Gefährliche Sehnsucht

Ist Europa wirklich Saaraba, „das verheißene Land“, wie es viele Westafrikaner nennen? Am Beispiel zweier junger Senegalesen, die unbeirrbar Richtung Spanien ziehen, überprüft das Regietrio in seinem Dokumentarfilm dieses Leitbild.

Für ihre Langzeitstudie haben sich die beiden deutschen Filmemacher Peter Heller und Bernhard Rübe mit dem senegalesischen Musiker und Griot Saliou Waa Guendoum Sarr zusammengetan. Er begleitet über acht Jahre hinweg als teilnehmender Beobachter seine beiden Cousins auf ihren verschlungenen Wegen ins „verheißene Land“.

Als erstem gelingt es Aladji Sarr, dem ältesten Sohn einer Fischerfamilie auf der senegalesischen Insel Niodor, 2008 mit einer Piroge nach Spanien zu reisen. Dort will er es zu Wohlstand bringen. Dabei folgt er dem Vorbild seiner Eltern, die in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ jahrelang in Frankreich gearbeitet haben und seit ihrer Rückkehr in die Heimat von der französischen Rente leben.

Aladji lässt seine Frau zurück – mit der er regelmäßig telefoniert – und schlägt sich als billiger Schwarzarbeiter auf Gemüseplantagen und in Häfen durch. Seine Hoffnung, einen legalen Aufenthaltsstatus zu bekommen, erfüllt sich nicht, dafür wird er immer wieder von dubiosen Arbeitgebern mit betrügerischen Arbeitsverträgen hingehalten und ausgebeutet. Sein Hauptproblem: Verlässt er Spanien ohne gültige Papiere, darf  er nicht mehr in die EU einreisen.

Der zunehmend frustrierte Aladji rät seinem jüngeren Bruder Souley ab, ihm zu folgen. Doch der ehrgeizige Souley hat längst nichts anderes mehr im Kopf und macht sich ebenfalls auf den Weg. Auf Niodor ist die Überfahrt nach Europa längst zu einer Art Initiationsreise für heranwachsende Männer geworden. Der Vater kennt die Lage Aladjis, zeigt aber Verständnis für die Ambitionen Souleys.

Schließlich schlägt sich Souley nach Marokko durch, wo er wie viele andere afrikanische Migranten auf eine Gelegenheit zur Weiterreise wartet. Zehn Mal wird er an der spanischen Küste eingefangen und der marokkanischen Küstenwache übergeben. Dann schafft er es eines Nachts, übers Meer zur spanischen Exklave Ceuta zu schwimmen. Einer seiner Mitschwimmer ertrinkt unterwegs. Dass die Sehnsucht nach „Saaraba“, dem irdischen Paradies, in dem alle Menschen glücklich sind, immer wieder tödliche Opfer fordert, zeigen kurze Seitenblicke der Kamera auf Strände, an denen etliche Leichen angespült wurden.

Saliou, der Cousin der beiden und Freund aus Kindertagen, fungiert in der Erzählung als Begleiter, Mittler und Kommentator. Als Sohn eines hochrangingen Militärs hat er in Frankreich studiert und kann problemlos nach Spanien fliegen. Der Neffe der bekannten Schriftstellerin Fatou Diome lebt als Musiker in der Hauptstadt Dakar. Er versucht Souley von seinem Ausreiseplan abzubringen, denn er ist überzeugt, dass Afrika der Ort ist, der Reformen und Reformer braucht.

War Saliou für die deutschen Filmemacher zunächst nur ein Co-Autor, so avancierte er durch seine Einmischungen selbst zum Protagonisten und letztlich zum Co-Regisseur. Mit persönlichen Kommentaren und Liedvorträgen bringt er nicht nur eine private, subjektive Komponente in den Film. Er wird auch zum „Reiseführer“ der Aladji in Südspanien und Souley in Marokko besucht und westlichen Zuschauern den Zugang zu deren Leben erleichtert.

Während manche Stationen sehr ausführlich dargestellt werden und einige Kommentare Salious arg selbstgefällig ausfallen, bleiben an anderen Stellen Lücken. So hätte man gerne gewusst, wie die Ehe Aladjis  nach zehn Jahren der Trennung weiterbestehen kann. Und was ist von der Hinwendung Aladjis zum Islam zu halten? Findet er im Sufismus lediglich Trost oder beginnt hier schon eine Radikalisierungskarriere?

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