Als Vermittler unverzichtbar

Der kubanische Erzbischof Jaime Ortega tritt in Kuba als Vermittler zwischen der kommunistischen Regierung und der Opposition auf. Geschickt nutzt er den Freiraum, der sich in den vergangenen Jahren auf Kuba für seine Kirche eröffnet hat. Das Gewicht der Protestanten, die teils im staatlich kontrollierten Kirchenrat organisiert sind und teils verfolgt werden, bleibt weit hinter dem der Katholiken zurück. Deren Führung versteht sich aber nicht als Regimegegner und betont konservative sozialpolitische Ziele.

Siebzehn Kilometer südöstlich der Hauptstadt Havanna demonstriert Kubas katholische Kirche ihre neue Position in dem kommunistisch regierten Land. Anfang November weihte Erzbischof Jaime Ortega dort ein neues Priesterseminar ein, das erste größere Kirchenbauwerk seit der Revolution von 1959. Zur Eröffnung war nicht nur allerlei Kirchenprominenz aus dem Vatikan und dem Ausland anwesend, sondern auch Staatspräsident Raúl Castro und einige seiner Minister. Die Bischofskonferenz Kubas jubelte: Das Seminar sei ein Symbol der „Normalisierung" im Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Selbst Kubas Parteizeitung „Granma" berichtete darüber. Vorbei sind die Zeiten, als Katholiken wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, wie in den 1960er und 1970er Jahren. Auf der ganzen Insel gab es damals nur noch 200 Priester. In dieser Zeit schloss auch das letzte Priesterseminar in Havanna. 1966 enteignete es die Regierung und wandelte es in eine Polizei-Akademie um. Wie wichtig die katholische Kirche in Kuba geworden ist, hat sie im Juli demonstriert. Erzbischof Ortega rang Präsident Raúl Castro das Versprechen ab, 52 politische Häftlinge freizulassen. Der Präsident selbst soll Ortega um Vermittlung gebeten haben.

Autor

Matthias Knecht

arbeitet als Auslandskorrespondent in Lateinamerika für die Nachrichtenagentur epd, die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“.

Hungerstreiks von Oppositionellen hatten Kuba international in ein schlechtes Licht gebracht, im Februar war der politische Häftling Orlando Zapata nach 86 Tagen Hungerstreik gestorben. Anfang Juli, als Castro schließlich einlenkte, stand das Leben des Dissidenten Guillermo Fariñas auf Messers Schneide. Er hatte seit dem Tod Zapatas die Nahrungsaufnahme verweigert. Während um die letzten der 52 versprochenen Freilassungen Mitte November noch gerungen wurde, stellte Ortega bereits weitere Entlassungen in Aussicht. „Alle werden freigelassen", kündigte er an und bezog sich damit auf die mehr als hundert weiteren politischen Häftlinge.

Selbst Oppositionelle, die der Kirche kritisch gegenüberstehen, sind des Lobes voll. Oscar Espinosa Chepe, selbst ein ehemaliger politischer Häftling, lobt die Vermittlung der Kirche und hofft auf einen „Anfang des Wandels auf Kuba". Ein Teil der Opposition stört sich allerdings daran, dass Erzbischof Ortega für Castro die Kastanien aus dem Feuer holt. Dazu gehört auch, dass die Erzdiözese von Havanna bislang alle Freilassungen angekündigt hat, während sich die Regierung in Schweigen hüllt.

Doch die katholische Kirche vermittelt nicht nur zwischen Regierung und Opposition. In den USA warb Erzbischof Ortega im Umfeld von Präsident Barack Obama sowie im Kongress für Entspannung. Ein erster Schritt wäre ein Ende des Reiseverbotes für US-Bürger nach Kuba. Das wünscht sich sowohl Kubas Regierung in der Hoffnung auf Devisen als auch der moderate Flügel der Opposition in der Hoffnung auf eine Annäherung nach dem Vorbild der deutsch-deutschen Entspannungspolitik der 1970er Jahre.

Der Wandel von Kubas katholischer Kirche vom Opfer des kommunistischen Regimes zu dessen Gesprächspartner hat sich allmählich vollzogen. Seit 1992 garantiert die Verfassung Religionsfreiheit, zumindest auf dem Papier. Ein Meilenstein war der Kubabesuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1998. Schon damals ließ Kuba rund hundert politische Häftlinge frei und führte Weihnachten wieder als offiziellen Feiertag ein. Seither hat sich die katholische Kirche Schritt für Schritt mehr Handlungsfreiheit verschafft. Erklärtes Ziel ist es, mit eigenen Artikeln und Sendungen in den staatlich kontrollierten Medien aufzutreten. „Wir würden gerne alle erreichen, indem Kubas Medien regelmäßig auch über religiöse Ereignisse berichten", sagt Gustavo Andújar. Er verantwortet in Havanna die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche und ist Vizepräsident von Signis, dem katholischen Weltverband für Kommunikation. Diesem Ziel ist die Kirche schon näher gekommen. Mit 46 regelmäßig erscheinenden Gemeindeblättern, zwölf Websites und sieben elektronischen Newslettern erreicht sie regelmäßig vier Millionen Kubaner, rund ein Drittel der Einwohner. Schätzungsweise 60 Prozent der elf Millionen Kubaner sind Katholiken.

Deutlich zugenommen haben auch die genehmigten Prozessionen. Jüngstes Beispiel sind die diesjährigen Feiern zum Jahrestag der Barmherzigen Jungfrau von Cobre, der Nationalheiligen Kubas. Zum 400. Jahrestag ihrer Erscheinung hat die Regierung eine einjährige Pilgerfahrt erlaubt, bei der die Statue der Heiligen über die gesamte Insel getragen wird. Den Auftakt im August übertrug das Staatsfernsehen, inklusive der Predigt von Erzbischof Dionisio García Ibáñez. Darin rief der Geistliche zur Einheit und Versöhnung aller Kubaner auf, sowohl auf der Insel als auch im Exil. Anders als etwa im Polen der 1980er Jahre, wo sich die katholische Kirche auf die Seite der Opposition gegen die damals kommunistische Regierung stellte, bemüht sich Havannas Erzbischof Ortega, nicht als Regimekritiker zu gelten. „Wir sind nicht Opposition", ist einer der ersten Sätze, den ein Mitarbeiter von Havannas Kirchenzeitung „Palabra Nueva" im Gespräch äußert. Ähnlich formuliert es Andújar: „Die Kirche ist weder eine politische Alternative noch eine Oppositionspartei." So schwankt Erzbischof Ortega gegenüber der Regierung zwischen Loyalitätsbekundungen und Kritik. Als der frühere Präsident Fidel Castro 2006 erkrankte, betete Ortega öffentlich für dessen Genesung und zog den Zorn vieler Oppositioneller auf sich. Derselbe Ortega fand in diesem Jahr ungewöhnlich mutige Worte: Von Raúl Castro forderte er öffentlich weitere wirtschaftliche Liberalisierungsschritte. Und hinter verschlossenen Türen überzeugte er diesen davon, seine paramilitärischen Schlägertrupps an der kurzen Leine zu halten.

Auf der Ebene der Laien verschmelzen indes die katholische Kirche und die Opposition. Bekanntestes Beispiel sind die „Damen in Weiß", Angehörige der 75 Regimekritiker, die 2003 in Kurzprozessen zu drakonischen Haftstrafen verurteilt worden sind und von denen jetzt die letzten freigelassen werden sollen. Sie treffen sich jeden Sonntag in der Kirche Santa Rita, im Diplomatenviertel Havannas, zum gemeinsamen Besuch der Messe und marschieren anschließend über die fünfte Avenida. Eng mit der Kirche verbunden ist auch die politische Arbeit von Oswaldo Payá. Der Christdemokrat sammelte Unterschriften, um per Referendum eine Demokratisierung Kubas zu erzwingen. Der Erfolg von Payá und seinen zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeitern, viele davon bekennende Katholiken, hat den Anstoß zur Repressionswelle von 2003 gegeben.

Doch auch der Freiraum innerhalb der Kirche hat seine Grenzen. In schlechter Erinnerung ist das große Reinemachen in der Diözese Pinar del Rio im Westen der Insel. Kaum trat 2007 der neue Bischof Jorge Serpa sein Amt an, schloss er die damalige Kirchenpublikation Vitral. Sie war unter Chefredakteur Dagoberto Valdés zu einem der meistbeachteten Oppositionsblätter herangewachsen. Bischof Serpa führte damals wirtschaftliche Gründe an. Valdés und seine Mitarbeiter warfen ihm vor, ihnen einen Maulkorb zu verpassen, um das Verhältnis zur Regierung zu verbessern.

Der Protestantismus, der wie überall in Lateinamerika auch in Kuba wächst, hat längst nicht dieselbe politische Schlagkraft. 27 vorwiegend protestantische Kirchen sind in Kubas staatlich kontrolliertem Kirchenrat zusammengeschlossen, darunter die reformierten Presbyterianer, die christlich-reformierte Kirche, die episkopale Kirche, die lutherische Kirche und die Quäker Kubas. Es sind meist Gruppen, die schon vor der Revolution von 1959 existierten und von der Regierung anerkannt sind. Ihnen sind Gotteshäuser und Gottesdienste erlaubt, aber keine öffentlichen Veranstaltungen. Bekanntester Vertreter dieser linientreuen protestantischen Kirchen ist Raúl Suárez, Abgeordneter in Kubas Parlament und Pastor einer von ihm gegründeten baptistischen Splittergruppe im Kirchenrat.

Ein kleiner, aber wachsender Teil der kubanischen Protestanten versucht, unabhängig vom Kirchenrat zu arbeiten. Dazu gehören die Baptisten in den östlichen Provinzen Kubas und die in ganz Lateinamerika wachsende charismatische „Asamblea de Dios". Auf solche Absetzbewegungen reagiert Kubas Regierung mit scharfer Repression. So stand der evangelische Kirchenpräsident Roberto Rodríguez monatelang unter Hausarrest, nachdem er 2008 aus dem Kirchenrat ausgetreten war. Angehörige von Rodríguez wurden auf offener Straße angegriffen und verprügelt. Gar zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde 2009 der Pastor Omar Gude, der Anführer der charismatischen „Apostolischen Reformation". Weitere Kirchenführer sind aus Kuba geflüchtet, um einer Verhaftung zu entgehen.

„Die katholische Kirche ist den protestantischen Pfarrern des kubanischen Kirchenrats weit voraus", urteilt der Blogger und unabhängige Kulturjournalist Luis Cino. Denn während sich letztere auf „evangelisch-castro-marxistischen Agitprop" beschränken, „nutzt die katholische Kirche ihre privilegierte Stellung gegenüber dem Regime", sagt Cino, der seit Jahren die Entwicklung von Kubas Katholiken kritisch verfolgt. Seine Freude darüber hält sich jedoch in Grenzen. Argwöhnisch beobachtet er, dass auch Kubas Kirchenführer Ziele verfolgen, mit denen sich die katholische Kirche im Rest Lateinamerikas profiliert, nämlich den erbitterten Kampf gegen Abtreibungen und Homosexualität.

Den wirklichen Gegensatz zwischen Kubas Regierung und katholischer Kirche sieht Cino denn auch in Fragen der gesellschaftlichen Liberalisierung. Während die kommunistische Regierung unter Federführung von Raúl Castros Tochter Mariela Castro Toleranz gegenüber Homosexuellen predigt und inzwischen sogar Geschlechtsumwandlungen unterstützt, wettert Ortegas Kirchenblatt gegen die „liberale Ideologie des ,alles-ist-möglich'". Genauso harsche Worte hätte sich Cino in Fragen der Demokratie und Menschenrechtsverletzungen gewünscht. Darum glaubt er auch nicht, dass sich die katholische Kirche als Katalysator einer künftigen Demokratisierung Kubas erweisen wird. „Die kubanische katholische Kirche ist schlau, geduldig und weiß die richtige Gelegenheit abzuwarten", sagt er. „Darum konnte sie mehr als ein halbes Jahrhundert olivgrünen Sozialismus überleben."

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erschienen in Ausgabe 12 / 2010: Staatsaufbau - Alles nur Fassade?
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