Umweltschutz als neue Aufklärung

Joachim Radkau
Die Ära der Ökologie.
Eine Weltgeschichte

C.H. Beck-Verlag, München 2011
782 Seiten, 29,95 Euro


Radkau ist emeritierter Professor für neuere Geschichte in Bielefeld und fühlt sich seit den 1970er Jahren mit der Umweltbewegung verbunden. In dem Buch wahrt er aber einen distanzierten Blick. Er spürt zunächst Wurzeln und Vorläufern moderner Umweltbewegungen nach wie der romantischen Naturliebe, dem Einsatz für die Wildnis, der Lebensreform-Bewegung an der Wende zum 20. Jahrhundert und der Arbeitsmedizin.

Den Beginn der „Ära der Ökologie“ markieren für ihn die Jahre um 1970. Wie in einer Kettenreaktion stellt er dort einen Ausbruch des Umwelt-Aktivismus fest, dessen wichtigster Impuls aus den USA kam und der dann Westeuropa – nicht zuletzt Deutschland – sowie Japan ergriff . Unter dem Druck der Öffentlichkeit erließen Regierungen zahlreiche Umweltschutz-Vorschriften, eine Serie von warnenden Büchern erschien, internationale Konferenzen griffen das Thema auf (darunter die UN-Umweltkonferenz von 1972). Alte Anliegen wie Arbeitsschutz, Tierschutz, Waldschutz und Naturheilkunde flossen unter dem Schlagwort „Umwelt“ zu einer neuen, vielgestaltigen und widersprüchlichen Bewegung zusammen. Radkau zeichnet ihre großen Kämpfe nach, etwa gegen Großstaudämme und die Atomkraft, aber auch gegen das Waldsterben und Dioxin. Als Leitmotive dienen ihm Spannungen, die alle Umweltbewegungen begleiten – zwischen der Konzentration auf einzelne lokale Anliegen und dem Blick auf das Ganze, zwischen Konsens und Konflikt gegenüber der Gesellschaft und den Behörden und zwischen ideellem Impuls und der Selbsterhaltung als Organisation. Zudem porträtiert Radkau zwölf Frauen, die entscheidende Impulse gegeben haben wie Petra Kelly und Wangari Maathai. Die Gliederung führt allerdings zu Wiederholungen – die Leitmotive werden an immer neuen Beispielen erklärt.

Einen zweiten Wendepunkt sieht Radkau in den Jahren zwischen der Atomkatastrophe in Tschernobyl 1986 und dem UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992. Damals erfasste die Umweltbewegung weite Teile Asiens und Osteuropas. Zugleich schwand im Westen ihre Konfliktfähigkeit gegenüber Wirtschaftsinteressen. Die Sorge um das Erdklima und Ziele wie Nachhaltigkeit und Biodiversität traten in den Vordergrund, und man setzte zunehmend auf globale Ansätze und Weltkonferenzen. Radkau hält das für einen Irrweg: Nicht Katastrophenalarm und Appelle an globale Verantwortung motivierten zum Umweltschutz, sondern elementare Bedürfnisse nach sauberer Luft, Ruhe und gesunder Nahrung. Er setzt auf lokal verankerte Bewegungen – auch wenn er einräumt, dass deren Ziele und Motive gemischt sind und sich teilweise widersprechen.

Dies führt ihn bei der Klimapolitik auf Abwege. Radkau bringt nicht nur viel Verständnis für Skeptiker auf, die vor Klima-Aktionismus warnen. Seiner Ansicht nach muss Klimaschutz auch vom Eigeninteresse aller Länder ausgehen. Er schreibt aber selbst, dass mächtige Lobbys eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft verhindern, weshalb die Umweltbewegung in der Praxis eher Filter für Schadstoffe erkämpft. Beim Klimaschutz genügt das leider nicht. Zudem übersieht Radkau, dass internationale Vereinbarungen nötig sind, weil trotz Interesse am Klimaschutz kein Land zu Opfern bereit ist, so lange nicht alle mitmachen – denn dann nützt es wenig.

Die Skepsis gegenüber globalen Ansätzen hängt mit Radkaus Kernthese zusammen: Er deutet die globale Umweltbewegung als Fortsetzung der Aufklärung, weil sie deren mächtigsten Mythos in Frage stellt, den Fortschrittsmythos. Gleichzeitig wohne ihr aber ein neuer Machttraum inne, der seit den 1990er Jahren in Ideen von einem Weltklimaregime und vom ökologischen Management des Planeten zutage tritt. Das ist überzeugend. Doch die Frage ist, ob nicht zumindest Teile dieses Managements inzwischen überlebenswichtig sind.

Das Buch ist unbedingt lesenswert und großenteils gut lesbar. Zwar wirkt der Text passagenweise anekdotisch und manchen Darstellungen einzelner Umweltinitiativen, vor allem im Süden, fehlt die Tiefe, weil dazu kaum Forschung vorliegt. Doch der genaue, ketzerische Blick und das Gespür für Gruppeninteressen, Machtfragen und soziale Konflikte hinter den Umweltfragen sind große Stärken. Radkau sorgt immer wieder für Aha-Erlebnisse: So belegt er, dass den deutschen Grünen nicht nur das Interesse am altmodischen Naturschutz fehle, sondern auch an der Sozialpolitik. Der Kampf für soziale Gerechtigkeit aber, behauptet er mit gutem Grund, wird letztlich über den Erfolg der Umweltbewegung entscheiden.


Bernd Ludermann

 

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