Von Konfuzius lernen

Der österreichische Völkerrechtler Peter Leuprecht zeigt die vielfältigen Quellen der Ideen von Vernunft, Gerechtigkeit und Menschenwürde auf: Von chinesischen Lehrmeistern über islamische Gelehrte bis hin zu spanischen Theologen.

In den westlichen Demokratien werden die Ideen Voltaires und der europäischen Aufklärung als Geschenk an die gesamte Menschheit gepriesen. Die universellen Menschenrechte haben demnach ihre Wurzeln im späten 18. Jahrhundert. Das ist nur bedingt richtig, denn die Quellen sind vielfältiger und reichen weiter zurück, wie Leuprecht in seinem informativen Buch darstellt. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise zu den Ideenwelten der chinesischen Lehrmeister Konfuzius und Menzius, der islamischen Gelehrten Avicenna, Averroes und Ibn Khaldun sowie der spanischen Theologen Bartolomé de Las Casas und Francisco de Vitoria.

Die konfuzianische Ethik kannte bereits Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung die Ideen von Harmonie, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Konfuzius entwickelte als Antwort auf chaotische Umbrüche und Konflikte ein positives Menschenbild und ein Konzept des Lernens, dessen Ziel darin bestand, menschlicher zu werden. Dem edlen stellte er den gemeinen Menschen gegenüber, jener verfolge gesellschaftliche Harmonie, der andere untergrabe sie. Harmonie erfordert dabei Vielfalt, die individuelle Bestrebungen fördert. Die westliche Vorstellung, der Konfuzianismus gebe dem Kollektiv den Vorrang vor dem Individuum, basiere auf Unkenntnis, schreibt Leuprecht.

Bemerkenswert sind die Aussagen des Meisters über die Rolle der Götter, die den Belangen der Menschen unterzuordnen sind. Sein Ideal ist die menschliche Vernunft, nicht das göttliche Gebot, Begriffe wie Ketzer oder Sektierertum sind seinem säkularen Denken fremd. Kurzum, die chinesische Kulturtradition liefere „kein Argument gegen eine Anerkennung der individuellen Menschenrechte“, zitiert der Autor den Sinologen Heiner Roetz. Ähnlich sehe das der aufgeklärte, humanistische Islam, der eine lange Geschichte der Pluralität und Akzeptanz der Vielfalt aufweist. Vordenker wie Avicenna, Averroes und Ibn Khaldun waren Universalgenies, sie vermittelten zwischen griechischer Antike und aristotelischem Denken sowie zwischen Islam, Judentum und Christentum.

Sie sind als Vorläufer der Aufklärung anzusehen, kennen die Konzepte der menschlichen Vernunft und der freien Entscheidung des Individuums, fragen nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft, Religion und Philosophie. Im 15. Jahrhundert bricht diese Tradition ab, bis ins 19. Jahrhundert beherrschten religiöse Dogmen und Isolation das islamische Denken. Seit einigen Jahrzehnten versuchen Reformer „die große philosophische Tradition des goldenen Zeitalters des Islam“ wiederzubeleben. Islam und Menschenrechte lassen sich also durchaus miteinander vereinbaren. Behindert werde ihre Verwirklichung jedoch von der „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990, in der von Gewissens- und Religionsfreiheit keine Rede ist, sowie der Auslegung der Scharia, so Leuprecht.

Weitaus bekannter ist das Wirken der beiden spanischen Theologen Las Casas (1484-1566) und de Vitoria (1483-1546). Ihr unerschütterlicher Glaube an die Würde aller Menschen ließ sie zu kompromisslosen Gegnern des christlichen Imperialismus, seiner Doktrin der Entdeckung, Eroberung  und des gerechten Krieges werden, die auf Zerstörung und die Unterwerfung von Völkern und Ländern abzielte. Auch sie glaubten an Tugenden wie Mitgefühl, Solidarität und Gerechtigkeit, standen Machthabern und Fundamentalisten kritisch gegenüber.

Leuprecht plädiert für einen interkulturellen und interreligiösen Dialog über diese grundlegenden Fragen, die die Menschenrechte betreffen. Denn wie soll die Universalität der Menschenrechte vorangebracht werden, wenn man sie erst im 18. Jahrhundert entstehen lässt und ausschließlich als europäische Errungenschaft begreift? Dem Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen, etwa im UN-Menschenrechtsrat. Es sollte all denen, die dort kulturelle, religiöse oder gesellschaftliche Gründe für unterschiedliche Auffassung der Menschenrechte anführen, den Vertretern Chinas, Russlands oder islamischer Staaten, immer wieder vor Augen gehalten werden. Und auch den Eurozentristen, deren Scheuklappen einen umfassenden Blick auf die vielfältigen Quellen der Menschenrechte verhindern.

Klaus Jetz

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