überlässt die Bühne den Frauen und drängt sich nicht in den Vordergrund. Seine Geschichten sind anschaulich und vermitteln ein vielfältiges Bild von der Lebenswirklichkeit arabischer Frauen, ihren Träumen und Hoffnungen, aber auch ihren Grenzen und ihrem Scheitern.
Gleich zu Beginn widmet sich der Autor übrigens der Debatte über das Kopftuch, das vielen als Symbol der Unterdrückung und Unterordnung von Frauen gilt. Dazu zitiert er höchst unterschiedliche Positionen – doch am besten fasst es die libysche Aktivistin Magdoulin zusammen: „Es ist wichtig, was wir im, nicht, was wir auf dem Kopf haben“. (Gesine Kauffmann)
Erschienen in welt-sichten 12-2013/1-2014