Marxistisches Glaubensbekenntnis

Der streitbare Schweizer Soziologe Jean Ziegler hat eine autobiografische Bekenntnisschrift vorgelegt. Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit bleibt er aber schuldig.

Ziegler legt dar, welche Überzeugungen er hat und was ihn antreibt. Das ist legitim und angesichts seines langjährigen Engagements auf unterschiedlichen Politikfeldern aller Ehren wert. Doch der Titel verspricht mehr, als er halten kann. Wer nach einer Begründung sucht, warum angesichts globaler Verwerfungen das westliche Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell infrage gestellt werden muss – und vor allem wie das gelingen soll – , wird das Buch enttäuscht aus der Hand legen.

Ziegler setzt sich weder mit den Widersprüchen der heutigen Weltordnung auseinander noch liefert er eine kritische Beurteilung der Vereinten Nationen, der nationalen Regierungen und der Rolle der Religionen. So wenig kritische Auseinandersetzung mit der Empirie gab es bei Ziegler selten. Stattdessen gibt das Buch über weite Strecken marxistische Ideologien wieder: Die Welt wird eingeteilt in Gut und Böse, Täter und Opfer, Fortschritt und Reaktion.

Entwicklungspolitische Inhalte sind rar. Und wo sie auftauchen, hätte man sie gerne näher erläutert. Es gebe „niemals einen Trickle-Down-Effekt“, schreibt Ziegler – ohne weitere Hinweise, wie er sich die Reduzierung der Armut in China, Indien oder Vietnam sonst erklärt. Im Zusammenhang mit dem brasilianischen Staat spricht er von einer „erschreckenden sozialen Inkompetenz“, obwohl Brasilien oft als Modell erfolgreicher staatlicher Umverteilung zugunsten der Armen gehandelt wird. 

Wie kann die Welt verändert werden? Ziegler weist der Zivilgesellschaft als „Verweigerungsfront“ gegen die Herrschaft der Finanzoligarchien eine entscheidende Rolle zu. Doch angesichts der islamkritischen Pegida und anderer rechtspopulistischer Bewegungen in Europa muten seine Aussagen bestenfalls blauäugig an. Der Zivilgesellschaft kann nicht in jedem Fall unterstellt werden, es gehe ihr um „Gerechtigkeit und Glück für alle Menschen“. Eine Unterscheidung ist auch hier notwendig. „Die Bemühungen der Intellektuellen nützen heute nichts, wenn sie den Feind nur bekannt machen und nicht auch dazu beitragen, die Menschen in die Lage zu versetzen, ihn zu bekämpfen und zu besiegen“, schreibt er. Doch was helfen könnte, Menschen auf Veränderung hoffen zu lassen und sie zu befähigen, für eine bessere Welt zu kämpfen – darauf bleibt auch Ziegler die Antwort schuldig.

Georg Krämer
 

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