Keine Entwicklung ohne Elite

Wirtschaftliche Entwicklung stellt sich nur da ein, wo sich Eliten ernsthaft für das Wohlergehen des eigenen Landes einsetzen. Mit der Globalisierung hat sich jedoch eine globale Kapitalistenklasse herausgebildet, deren Interessen sich von ihren Heimatländern abgelöst haben. Ihre Komplizen sind in vielen Entwicklungsländern nationale Machteliten, die sich wenig um die Wirtschaft ihres Landes kümmern und ihr Kapital ins Ausland schaffen. So kommen wenige zu Reichtum, während die Mehrheit in Armut gefangen bleibt.

Als Charles Wright Mills 1956 den Begriff der Macht-elite prägte, sprach er von der Macht in einem Land, den USA. In den 1960er und 1970er Jahren weitete sich die Perspektive: Es begann die kritische Debatte über die Macht multinationaler Konzerne und ihrer Manager. Heute heißen die Reizwörter globale Machtelite und Globalisierung. Die Globalisierung ist nicht einfach die neueste Form des Welthandels, der mit der Durchquerung des Indischen Ozeans oder mit der Seidenstraße begann. Der Begriff bezeichnet laut William Robinson eine „qualitativ neue Epoche des Kapitalismus“: eine Welt, die von Gleichzeitigkeit gekennzeichnet ist, in der man dank des Internet von jedem Punkt aus mit jedem anderen ohne Zeitverlust kommunizieren kann.

Ihre Voraussetzung ist die entwickelte Informationstechnologie. Dadurch werden neuartige Wirtschaftstransaktionen in zwei Feldern ermöglicht: Im Finanzsektor kann man Unterschiede in der Bewertung von Wertpapieren oder Währungen an verschiedenen Punkten des Globus nutzen, um durch Kauf und Verkauf hohe Gewinne zu erzielen. Diese kann man mit einem Mausklick auf ein Konto unter Pseudonym transferieren. Und in der Realwirtschaft braucht zwar die Lieferung noch Zeit, aber Containerschiffe werden immer schneller – in 30 bis 40 Tagen von Shanghai nach Hamburg – und neue schnelle Eisenbahnverbindungen versprechen weitere Zeitverkürzung.

Die Herren dieser Transaktionen nennt Leslie Sklair, einer der Protagonisten der neuen Machtstrukturforschung (Power Structure Research), die transnationale Kapitalistenklasse. Dazu gehören einerseits die Besitzer und Kontrolleure der großen transnationalen Unternehmen und der weltweiten Investitionsbanken und -fonds, andererseits die Politiker, die ihnen mit entsprechenden Gesetzen und Regeln den Weg bahnen und dafür am Profit teilhaben. Außerdem zählt entsprechendes Hilfspersonal dazu: Ökonomen, Anwälte, Kaufleute, Public-Relations-Experten.  Insgesamt ist das eine Gruppe von wenigen tausend Personen, die in transnationalen Netzwerken zusammenarbeiten: die globale Machtelite.

Autor

Reinold E. Thiel

ist freier Journalist in Bonn.

Ihre Ziele sind losgelöst von nationalen Interessen. Transnationale Konzerne haben ihren Sitz vorzugsweise in kleinen Offshore-Zentren, wo die niedrigsten Steuersätze gelten. Soweit sie im Finanzsektor arbeiten, schieben sie Milliardenbeträge zwischen den Börsen von New York, London, Frankfurt, Singapur und Tokio hin und her, ohne dass dies von nationalen Steuerbehörden kontrolliert wird. Unternehmen der Realwirtschaft produzieren gern in den Freihandelszonen von Entwicklungsländern, in denen sie für viele Jahre von der Steuer befreit sind und mit billigen Arbeitskräften und billiger Energie versorgt werden.

Ein Beispiel ist Mosambik, ein reines Agrarland mit einem einzigen Großinvestor, der Aluminiumschmelze Mozal, für die eigens die Freihandelszone Beleluane gegründet wurde. Der Rohstoff Bauxit wird aus Australien importiert, damit Mosambik nicht auf die Idee kommt, das Werk zu enteignen. Auch ein Stahlwerk soll nun hier gebaut werden, Interessenten sind der chinesische Konzern Seven Star und die indische Tata-Gruppe. Solche Werke werden nicht gebaut, um die Entwicklung des Gastlandes zu fördern – Mozal beschäftigt nicht mehr als 1200 Mitarbeiter, und das Produkt wird nicht im Lande weiterverarbeitet –, sondern um den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen. Das bedeutet in der verarbeitenden Industrie, dass man bei steigendem Lohnniveau in einem Land den Betrieb in ein Niedriglohnland verlegt (wie Nokia von Deutschland nach Rumänien) oder wenigstens Teilproduktionen auslagert. Dies bietet zusätzlich die Möglichkeit, die Verrechnungspreise für die Zulieferungen zu manipulieren, damit Gewinne dort anfallen, wo die Steuerbehörden die bestechlichsten Fahnder haben.

Macht ist heute in erster Linie wirtschaftliche Macht. Politiker werden als Hilfskräfte gebraucht, um die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür sind sie am Gewinn beteiligt: durch Übernahme ins Management nach ihrer politischen Karriere oder durch Zahlungen sofort – die Bräuche sind unterschiedlich in verschiedenen Teilen der Welt. Überall aber verläuft heute die Grenze zwischen reich und arm, zwischen mächtig und ohnmächtig innerhalb der Länder, nicht mehr zwischen ihnen. Die Ölländer am Golf von Benin, von Nigeria, Gabun und Angola bis hin zu Äquatorial-Guinea und São Tomé mit ihren neu entdeckten Lagerstätten zeigen das in aller Deutlichkeit: überbordender Luxus für die herrschende Schicht, Hochhäuser für Unternehmen, erbärmliche Armut für die breite Bevölkerung. Diese Länder haben die höchsten wirtschaftlichen Wachstumsraten, aber auch die höchste Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Von Entwicklung keine Spur.

Wirtschaftliche Entwicklung kommt zustande durch die Investition von Gewinnen in die Infra- und Sozialstruktur einer Gesellschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen, also von Massenkaufkraft. Die globale Machtelite ist aber an beidem nicht interessiert. Deshalb sind Länder, die über Erdöl, Diamanten, Kupfer und dergleichen verfügen, in der Regel nicht reich, sondern unterentwickelt: Der Fluch der Ressourcen. Südafrika schien einige Jahrzehnte diese Regel zu widerlegen. Das Land ist reich an Diamanten, Gold und anderen Bodenschätzen. Als das Apartheidregime beendet wurde, gab es einen breiten Mittelstand von Kaufleuten, Handwerkern und kleinen Produktionsbetrieben, deren Inhaber sowohl schwarzen wie weißen und farbigen Bevölkerungsgruppen angehörten.

Die südafrikanische Regierung war der Entwicklungsstrategie der Einfuhrsubstitution gefolgt – nicht aus Einsicht, sondern weil der internationale Boykott sie dazu gezwungen hatte. Sobald dieser Boykott aufgehoben wurde, änderten sich die Spielregeln. Moeletsi Mbeki, der Bruder des früheren Präsidenten, hat das detailliert beschrieben. Die großen Konzerne verteilten unter dem Etikett „Black Economic Empowerment“ (Förderung der Schwarzen in der Wirtschaft) Besitzanteile an schwarze Parteifunktionäre – möglichst solche, die über keine ökonomischen Kenntnisse verfügten, weil die leichter zu beeinflussen waren. Mit ihrer Hilfe steuerten sie dann die Wirtschaftspolitik in Richtung der globalen Akkumulationskreisläufe: Was früher im Land produziert wurde, führte man nun ein mit dem Effekt, dass tausende von kleinen Unternehmen und Selbständigen sich nicht mehr halten und, wie anderswo, die Konzerne den Markt übernehmen konnten. Heute ist Südafrika in der Hand der globalen Kapitalistenklasse und Arbeitslosigkeit macht sich breit.

Das Gegenbild dazu zeigt Brasilien. Hier war unter der früheren Militärdiktatur ebenfalls eine rigorose Einfuhrsubstitutionsstrategie gefahren worden. Die Regierungen Cardoso und nach ihr Lula öffneten zwar die Grenzen, sorgten aber dafür, dass einheimische Unternehmen im Markt blieben. Diese Politik hat sich bewährt: Heute ist Brasilien sowohl im Begriff, seine sozialen Probleme zu lösen als auch eine globale Wirtschaftsmacht zu werden.

Man kann Entwicklung nur bewirken und Armut nur bekämpfen, wenn man dies innerhalb der Grenzen eines Landes oder einer Region angeht. Zwei Gruppen trachten dies zu verhindern: die globale Kapitalistenklasse, die ihr Kapital in der ganzen Welt anlegt, und die nationalen Machteliten, die Kapital gar nicht anlegen, sondern auf Schweizer oder panamesische Konten transferieren, wo es dem Luxuskonsum dient. Kann man nationale Machteliten daran hindern, kann man sie dazu bringen, das Geld zur Entwicklung ihrer Länder zu verwenden?

In der Republik Tschad ist es versucht worden. Die größte privatwirtschaftliche Investition in Schwarzafrika, 4,2 Milliarden Dollar für die Erdölförderung und eine Pipeline zur Küste, wurde von der Weltbank zu 13 Prozent mitfinanziert unter der Bedingung, dass die Regierung den größten Teil der Einnahmen zur Entwicklung des Landes verwenden würde. Ein Gesetz legte fest, dass 80 Prozent in sechs vorrangige Sektoren fließen soll, von Gesundheit und Bildung bis zur  ländlichen Entwicklung, und 5 Prozent in die Förderregion. Die Erdölförderung beginnt 2003, das Sozialprodukt des Tschad steigt stark, aber die Region wird nicht entwickelt, sondern verwüstet. Ende 2005 hebt Präsident Idriss Déby das Gesetz auf, er will Geld für Waffenkäufe verwenden. Im April 2006 stimmt Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz zu. Tschad wird im Korruptions-Wahrnehmungsindex von Transparency International als das korrupteste Land der Welt genannt. Kann man erwarten, dass die Regierung eines solchen Landes einen solchen Vertrag einhält? Man braucht Eliten als Partner, die selbst ein Interesse an der Entwicklung ihres Landes haben.

Im kalifornischen Silicon Valley hat sich 1992 eine Gruppe von indischen IT-Ingenieuren und Unternehmern zusammengetan, die ständig wächst und sich international ausdehnt. „The Indus Entrepreneurs“ (TIE) haben inzwischen 11.000 Mitglieder und 53 Zweige in 12 Ländern, mehrere davon in Indien. Das Grundprinzip ist, dass erfolgreich Gestartete den Anfängern helfen. Viele von ihnen haben an den technischen Hochschulen Indian Institutes of Technology studiert, die ab 1940 von Premierminister Nehru gegründet wurden. Viele haben dazu beigetragen, dass Indien heute die beste IT-Industrie der Welt hat. Die Schulen sind wichtig, das Netzwerken ist wichtig – und die Motivation.

Das einzige Land in Afrika, in dem Ähnliches gelungen ist, ist Botswana. Die hohen Erträge der Diamantenminen werden im Lande selbst reinvestiert. Seit 40 Jahren hat Botswana ein ständig wachsendes Brutto-Nationaleinkommen. Das ist der Politik einer kleinen Gruppe von Stammespolitikern zu verdanken; sie hatten die eigens für die Tswana gegründete englische Missionsschule Tiger Kloof besucht, in der die Erziehung zum Dienst an der Gemeinschaft als höchstes Ziel betrachtet wurde, und dann in London studiert. Für Entwicklung ist Bildung und Ausbildung auf hohem Niveau nötig – und ein von innen kommendes Interesse daran, dem eigenen Volk zu helfen. 

 

 

Zusatzinformationen

Literatur zum Thema:

Moeletsi Mbeki, Architects of Poverty. Macmillan, Johannesburg 2009.

William Robinson, Global Capitalism Theory and the Emergence of Transnational Elites. UNU-WIDER Working Paper, Januar 2010.

Leslie Sklair, The Transnational Capitalist Class and the Discourse of Globalisation; in: Cambridge Review of International Affairs, Februar 2010.

erschienen in Ausgabe 4 / 2010: Globale Eliten - Von Reichtum und Einfluss
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