Kolonialismus gestern und heute

Und dann der Regen – También la lluvia
Spanien, Frankreich, Mexiko 2010
Regie: Iciar Bollain
103 Minuten
Kinostart: 29. Dezember 2011

Filme über Menschen, die einen Film drehen, wirken schnell künstlich oder abgehoben. Diese Gefahr bannt die spanische Regisseurin Iciar Bollain in ihrem Film „Und dann der Regen – También la lluvia“ auf zwei Ebenen. Das Team aus Spanien, das den Widerstand der Indios in Lateinamerika gegen die spanischen Konquistadoren inszenieren will, wird am bolivianischen Drehort in einen Volksaufstand gegen die Privatisierung der Wasserversorgung hineingezogen und so gezwungen, die ethischen Maßstäbe der eigenen Arbeit zu hinterfragen.

Der junge idealistische Regisseur Sebastian möchte die Figur des Christoph Kolumbus entmystifi zieren, indem er zeigt, wie der berühmte Seefahrer mit blutiger Gewalt die Gier nach Gold und den Sklavenhandel in Gang gesetzt hat. Sebastians Freund, der hartgesottene Produzent Costa, hat angesichts des knappen Budgets durchgesetzt, das Historienepos im preiswertesten Land Lateinamerikas zu drehen. In der Stadt Cochabamba heuern die beiden Indios als Laiendarsteller an und müssen bald feststellen, dass ihr Hauptdarsteller in einen eskalierenden Konflikt verwickelt ist. Zwischen die Fronten geraten, müssen sich die Filmemacher ihrer sozialen Verantwortung stellen.

Die historische Folie lieferte der berühmte „Wasserkrieg“ von Cochabamba. Im Jahr 2000 hatten einige Städte in Bolivien auf Druck des Internationalen Währungsfonds ihre Trinkwasserversorgung an den US-Konzern Bechtel verkauft. Als dessen Tochterfirma die Preise binnen kurzem vervielfachte, brachen wütende Proteste aus, die das Militär blutig niederschlug. Allerdings machte die Regierung die Privatisierung Monate später rückgängig. Der vielschichtige und exzellent gespielte Film Bollains bestätigt nicht nur die Weisheit, dass sich Geschichte wiederholt, sondern entfaltet einen speziellen Reiz durch seine faszinierende Doppelbödigkeit. Die Unterdrückung der Indios im 16. Jahrhundert spiegelt sich in ihrer Diskriminierung im 20. Jahrhundert. Sie werden zwar nicht mehr versklavt, aber gerne als billige Komparsen angeheuert. Und aus dem damaligen Rassismus der weißen Eroberer sind tief sitzende Ressentiments geworden. Parallel kommt es auf der Film-im-Film-Ebene zu einem schmerzhaften „Rollenwechsel“ zwischen dem Idealisten Sebastian und dem Sarkastiker Costa.

Ein wichtiges Motiv für Bollain war die rudimentäre Vergangenheitsbewältigung ihrer Landsleute in Sachen Kolumbus. Während er in Spanien noch immer als großer Entdecker glorifiziert wird, zeigt sie in packenden Bildern, wie er die Indios ausbeutet und verstümmeln lässt, wenn sie nicht genug Gold herbeischaffen. Zugleich würdigt der Film den Mut der Mönche Bartolomé des las Casas und Antonio Montesinos, die seinerzeit den Indios erstmals Menschenrechte zusprachen. Bollain verfolgt einen klaren kapitalismuskritischen Ansatz. Sie stellt die skrupellose Profitgier multinationaler Konzerne dar, die sich mit
korrupten Behörden verbünden. Ihr zentrales Anliegen dreht sich um die Frage, ob es erlaubt ist, dass sich Aktionäre in New York, London oder Madrid am Handel mit einem so essenziellen Gut wie dem Trinkwasser bereichern.

Das Drehbuch des Films schrieb Bollains Lebensgefährte, der Schotte Paul Laverty, der Stammautor des sozialkritischen britischen Regisseurs Ken Loach. Die spanische Koproduktion mit Frankreich und Mexiko wurde von Spanien für den Oscar eingereicht und wetteifert um den Publikumspreis des European Film Award 2012.


Reinhard Kleber

 

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