Bis zum Umfallen

Drachenmädchen
Deutschland 2012,
Regie: Inigo Westmeier, 89 Minuten
Filmstart: 28. Februar 2013

Die private Kampfkunstschule Shaolin Tagou des Kung Fu-Meisters Liu Baoshan liegt in unmittelbarer Nähe des legendären Shaolin-Tempels in der zentralchinesischen Provinz Henan. Der Tempel gilt als Ursprungsort der Kampfsportart, die dort im sechsten Jahrhundert von buddhistischen Mönchen entwickelt wurde. 26.000 Jungen und Mädchen ab fünf Jahren lernen an der Schule Kung Fu und Sanshan, die chinesische Variante des Kick-Boxens. Rechnet man Lehrer und Trainer hinzu, leben 35.000 Menschen in Shaolin Tagou, damit ist sie die größte derartige Schule weltweit.

Der deutsche Regisseur, Produzent und Kameramann Inigo Westmeier porträtiert in seinem ersten abendfüllenden Kinodokumentarfilm, der trotz ständiger Beaufsichtigung der Dreharbeiten auch kritische Töne anschlägt, drei Schülerinnen. Sie stammen aus armen Familien, die mehr als tausend Kilometer entfernt leben. Die neunjährige Xin Chenxi und die 15-jährige Chen Xi wollen in die Kung-Fu-Elite ihres Landes aufsteigen. Je besser sie die Kampftechniken beherrschen, umso größer sind ihre Chancen, später ein besseres Leben zu führen als ihre Eltern. „Die meisten Absolventen arbeiten danach bei der Polizei oder beim Militär. Dort verdienen sie mehr als Bauern, Fabrikarbeiter oder Melonenverkäufer“, sagt Westmeier.

Während der jahrelangen Ausbildung sind die Schülerinnen hin- und hergerissen zwischen den extrem hohen Anforderungen des Trainings und ihrer Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit. Diesen permanenten Leistungsdruck hat die 17-jährige Huang Luolan nicht ausgehalten: Sie ist vor dem unerbittlichen Drill in ihre Heimatstadt Schanghai zu ihrem alleinerziehenden Vater geflüchtet. Dagegen ist die kleine Xin Chenxi nach zwei Jahren bereits in eine Elitegruppe aufgerückt. Sie ist entschlossen, ihr Bestes zu geben, um im jährlichen Wettbewerb den ersten Platz zu erreichen. Ihr Vater verspricht ihr, sie zu besuchen, wenn sie das schafft, aber nur dann. Wie das Mädchen später ihrem Vater am Telefon gesteht, dass sie „nur“ Zweite und Vierte geworden ist, gehört zu den bewegendsten Momenten des Films.

Die 15-jährige Chen Xi empfindet die Schule wie einen Vogelkäfig, der sie daran hindert, um die Welt zu reisen. Die beiden Mädchen klagen, dass es zu wenig Freizeit gibt. Die ältere gibt freimütig zu, dass sie nachts oft weint. Dagegen gibt sich die jüngere stark: „Weinen bringt nichts, man muss sich mutig der Situation stellen.“ Das Leben in der Schule ist hart und karg. Auch im Winter gibt es keine Heizung. Im Essen finden sich schon mal Insekten. Die Trainingszeiten sind sehr lang, die Schüler haben keine Privatsphäre. Bei Ungehorsam gibt es Stockschläge. Der strenge Tagesablauf, der um 5.40 Uhr mit Frühstück und erstem Training beginnt und um 20.30 Uhr mit dem Abschalten des Lichts im Schlafsaal endet, laugt auch die Trainer aus, von denen viele aufgeben.

Interviews mit Trainern, dem Schulleiter und einem leitenden Mönch des Tempels ergänzen die Statements der Mädchen und die Beobachtungen bei ihren Heimatbesuchen. Die repressiven Erziehungsmethoden, die auf eine rigide Einbindung des Individuums ins Kollektiv abzielen, finden ihre visuelle Entsprechung in faszinierenden Panoramaaufnahmen der sonntäglichen Vorführungen auf dem Exerzierplatz. Tausende Jungs beweisen in rot-schwarzen Uniformen im Gleichtakt ihre akrobatischen Fertigkeiten. Mädchen dürfen hier nicht mitmachen. (Reinhard Kleber)

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