Das große Bild vom Fortschritt

Angus Deaton
The Great Escape. Health, Wealth, and the Origins of Inequality
Princeton University Press, Princeton and Oxford 2013,
360 Seiten, ca. 22 Euro

Dies ist ein optimistisches Buch: Der führende Wohlfahrtsökonom Angus Deaton erklärt, warum heute die meisten Menschen länger und besser leben als ihre Vorfahren. Entwicklungshilfe allerdings schade eher.

Deaton richtet den Blick auf große Trends wie den Rückgang von Armut und Unterernährung, die Zunahme der Lebenserwartung und den mit Entwicklung verbundenen Anstieg der Ungleichheit. Seine Thesen beruhen stark auf Statistiken. Aber er erklärt sorgfältig, wie fragwürdig viele Zahlen sind – etwa die Armutsstatistiken der Weltbank. Die Ansicht, das Wirtschaftswachstum bringe jenseits einer gewissen Schwelle kaum zusätzliche Lebensqualität, weist er als Fehlinterpretation der Daten zurück: Tatsächlich steige mit jeder Vervierfachung der Einkommen die Zufriedenheit um einen Punkt.

Deaton weiß, dass Wohlstand mehr ist als Geld, und nimmt auch die Gesundheit in den Blick – speziell den Anstieg der Lebenserwartung. Sie beginnt mit dem Rückgang der Kindersterblichkeit, für die vor allem Infektionskrankheiten verantwortlich sind. Impfungen und die Bekämpfung der Krankheitsüberträger haben sie laut Deaton in Europa seit dem 19. Jahrhundert zurückgedrängt; beigetragen hat auch eine bessere Ernährung. Wissen, nicht Reichtum war also entscheidend. Das Wissen wurde in arme tropische Länder übertragen, so dass auch dort die Lebenserwartung zunahm. Um sie weiter zu steigern, müssen nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs und Herzinfarkt bekämpft werden – etwa durch die Einschränkung des Rauchens, wie  Deaton betont. Diese Kapitel gehören zu den stärksten des Buches.

Fortschritt bringt für Deaton immer auch Ungleichheit, weil kurzfristig nicht alle Länder und soziale Gruppen daran teilhaben. Näher betrachtet wird das Beispiel der USA. Die Ungleichheit dort sei zu einem gewissen Grade dem technischen Fortschritt und der Globalisierung geschuldet und wirtschaftlich nützlich. Diese Überlegungen wirken teils etwas platt. Spannend ist jedoch Deatons Antwort auf die Frage, warum in den USA die Einkommen stärker konzentriert sind als in vielen anderen Industrieländern. Das liege erstens an einem Bildungssystem, das Kinder armer Eltern benachteilige; zweitens hätten in den USA reiche Minderheiten so großen politischen Einfluss, dass sie die Spielregeln zu ihren Gunsten ändern könnten. Wegen dieses Effekts sei übermäßige Ungleichheit schädlich.

Wirtschaftswachstum wird
mit Entwicklungshilfe nur behindert

Die globale Ungleichheit sinkt laut Deaton, weil die bevölkerungsreichsten Staaten – vor allem China und Indien – stark aufholen. Eine Reihe sehr armer Länder aber sei abgehängt. Wie kann man ihnen „über die Schwelle helfen“? Mit mehr Entwicklungshilfe jedenfalls nicht, schreibt er. Hier teilt er die Grundsatzkritik von William Easterly und anderen. Zwar könnten Projekte das Leben einzelner Gruppen verbessern, und Hilfe für das Gesundheitswesen armer Länder wirke bis zu einem gewissen Grade. Aber Wirtschaftswachstum werde mit Entwicklungshilfe nur behindert.

Denn die sei von Interessen der Geberländer geprägt und verzerre die Institutionen im Empfängerland: Sie mache die Regierenden von Steuern unabhängig und befreie sie von der Rechenschaftspflicht gegenüber ihrem Volk. Warum das auch für Hilfe an nichtstaatliche Stellen gilt, wird nicht ganz klar. Von Hilfe für bessere Regierungsführung hält Deaton zudem wenig.

Einleuchtend sind jedoch seine Ratschläge: Statt Kapital zu vergeben, sollten reiche Länder Beratung anbieten und globale öffentliche Güter finanzieren – zum Beispiel die Medikamentenforschung für Tropenkrankheiten. Und sie sollten aufhören, arme Länder auf anderen Politikfeldern zu schädigen, etwa mit Agrarsubventionen.

Das Buch ist gut lesbar, etwas störend sind die vielen Wiederholungen. Der Blickwinkel ist stark ökonomisch – insbesondere Umweltfaktoren für Wohlstand kommen kaum vor. Dennoch ist das Buch sehr anregend. Nicht zuletzt weil es mahnt, über viele einzelne Probleme nicht die weltgeschichtlich einmalige Verbesserung der Lebensumstände für die Mehrheit der Menschen aus dem Auge zu verlieren.

Bernd Ludermann

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Motorrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!