Zwischen Krieg und Spiegel

Shani Boianjiu: Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 336 Seiten, 19,99 Euro

Shani Boianjius Debütroman erzählt von der Lebenswelt israelischer Frauen in der Armee. Sie schlägt damit einen Bogen zwischen der harten Realität des militärischen Alltags und dem ganz normalen Wahnsinn des Erwachsenwerdens.

Lea, Avishag und Yael leben in einem israelischen Dorf, kurz vor Ausbruch des zweiten Libanonkrieges 2006. Handy-Empfang gibt es nur direkt neben dem Funkmast, der Schultest über Kindersoldaten wird unwichtig neben der Frage nach der nächsten Party. Dann ist die Zukunft da – für den Leser bereits nach knapp 30 Seiten. Egal ob beliebt oder eigenbrötlerisch, eingezogen in den zweijährigen Wehrdienst werden sie alle. Avishag überwacht vorerst als Soldatin die ägyptische Grenze, Yael lehrt als Waffenausbilderin den Umgang mit dem M16-Gewehr. Und Lea kontrolliert palästinensische Bauarbeiter am Checkpoint Hebron. Dabei bewältigt jede auf ihre Art das Erlebte.

Die israelische Armee verpflichtet seit ihrer Gründung 1948 auch Frauen für zwei Jahre. In militärischen Führungspositionen sind sie nach wie vor unterrepräsentiert – hier kommen sie zu Wort, auch in ihrer Sprachlosigkeit über die absurde und sinnlose Militärmaschinerie.

Kapitelweise werden die Perspektiven gewechselt, Handlungsstränge fließen ineinander, innere Monologe folgen dem plötzlichen Auftritt eines außenstehenden Erzählers. Mit dem Effekt, dass für den Leser wenig vorhersehbar, vieles überraschend und manches verwirrend ist. Genau das ist eine Stärke des Romans: Boianjiu zeichnet die unsichere Stimmung in dem dauernd kriegsbereiten Land sprachlich nach – mit ironischem, fast zynischem Unterton.

Ihren Protagonistinnen verleiht sie authentische Stimmen, die sich nicht in Schubladen einordnen lassen. „Lea, bitte. Wir sind im Krieg“, endet eine Episode assoziativen Geplappers. Fast zu sachlich, wie abgestumpft, lässt die Autorin ihre Protagonistin an anderer Stelle über Mord, Gewalt und Diskriminierung berichten, während langweilige Wachdienste zu flimmernden Fantasiewelten werden.

Zwischen den Fugen dieses Mosaiks findet man das eigentliche Thema des Romans. Er handelt von höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten mit guten und mit schlechten Seiten. Und davon, sich zwischen Bomben und Rastlosigkeit nicht vollständig selbst zu verlieren. „Dreizehn Tage vor Kriegsausbruch wurde ich plötzlich schön“ ist so ein Zitat, das auf groteske und gleichzeitig bedrückende Art deutlich macht: Nicht nur der Krieg, auch die Diskrepanzen zwischen innerer und äußerer Welt müssen verarbeitet werden.

Ein großer Mangel des Buches ist sein sperriger Titel, der – auch in der englischen Originalausgabe –nach Kitsch und Drama klingt. Sinnvoll ist er trotzdem: Er geht auf einen Autoaufkleber zurück, den Avishag in einem depressiven Moment sieht. Der Spruch „Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst“ wird damit ad absurdum geführt. Denn Angst haben sie. Vor Selbstmordattentätern und vor dem Autofahren. Und vor noch mehr. „Vor der Armee. Vor den Möglichkeiten. Vor allem, was passieren könnte.“ Dass der Autorin die Portraits so gut gelingen, mag an ihrem Hintergrund liegen. Boianjiu wuchs selbst in einem kleinen Ort nahe der Grenze zum Libanon zwischen Granaten und Gewalt auf. Wie viel Fiktion und wie viel Realität in ihrem Werk stecken, ist offen. Viel Wahres über Menschen und Kriege steckt darin auf jeden Fall.

Hanna Pütz

 

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