Das Klima retten aus Kalkül

Costa Rica
Costa Rica will bis 2021 klimaneutral werden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Kritiker werfen der Regierung Augenwischerei vor.

Unberührte Urwälder, riesige Artenvielfalt, saubere Energie: Costa Rica ist stolz auf seinen Ruf als Öko-Paradies. Zugleich leidet das mittelamerikanische Land unter dem Klimawandel. Niederschläge fallen deutlich unregelmäßiger als noch vor 15 Jahren: In der nördlichen Pazifikregion Guanacaste ist es extrem trocken, an der Karibikküste dagegen regnet es so heftig, dass Dörfer unter Wasser stehen und Brücken weggerissen werden. Sollte Costa Rica es wirklich schaffen, den Ausstoß von Treibhausgasen auf null zu senken, würde das Land nicht nur einen Beitrag zum Schutz des heimischen Klimas leisten – es würde weltweit zum Vorreiter werden.

Doch hinter dem Vorhaben, das der damalige Präsident Óscar Arias Ende 2007 angekündigt hatte, steht ein großes Fragezeichen. „Bei der Klimaneutralität tut man so, als ob das ein revolutionärer Fortschritt sei, aber eigentlich ändert man gar nichts“, kritisiert Isaac Rojas von der Umweltorganisation COECOCEIBA. Um das Ziel zu erreichen, müssten laut dem nationalen Statistik- und Entwicklungsbericht insgesamt acht Milliarden US-Dollar aufgewendet werden. Das entspräche mehr als einem Viertel des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und wäre schwer zu stemmen: Costa Rica ist mit mehr als der Hälfte seines BIP verschuldet.

Das Ziel sei „komplex“ und die Zeit knapp, lässt das Umweltministerium verlauten. Dennoch bleibt man auch nach dem Regierungswechsel vor gut einem Jahr der Linie von Ex-Umweltminister René Castro treu: Das Land habe, bezogen auf 2007, bereits vier Fünftel des Weges zur Klimaneutralität zurückgelegt, hatte er Anfang 2013 gesagt, vor allem durch Wiederaufforstung und CO2-neutrale Stromproduktion. Die damals oppositionelle Partei der Bürgeraktion (PAC) hatte die Klimaziele kritisiert. Doch nach ihrem Wahlsieg im Frühjahr 2014 hält Präsident Luis Guillermo Solís an der Klimaneutralität fest. Auf dem Sondergipfel im September 2014 in New York versprach er unter anderem Biodiesel-Busse, elektrische Züge und Energiesparmaßnahmen in Privathaushalten. Die Umsetzung allerdings lässt auf sich warten.

"Grüne" Wasserkraft stößt auf Widerstand

Bislang ist der staatliche Stromversorger ICE eine der Hauptstützen im Klimaplan Costa Ricas. Laut Energievorstand Luis Pacheco wird der Strom längst klimaneutral erzeugt. Schwerölkraftwerke dienten derzeit nur noch zur Abdeckung regenarmer Perioden, wenn die Wasserkraftwerke nicht genug Strom produzierten. Die Kapazitäten sollen in den nächsten Jahren noch deutlich erweitert werden: Im Süden des Landes plant ICE seit Jahren ein Wasserkraftwerk, das 630 Megawatt Strom liefern soll. Allerdings stößt das Unternehmen dort auf heftigen Widerstand der indigenen Anwohner. 200 Megawatt Strom werden gegenwärtig durch Windkraft erzeugt, diese Leistung soll mit Hilfe weiterer Windparks verdoppelt werden. Eine Solaranlage ist in Planung, Geothermie und Biomassekraftwerke werden derzeit erprobt.

„Alles Schwindel“, meint hingegen Umweltexperte Rojas, „Wasserkraft ist nicht grün!“ Sie habe bereits große Umweltschäden und soziale Verwerfungen verursacht.  Die Regierung träume zudem davon, den angeblich grünen Strom zu exportieren. So wolle sie die eigenen CO2-Emissionen weiter herunter rechnen. Ähnlich sehe es bei der CO2-Bindung durch Wiederaufforstung aus, ergänzt Rojas. Costa Rica habe zwar natürliche Wälder aufgeforstet. Doch auch kurzlebige Teakholz- und Ölpalmenplantagen würden mit eingerechnet, für die oft sogar Wälder gerodet wurden.

Allein mit Hilfe von Aufforstung und CO2-neutralem Strom wird Costa Rica sein Klimaziel ohnehin nicht erreichen. Denn nach wie vor hängt der Gesamtenergieverbrauch zu 70 Prozent am Öl. Davon verbrennt der Verkehr fast 80 Prozent. Und der Verbrauch steigt. Wie viele Entwicklungs- und Schwellenländer nähert sich auch Costa Rica dem Pro-Kopf-Energieverbrauch der reichen Länder an. Die Zahl der Autos nimmt zu, und sie werden immer größer. Die Hauptstadt San José ist in den vergangenen Jahrzehnten unaufhörlich gewachsen. Mit vielen ehemaligen Dörfern der Umgebung ist sie zu einer Zwei-Millionen-Metropolregion verschmolzen.

Autor

Markus Plate

veröffentlicht seit mehr als zehn Jahren Reportagen und Radiobeiträge zu Lateinamerika. Zurzeit arbeitet er als Fachkraft für Brot für die Welt im Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica.
Das fordert auch den Stadtplaner und Architekten Hugo Méndez heraus. „Wir haben Industriegebiete im Westen San Josés und Wohngebiete ohne Arbeitsplätze im Osten und Süden“, sagt er. Das führe zu einem hohen Verkehrsaufkommen. „Wir müssen vor allem das System des öffentlichen Nahverkehrs radikal ändern, um unsere Klimaziele zu erreichen“, erklärt er. Dafür müsste das Bus- und Straßenbahnnetz so ausgebaut werden, dass öffentliche Verkehrsmittel eine Alternative zum Auto darstellen. Auch Seilbahnen könnten errichtet werden, um durch Täler abgeschnittene Stadtviertel besser anzubinden. Zudem müsse dafür gesorgt werden, dass mehr Leute auf das Fahrrad umsteigen, fügt Stadtplaner Méndez hinzu.

Umweltschützer wie Isaac Rojas werfen der Regierung Costa Ricas vor, sie sei nicht bereit, Emissionen wirksam zu reduzieren. Das Konzept der Klimaneutralität sei nicht mehr als eine Marketing-Strategie, um für internationale Investoren attraktiv zu sein. Ex-Präsident Arias hatte den Klimawandel als Krise bezeichnet, die auch Chancen biete: Costa Rica als Vorreiter beim Klimaschutz könnte Unternehmen anlocken, die klimaneutral produzieren und so ihr Image aufpolieren wollen. Tatsächlich aber, so die Umweltschützer, rechne Costa Rica seinen Treibhausgasausstoß mittels ökologisch fragwürdiger Praktiken einfach schön.
    

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erschienen in Ausgabe 9 / 2015: Entwicklung - wohin?
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