Abschied vom säkularen Heilsversprechen

In den Ländern des Südens spielen religiöse Überzeugungen im Alltag eine weit größere Rolle als in den Industriestaaten. Staatliche und nichtstaatliche Entwicklungsakteure haben deshalb begonnen, die Bedeutung der Religion für den Erfolg ihrer Arbeit wieder zu entdecken. Auch globale Krisen lassen sich nicht allein mit Hilfe technischer und rationaler Lösungen meistern.

Die Religion hat in den vergangenen Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit wieder an Bedeutung gewonnen. Das zeigen Konferenzen, Studien und Veröffentlichungen. Interessanterweise gehören Ministerien und staatliche Agenturen, aber auch Organisationen wie der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen UNFPA zu den treibenden Kräften hinter dem neu erwachten Interesse an „Religion und Entwicklung“.

Autor

Beat Dietschy

ist Zentralsekretär von "Brot für alle" in Bern.

So hatte das britische Entwicklungsministerium dazu umfangreiche Forschungen in Auftrag gegeben, die Ende 2010 abgeschlossen wurden. In Bern wurde im vergangenen November mit einer Tagung ein mehrjähriger Reflexionsprozess beendet, der von der staatlichen Entwicklungsdirektion DEZA initiiert worden war. Beteiligt waren auch nichtstaatliche Organisationen (NGO) wie Brot für alle und Fastenopfer. Das Resultat dieses Nachdenkens ist kurz und knapp gesagt: Religion und Kultur können in der Entwicklungszusammenarbeit nicht folgenlos ausgeblendet werden, denn sie sind in fast allen nicht westlichen Ländern wirkmächtige Faktoren.

Es ist eigentlich erstaunlich, dass dies wiederentdeckt werden musste. Ich erinnere mich, wie ich zu Beginn der 1980er Jahre im Hochland von Peru im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) der Frage nachging, weshalb die indigene Bevölkerung die windgetriebenen Wasserpumpen nicht akzeptierte. Neue technische Lösungen überzeugen nur, so fand ich bald heraus, wenn sie auch mit den religiös-kulturellen Deutungsmustern und ihrer Erfahrungsbasis vereinbar sind. Der Wind bringt im Altiplano Krankheiten, er ist „vom Teufel“, und es ist für viele schwer vorstellbar, dass er auch Gutes bewirken soll. Darum haben die Einheimischen immer schon andere Lösungen für die landwirtschaftlichen Bewässerungsprobleme gesucht – und in den kilometerlangen Bewässerungskanälen der Anden auch gefunden.

Warum aber wurde das Religiöse aus der Theorie und Praxis der Entwicklungshilfe verbannt, selbst in kirchlichen Hilfswerken? Antworten finden sich in zwei Richtungen. Zum einen befürchten Fundraiser, mit dem Thema Geldgeber vor den Kopf zu stoßen. Zum anderen findet sich eine Art „religiöser Analphabetismus“ bei Mitarbeitenden der Entwicklungsorganisationen: Vermeide es, dich auf möglicherweise vermintes und jedenfalls unbekanntes Gelände zu wagen – sicherer ist es, auf ökonomische Rationalität und effizienten Einsatz der Mittel zu setzen. Das paradoxe Resultat: Alles, was an kirchliche Mission erinnerte, wurde zum Tabu. Zugleich wurde faktisch ein säkulares Heilsversprechen westlichen Zuschnitts exportiert: die Religion der Entwicklung.

Die Wiederentdeckung der Bedeutung von Religion in der Entwicklungszusammenarbeit hat erst begonnen. Vieles ist noch zu klären. Dazu zählt etwa die Frage, welche Möglichkeiten Glaubensgemeinschaften Frauen und Männern bieten oder versperren. Stützen oder verändern religiöse Faktoren Machtverhältnisse? Wie stehen Menschenrechte und religiöse Werte zueinander? Antworten sind aber nur mit Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Umstände eines jeweiligen Landes zu finden, nicht mit allgemeinen Vorstellungen von „dem“ Islam oder „dem“ Christentum. Die Welt des Religiösen ist zu bunt und komplex, als dass einfache Lösungen gelingen.

Die Entwicklungsakteure aus dem Norden müssen umdenken. Sie müssen auch auf dem Gebiet der Weltsichten und Weltdeutungen Professionalität erlangen. Wie soll Entwicklungszusammenarbeit gelingen, wenn die Voraussetzungen für die Kommunikation mit dem religiös-kulturell „Anderen“ fehlen? Hinzu kommt, dass globale Anforderungen wie der Klimawandel nicht allein mit einer technischen Rationalität gemeistert werden können: Wir brauchen ganzheitliches Denken, Leitvorstellungen des guten Lebens und des Lebensdienlichen, wie sie in allen Religionen zu finden sind. Dort bedarf sicher einiges einer Überprüfung. Mehr noch aber gilt das für das Entwicklungskonzept, das sich am wirtschaftlichen Wachstumsdenken orientiert.

Literaturtipp:
Anne-Marie Holenstein (u.a.)
Religionen – Potential oder Gefahr? Lit-Verlag, Berlin/Münster 2010.

 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2011: Behinderung: Das Recht auf Teilhabe
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