Herr der Pflanzen

Franck Ditengou lebt und forscht in Freiburg. Gemeinsam mit anderen Gabunern hat der 43-jährige Wissenschaftler das internationale Netzwerk Gabiomed gegründet. Sie wollen ihre Landsleute unterstützen – möglichst praktisch, etwa bei Mülltrennung und Gartenbau. Doch nicht alle Gabuner finden das gut.

Franck Ditengou schickt Pflanzen ins Weltall. Seine Schützlinge waren schon auf der Internationalen Raumstation ISS und sind bei der chinesischen Shenzhou-Mission mitgeflogen. Bei einem Parabelflug hat Ditengou die Pflanzen sogar persönlich in die Schwerelosigkeit begleitet: Grundlagenforschung im freien Fall. „Das war ein unglaubliches Erlebnis“, sagt der promovierte Pflanzenbiologe.

Ditengou untersucht, wie sich Pflanzen an die Schwerkraft anpassen. Warum wachsen Blätter von der Erde weg und Wurzeln in Richtung Erdinnerem? Welche molekularen Reaktionen werden dabei ausgelöst, welche Gene aktiviert? Und wie verhalten sich Pflanzen in einer Umgebung mit einer geringeren oder stärkeren Schwerkraft? Zum Beispiel auf dem Mars? Sollten irgendwann einmal Menschen auf dem Roten Planeten siedeln, brauchen sie dort frisches Obst und Gemüse. Deshalb finanzieren das deutsche Forschungszentrum für Luft- und Raumfahrt und die Europäische Weltraumorganisation das Forschungsprojekt, bei dem Ditengou als wissenschaftlicher Mitarbeiter beteiligt ist.

Der 43-Jährige redet gerne über seine Forschung und die Möglichkeiten der Biologie. Im Sommer steigt er wieder in den Flieger. Dieses Mal geht es in seine Heimat Gabun in Westafrika. In der Hauptstadt Libreville will er Schülern naturwissenschaftliche Fragestellungen näherbringen. Das Thema: Mülltrennung nach deutschem Vorbild und Kompostierung für den Gartenbau. „Das ist mein Weg, für mein Heimatland nützlich zu sein“, sagt der zweifache Vater. Gemeinsam mit anderen Gabunern hat er im vergangenen Jahr das Netzwerk Gabiomed gegründet. Die Mitglieder sind Naturwissenschaftler und Mediziner, arbeiten in China, Kanada oder Europa und wollen ihr Wissen den 1,5 Millionen Einwohnern ihres Landes zukommen lassen.

Dass es dort Anwendung finden kann, steht für Ditengou außer Frage. Zu vieles drehe sich in Gabun um das Öl. Das habe zwar für ergiebige Exportrendite und relativen Wohlstand im Vergleich zu den Nachbarländern Kamerun oder der Republik Kongo gesorgt, aber auch Abhängigkeiten geschaffen. Etwa in der Landwirtschaft. Die sei trotz fruchtbarer Böden und guter klimatischer Bedingungen unterentwickelt. Deshalb importiere Gabun einen Großteil der Nahrungsmittel aus dem afrikanischen Ausland. Die Landwirtschaft müsse stärker industrialisiert werden, findet der Biologe. Aber auch die Kleinbauern könnten ihre Anbaumethoden noch verbessern und ihre Fruchtfolgen an die Böden anpassen. Dabei könne der Aufbau einer Genbank helfen – und die Kenntnisse von Wissenschaftlern. „Ich habe ein recht großes Wissen über Pflanzen, prinzipiell kann ich mich jedes Problems annehmen“, erklärt er.

Die Stärken des Netzwerkes sieht er vor allem in Medizin- und Umweltfragen. Sozialwissenschaftler finden sich keine unter den rund 30 Mitgliedern von Gabiomed. „Wir wollen Leute, die etwas Praktisches machen“, sagt Ditengou. Deshalb schließt er auch eine Kooperation mit der Agrarindustrie nicht aus. „Die Forschungseinrichtungen der großen Konzerne haben einfach ganz andere Möglichkeiten“, sagt er. Und sie könnten helfen, die Landwirtschaft in Gabun zu modernisieren und exportfähige Nutzpflanzen für den Weltmarkt zu züchten. Die Anfrage einer deutschen Firma, im Namen Gabiomeds Kunstdünger in Gabun zu vertreiben, habe man trotzdem dankend abgelehnt.

Wie Ditengou geht es vielen Gabunern. Wer in der Wissenschaft Karriere machen will, wandert aus

Sein Fachwissen hat sich Ditengou vor allem in Europa angeeignet. Nach zwei Jahren Biologie- und Chemiestudium erlangte er Anfang der 1990er Jahre den damals höchsten Abschluss in Gabun. Er bekam ein Stipendium, ging nach Frankreich, absolvierte das Grundstudium in St. Etienne, das Diplom in Nancy, lebte und studierte von 300 Euro im Monat. Alle zwei Jahre flog er zurück zur Familie in Gabun. In Nancy promovierte er später in Mikro- und Pflanzenbiologie und lernte seine polnische Ehefrau kennen. Ein Angebot aus den USA lehnte er ab und entschied sich stattdessen für das Max-Planck-Institut in Köln. Heute forscht und lehrt er am Institut für Botanik - und Pflanzenphysiologie an der Uni Freiburg und veröffentlicht Artikel in internationalen Fachzeitschriften.

So wie Ditengou geht es vielen Gabunern. Wer in der Wissenschaft Karriere machen will, wandert aus. Früher seien die meisten nach dem Studium wieder zurückgegangen, heute blieben mehr Leute im Ausland, sagt Ditengou. „Ich habe immer daran gedacht, zurück nach Gabun zu gehen, aber es gab keine Gelegenheit.“ Akademisch hat ihm sein Land wenig zu bieten: keine modernen Forschungslabore, keine Exzellenzinitiativen oder Parabelflüge. Aber es soll besser werden. Die Politik investiere heute mehr in Lehre und Wissenschaft, sagt er. Die Zahl der Studenten steigt, viele Studiengänge bieten inzwischen Master-Abschlüsse an. Auch Programme für Postgraduierte sind in den vergangenen Jahren entstanden.

Nachwuchsarbeit ist Ditengou wichtig. Nicht nur in der Botanik, auch als Jugendtrainer bei der Spielvereinigung Gundelfingen-Wildtal. Er fühlt sich wohl in dem bürgerlichen Vorort Freiburgs. Sonntagmorgens stürmt er für seinen Fußballklub in der Kreisliga, abends ruft er seine Forscherkollegen aus Montreal und Libreville zur wöchentlichen Skype-Konferenz. Drei Stunden Skype-Talk mit 20 Leuten können ganz schön anstrengend werden, sagt Ditengou, der als Präsident für die Gesprächsleitung verantwortlich ist. Aber nicht mehr lange, sagt er lachend. Gabiomed hat die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Jahre begrenzt. Im Staate Gabun gelten solche Beschränkungen nicht: 41 lange Jahre war Omar Bongo Präsident des Landes, bis zum seinen Tod 2009. Seitdem ist sein Sohn Ali Bongo im Amt.

Autor

Sebastian Drescher

ist freier Journalist in Frankfurt und betreut als freier Mitarbeiter den Webauftritt von "welt-sichten".

Auf den Brief von Gabiomed hat er nicht geantwortet. Allen haben sie geschrieben, erzählt Ditengou: dem Regierungschef, den Ministern, verschiedenen Universitäten. Sie haben ihre Initiative vorgestellt, ihre Hilfe als Dozenten, Ärzte oder Forscher angeboten. Die Reaktionen waren verhalten, oft kam gar nichts zurück. Ditengou überrascht das nicht: „Die fragen sich, was wir überhaupt wollen und warum wir kein Geld verlangen. Manche vermuten wohl, dass wir politische Interessen verfolgen.“ Aber ihnen geht es nicht um Politik. Sie wollen Lösungen für die Probleme in ihrem Land finden, die Wissenschaft vorantreiben.

Derzeit diskutieren sie viel über die medizinische Forschung in Gabun. Die hat Tradition in dem kleinen Land, seit vor genau hundert Jahren Albert Schweitzer das Urwald-Hospital in Lambarene gründete. Dort wird an Aids, Malaria und Parasiten geforscht. Im Auftrag der gabunischen Regierung entsteht in Lambarene jetzt eine Art Uni-Klinik, in der in Zukunft Wissenschaftler in der Neurologie, Pharmazie und Mikrobiologie forschen sollen. Als Leiter der Einrichtung wurde ein Arzt berufen, der auch Mitglied von Gabiomed ist. Er fragte Franck Ditengou, ein Konzept für die Ausrüstung des neuen Labors zu erarbeiten; andere Mitglieder des Netzwerkes machten Vorschläge für die inhaltliche Ausrichtung der Forschung.

Es sind bislang vor allem die persönlichen Kontakte, die es den Mitgliedern von Gabiomed ermöglichen, Einfluss zu nehmen und etwas von ihrem Wissen weiterzugeben. Auch die für den Sommer geplanten Schulbesuche von Franck Ditengou in Gabun haben Mitglieder aus Libreville selbst organisiert. In seiner Heimat will Ditengou auch bei gabunischen Wissenschaftlern für das Netzwerk werben: „Wir wollen Vertrauen schaffen, keine Konkurrenz.“ Als er im vergangenen Jahr in Gabun unterwegs war, interviewte ihn ein Reporter des Staatsfernsehens zu den Aktivitäten von Gabiomed. Ausgestrahlt wurde das Gespräch nie.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2013: Neues Wissen im Blick
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