Ein Rembrandt auf Kuba

Leonardo Padura
Ketzer
Unionsverlag, Zürich 2014,
651 Seiten, 24,95 Euro

Leonardo Padura spannt in seinem neuen Roman einen großen Bogen vom barocken Amsterdam bis in das Havanna der Gegenwart. Sein trauriger Held sieht viel Elend, findet aber auch ein kleines Glück.

Mario Conde kann es zunächst nicht glauben. Da erzählt ihm Elias Kaminsky, ein US-Amerikaner mit jüdisch-kubanischen Wurzeln, dass ein echtes Rembrandt-Gemälde jahrzehntelang in einem Privathaus auf Kuba hing. Ursprünglich habe es seiner Familie gehört. 1939 seien mehrere seiner Angehörigen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten von der kubanischen Einwanderungsbehörde abgewiesen worden – trotz teuer erkaufter Touristenvisa. Sie mussten nach Europa zurück, viele von ihnen wurden später in die NS-Vernichtungslager geschickt. El Conde erinnert sich an diese historisch verbürgte Geschichte. Offensichtlich taugte der Rembrandt nicht als Lebensversicherung. Jemand nahm ihn an sich, ohne die rechtmäßigen Eigentümer aus ihrer Notlage zu retten. 

Die Suche nach dem zwischenzeitlichen Verbleib eines wertvollen Gemäldes bildet das erzählerische Scharnier im neuen Roman von Leonardo Padura. Der Erfolgsschriftsteller, der auf Kuba lebt, arbeitet und auch publiziert wird, bedient sich seit über 20 Jahren der Stilmittel des Kriminalromans, um den beklagenswerten Zustand der kubanischen Gesellschaft aufzuzeigen.

Paduras Protagonist Mario Conde erlebt über mehrere Bücher hinweg den wirtschaftlichen Zusammenbruch nach dem Zerfall der Sowjetunion, die anhaltenden Fluchtbewegungen nach Florida und einige Episoden des politischen Tauwetters.

Er beobachtet die tiefgreifenden Veränderungen auf der Karibikinsel und resigniert in zunehmendem Maße. Mehr als je zuvor, sagt Conde, seien seine Landsleute auf sich allein gestellt und könnten nicht mehr auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt setzen. Die meisten hätten sich im wirtschaftlichen Mangel eingerichtet, wollten lediglich überleben und arbeiteten dafür im scheinbar freien, dafür aber prekären informellen Sektor.

In „Ketzer“ erhält El Conde Zutritt zu den Privatwohnungen einiger Gewinner der wirtschaftlichen Lage. Dort sieht er, dass es mit dem Ideal von einer Gesellschaft gleicher Menschen nicht weit her ist. Sie haben mit List große Reichtümer angehäuft und illegale Waren- und Geldkreisläufe aufgezogen.

Daneben lernt er bei den Ermittlungen im Fall eines ermordeten Mädchens die alternativen Jugendkulturen kennen, die sich in den vergangenen Jahren in Havanna Freiräume erkämpft haben. Bei den Rockern, Skatern und Emos verfangen die offiziellen Polit-Parolen nicht mehr. Die jungen Frauen und Männer sind die Ketzer der Gegenwart, die sich vom Glauben an das sozialistische Modell abgewendet haben.

Von diesem Befund schlägt Leonardo Padura einen Bogen zu Elias Kaminskys Vater Daniel, der bereits als Kind nach Kuba kam und so den Holocaust überlebte. Als Daniel vom Schicksal seiner Angehörigen erfuhr, legte er seinen Glauben ab. Ebenfalls als Abtrünniger muss der junge sephardische Maler Elias Ambrosius gesehen werden, der bei Rembrandt in die Lehre ging und an der Entstehung des Gemäldes der Kaminskys beteiligt war. Als Jude verstieß Elias Ambrosius gegen das Verbot, Menschen und Tiere bildlich darzustellen. Mehr noch: Sein Selbstporträt sieht aus wie ein äußerst naturalistisches Bildnis von Jesus Christus, der, so das damalige Selbstverständnis, in den Tempeln der Judenfeinde angebetet wird.

Leonardo Padura holt weit aus und erzählt eine Geschichte, die vom barocken Amsterdam über die Orte der antisemitischen Pogrome in Osteuropa, das vorrevolutionäre Kuba, die verschiedenen kubanischen Exil-Orte in den USA bis ins Havanna der Gegenwart reicht.

Seinem traurigen Helden Mario Conde bleibt angesichts der Verbrechen und der desolaten Situation im Land kaum mehr als das kleine Glück, das in festen, dauerhaften Freundschaften und in der geistigen Freiheit des Individuums zu finden ist. 

Thomas Völkner

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