Ägypten: Die fremde Gesellschaft

Asiem El-Difraoui
Ein neues Ägypten? – Reise durch ein Land im Aufruhr
edition Körberstiftung,
Berlin 2013, 264 Seiten, 16 Euro

Über Ägypten ist schon viel geschrieben worden. Und seit der Revolution vor drei Jahren wird es immer mehr. Das Buch des Politologen Asiem El-Difraoui sei jedem ans Herz gelegt, der sich nicht durch die ganze aktuelle Literatur kämpfen und trotzdem einen tiefen Einblick in die ägyptische Gesellschaft bekommen möchte.

El-Difraoui hat Ägypten im vergangenen Jahr mehrfach bereist, zuletzt im September. Er hat sich von vielen Frauen und Männern erzählen lassen, was die Revolution verändert hat und welche Hoffnung sie für ihr Land haben. Herausgekommen ist eine ungemein spannend zu lesende Porträt-Sammlung von Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Hintergründen. Ein einfacher Straßenpolizist kommt genauso zu Wort, wie ein Filmemacher, ein Intellektueller, eine Frauenaktivistin. Fellachen erzählen von ihrem Alltag und Bewohner eines Elendsviertels schildern ihre Herausforderungen und Träume.

El-Difraoui hat mit Oppositionellen, Muslimbrüdern und Salafisten über ihre jeweils unterschiedliche Sicht auf die Dinge gesprochen. Dabei ist ihm hoch anzurechnen, dass er seine Gesprächspartner noch einmal aufgesucht oder angerufen hat, nachdem im Juli 2013 der vom Militär entschiedene Volksaufstand alle Vorzeichen in Ägypten wieder einmal verändert hatte. Nicht nur politische Verhältnisse, auch die Sichtweisen darauf können sich wandeln.

Superreiche leben hinter hohen Mauern im Luxus

Dankenswerterweise ordnet der Autor die Dinge immer wieder ein, wenn es um Begebenheiten geht, die es nicht bis in die Schlagzeilen der westlichen Medien geschafft haben. Auch korrigiert er auf sanfte Art, wenn die jeweilige Geschichtsdeutung allzu geklittert daher kommt. Sonst lässt er seine Gesprächspartner einfach reden.

Wenig bekannt ist das Schicksal der Nubier. Die Volksgruppe im Süden des Landes wurde mit dem Bau des Hochdamms bei Assuan in den 1950er Jahren enteignet und irgendwo in der Wüste unter erbärmlichen Umständen wieder angesiedelt. Die Revolution hat auch bei ihnen die Hoffnung auf ein besseres Leben geweckt. Das Kapitel über die Christen in Oberägypten hingegen bietet kaum Neues. Aufschlussreich ist aber der Bericht des Autors über seine erfolglose Suche nach Gesprächspartnern in einer Gemeinde, in der es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Muslimen gekommen ist. Das Misstrauen unter den Christen gegenüber Außenstehenden ist groß.

Schockierend sind dagegen die Einblicke, die der Autor in die Schicht der Superreichen bekommen hat, der Klasse, die wirtschaftlich die Strippen in der Hand hält, aufs Engste mit dem Militär verbunden ist, vom wirklichen Leben der 99 Prozent anderen Ägypter aber überhaupt nichts wissen will. Sie wollen unter Ihresgleichen bleiben und leben hinter hohen Mauern in Luxus-Ressorts wie auf einem anderen Stern.

Am Ende kommt El-Difraoui zu dem Schluss, dass die ägyptische Gesellschaft sich zu ganz großen Teilen selbst gar nicht richtig kennt. Die Muslimbrüder seien beispielsweise erstaunt gewesen, wie groß die Opposition ist, und die Oppositionellen waren überrascht, wie stark die Muslimbrüder sind. El-Difraoui hält sich glücklicherweise mit allgemeinen Analysen der politischen und wirtschaftlichen Situation zurück. Sein Buch versteht er als Momentaufnahme. Doch mehr geht im instabilen Ägypten derzeit auch gar nicht. (Katja Dorothea Buck)

Erschienen in welt-sichten 2-2014

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