Gutes tun im Wohlfühlurlaub

Viele Menschen möchten im Urlaub nicht mehr nur in fernen Ländern am Strand liegen. Sie retten Schildkröten vor dem Aussterben, renovieren Dorfschulen und streichen die Wände von Restaurants. Voluntourismus nennt sich der Freiwilligen-Einsatz in den Ferien. Unklar bleibt, ob davon die Gastländer mehr profitieren oder doch die Touristen.

Voluntourismus, eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen für ehrenamtliche Arbeit (volunteerism) und Tourismus, ist in Europa ein neuer Trend in der Reisebranche. Vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen steht er hoch im Kurs. Er verbindet die Sehnsucht, ferne Länder kennen zu lernen, mit dem Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun.

Autoren

Bettina Lutterbeck

ist Politologin und Kommunikationswissenschaftlerin und arbeitet derzeit als Entwicklungsfachkraft des EED in Costa Rica.

Andrea Wurth

ist Kunsthistorikerin und arbeitet als Reiseredakteurin und Autorin.

In den USA und Kanada, wo diese Form des Reisens bereits eine längere Tradition hat, stellte die Soziologin Gada Mahrouse von der Concordia University in Montreal in einer Studie vom vergangenen Jahr vor allem bei gebildeten Besserverdienern ein wachsendes Unbehagen gegenüber konventionellen Urlaubsangeboten fest. Mit dem richtigen Mix aus intellektueller, emotionaler und körperlicher Beanspruchung finde Volunteer-Tourismus als „ethisch korrekter Wohlfühlurlaub" auch bei diesen Zielgruppen immer mehr Anhänger, erklärt Mahrouse. Solche Einsätze vermittelten das Gefühl moralischer Überlegenheit gegenüber dem „normalen" Tourismus, dem Umweltzerstörung und soziale Ignoranz nachgesagt wird, hat die Wissenschaftlerin festgestellt.

Aus den Internetseiten deutscher Anbieter lässt sich ableiten, dass auch hierzulande das Bedürfnis, im Urlaub zu helfen, etwas zu bewegen oder sich aus der Masse herauszuheben, ein Verkaufsargument ist. Der Nürnberger Reiseveranstalter Imagine-no-limits etwa wendet sich an Menschen, die „auf der Suche nach etwas Anderem" sind, „sich einbringen" und „Spuren hinterlassen" wollen. Spurensuche in Costa Rica, einem Land mit vier Millionen Einwohnern und fast zwei Millionen Touristen jährlich, Voluntouristen eingeschlossen: Das kleine mittelamerikanische Land ist bei fast allen Reiseveranstaltern im Programm. Mit seiner niedrigen Kriminalitätsrate ist es attraktiver als andere Ziele in Lateinamerika und kann - für die touristische Seite des Pakets unverzichtbar - mit vielen Naturschönheiten glänzen: weitläufige Strände an Karibik und Pazifik, feuerspuckende Vulkane, Urwald und viele Naturparks.

Da erscheint ein Einsatz im Naturschutz besonders verlockend, auch dem 20-jährigen Tim Schäfer aus Heilbronn. Nach einem Spanischkurs in San José hat er sich für die Schildkrötenaufzuchtstation in Matapalo entschieden. Gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen patrouilliert er in vier-Stunden-Schichten rund um die Uhr an dem mit Palmen bestandenen Strand, an dem in lauen Mondnächten Meeresschildkröten ihre Eier ablegen. Die Helfer verhindern, dass die Eier Geiern, Hunden, Insekten oder Menschen zum Opfer fallen, und tragen so dazu bei, die Art vor dem Aussterben zu bewahren. Sie schützen die Schildkröten bei der Eiablage, holen die Eier hinterher vorsichtig aus den Sandlöchern und graben sie in einem bewachten Gelände in Strandnähe wieder ein. Wenn die kleinen Schildkröten geschlüpft sind, werden sie gemessen und gewogen und anschließend zum Meer gebracht.

Mindesteinsatz zwei Wochen

Angeleitet wird die Arbeit von einem hauptamtlichen Betreuer, der für die internationalen Hilfskräfte auch Englisch sprechen muss. Ein bis zwei Tage Einarbeitung brauchen selbst Kurzzeithelfer. Die Asociación de Voluntarios para el Servicio en Áreas Protegidas (ASVO), eine 1989 gegründete nichtstaatliche Organisation, die landesweit Freiwilligeneinsätze in rund zwei Dutzend Naturschutzprojekten koordiniert, hat eine Mindestarbeitszeit von zwei Wochen festgesetzt. 2008 hat die Organisation etwa 1700 Kurz- und Langzeitfreiwillige in Naturschutzprojekte vermittelt. In diesem Jahr werden es etwa 20 Prozent mehr sein, dank steigender Nachfrage vor allem in Europa und Kanada. Der Geschäftsführer von ASVO, Luis Matarrita, ist überzeugt davon, dass ehrenamtliche Arbeit im Naturschutz auch für eine kurze Zeit sinnvoll ist: Für die Freiwilligen, die ein spezifisches Ökosystem hautnah erleben, aber auch für die Naturschützer, Biologen oder Parkwächter: Sie können auf eine Vielzahl an Assistenten zugreifen, die sie sich unter anderen Bedingungen nicht leisten könnten. Je nachdem, über welchen Veranstalter die Voluntouristen ihren Einsatz gebucht haben, bezahlen sie zwischen 15 und 30 US-Dollar pro Tag für Unterkunft und Verpflegung, dazu kommen Vermittlungsgebühr und Flug.

Auch knapp 200 Kilometer von der Schildkrötenaufzuchtstation in Matapalo entfernt sind Voluntouristen im Einsatz. In Biolley, einer strukturschwachen Region unweit der Grenze zwischen Costa Rica und Panama, blüht der Community-Tourismus. Hier, am Fuße des länderübergreifenden Biosphärenparks „La Amistad", der 1983 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt wurde, wächst ein aromatischer, säurearmer Kaffee, der in Premium-Qualität auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Vor rund zehn Jahren, als die internationalen Kaffeepreise im Keller waren, stand fast jeder zweite Hof zum Verkauf. Heute ist Biolley eine prosperierende Region, die auch den jungen Bewohnern wieder eine Perspektive bietet - nicht nur, weil sich der Kaffeepreis erholt hat.

Mindestens genauso wichtig ist die Tatsache, dass fast jedes Dorf in der Region inzwischen seine touristische Infrastruktur aufgebaut hat. Gefördert wurde das unter anderem vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), das ländlichen Tourismus als Instrument zur Armutsbekämpfung betrachtet. Neben Naturführungen und Fun-Sportarten bietet Biolley den Gästen eine reichhaltige Palette an Freiwilligeneinsätzen an. Auch die Voluntouristen zahlen für Unterkunft und Verpflegung. Viele Gruppen bringen außerdem noch eine Spende mit, meist zwischen 1000 und 3000 US-Dollar. In Biolley, so scheint es, ist durch das breite Angebot an ländlichem Tourismus und Kurzzeit-Ehrenämtern eine Win-Win-Situation entstanden. Die Touristen kommen, um die Natur zu genießen und nebenbei etwas Gutes zu tun. Im Dorf gedeiht ein touristischer Nischenmarkt mit sozialem und ökologischem Anspruch, der die Kassen der Dorfbewohner füllt.

Betreut wird das Projekt von Adriana Zuñiga, Produktentwicklerin von ACTUAR, einem Zusammenschluss von Initiativen im Gemeindetourismus. Sie hilft in ganz Costa Rica kleinen Familienbetrieben, die Standards des nationalen Tourismus-Instituts zu erreichen, um das Nachhaltigkeitszertifikat zu bekommen. Daneben stellt sie Kontakte zwischen Betrieben in unterschiedlichen Regionen her und unterstützt sie dabei, durch Kooperationen auch größere Pakete zu schnüren: etwa Strandurlaub, Rafting und Vulkanbesteigung im Anschluss an einen Freiwilligeneinsatz.

Den Trend zu ehrenamtlichen Kurzeinsätzen in ländlichen Gemeinden sieht die Tourismus-Expertin dennoch mit gemischten Gefühlen. Adriana Zuñiga ist nicht sicher, ob die Erwartungen beider Seiten, der Voluntouristen und der Dorfgemeinschaft, auf Dauer zusammengebracht werden können. Auf der Seite der Freiwilligen beobachtet sie nicht nur hehre Motive: „Ein billiger Urlaub mit ein bisschen Animation und Imagegewinn, Punkte, die die Uni für den sozialen Einsatz gutschreibt - ich weiß nicht, was vor allem jüngere Voluntouristen genau erwarten." Wenn es anstrengend werde, zögen sich einige gerne zurück, gingen im Fluss baden oder in die Kneipe. „Und anschließend wollen sie noch ein Dankeschön hören." Auf der anderen Seite hat Zuñiga bemerkt, dass sich einige Initiativen in ihrer Rolle als Bedürftige einzurichten beginnen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige Gemeinden ihre Infrastruktur absichtlich verkommen lassen, um den Anschein zu erwecken, arm zu sein. Sie wollen sichergehen, dass weiterhin Freiwillige kommen", meint Zuñiga.

Das 280-Einwohner-Dorf Altamira in Biolley macht nicht auf „arm". Stolz führt Yendry Suarez durch ihr Dorf und zeigt die große Gemeindeküche, den Mehrzwecksaal und zwei Fußballplätze. Ein weiterer Fußballplatz soll von Freiwilligen angelegt und sogar überdacht werden. Ein Schulungsraum, das Gästehaus mit 40 Schlafplätzen und ein großes Restaurant mit Bar werden von der örtlichen Bioproduzentenvereinigung ASOPROLA betrieben, für die Yendry Suarez und ihre Schwester Jessica arbeiten. Das Restaurant ist mit aufwändigen Mosaiken verziert - nach dem Entwurf eines lokalen Künstlers. Wer sich schon einmal an einem Mosaik versucht hat, kann abschätzen, wie viele Freiwilligeneinsätze dafür nötig waren. Die Infrastruktur im Dorf, das wird deutlich, hat Kleinstadt-Format. Für die Einwohner von Biolley, die sich um die internationalen Helfer kümmern, sind die Voluntouristen Gäste wie andere auch. Sie haben erkannt, dass sich die Studenten der US-amerikanischen Elite-Universität zwar Mühe mit einem Marketingkonzept für Bioprodukte geben, aber zuweilen nicht über die notwendige Marktkenntnis verfügen. Sie wissen, dass jemand, der gut Englisch spricht, nicht unbedingt unterrichten kann. Und sie freuen sich, wenn bei der Gewerkschaftergruppe aus Schweden, die das Dach der Gemeindeküche ausbessern soll, auch ein paar geschickte Männer oder Frauen sind, die mit Schaufel und Hammer umgehen können.

Nachteile des Voluntourismus

„Anscheinend kommen die Leute, um Entbehrungen kennen zu lernen: Wie es ist, wenn man eine Tagesreise braucht, um einfache Baumaterialien zu bekommen, wenn man in einem durchgelegenen Bett im Schlafsaal schläft und nur das isst, was es hier vor Ort gibt", meint Laura Quirós, Leiterin der Frauenkooperative ASOMOBI in Biolley. Sie hat schon mehr als ein dutzend Voluntouristen-Gruppen aus Deutschland, der Schweiz und aus den USA aufgenommen. Auf die Frage, was ihr die Begegnung mit den Voluntouristen bringt, antwortet sie: „Ich spreche kein Englisch und die Touristen meist kein Spanisch. Bei den bunten Abenden, die wir im Dorf für jede Gruppe organisieren, kann ich viele nur anlächeln. Aber meine Kinder sind mit einigen durch Facebook Freunde geblieben."

Für Marvin Blanco, der eine Studie des zwischenstaatlichen Inter-amerikanischen Instituts für Kooperation in der Landwirtschaft (IICA) über ländlichen Tourismus in Costa Rica von 2009 koordiniert hat, ist der Voluntourismus zwar ein wachsendes Segment im Nischenmarkt „ländlicher Tourismus". Das Prädikat „ökologische Nachhaltigkeit" müssten sich die meisten Projekte aber erst noch verdienen, sagt er. Die soziale Nachhaltigkeit stellt er sogar in Frage. Kurzzeiteinsätze in Waisenhäusern oder Altenheimen hält er für kontraproduktiv, und auch andere Einsätze in ländlichen Gebieten sieht er kritisch. Kooperativen, die sich mit Voluntourismus eine Einkommensquelle außerhalb der Landwirtschaft erschließen wollten, unterschätzten die Arbeit im Tourismus und gerieten oft mit ihrer eigentlichen Arbeit in Verzug, erklärt er.

Blanco kennt viele Dorfgemeinschaften, die sich nach einem guten Start, als die Infrastruktur und die Kontakte aufgebaut und besondere Attraktionen ausgearbeitet waren, total zerstritten haben. Nur in wenigen Fällen habe Voluntourismus über längere Zeit gut funktioniert. Die liegen überwiegend in indianischen Gebieten, wo sich die Interessen einzelner wegen des traditionellen Kollektiveigentums nicht durchsetzen konnten. „Ich kenne viele Beispiele, wo nach einiger Zeit eine oder wenige Familien das Geschäft machen und die anderen außen vor sind. Voluntourismus-Einsätze verändern die Machtverhältnisse im Dorf ", sagt Blanco.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Notwendigkeit, Infrastruktur für die Übernachtung und Verpflegung von Gruppen ständig aufrecht zu erhalten, obwohl sie nur während der Tourismus-Saison genutzt werden kann. „Wenn keine öffentlichen oder Hilfsgelder fließen, übernehmen sich Vereine oder Familien leicht. Dann müssen sie mehr Geld hineinstecken, als sie herausbekommen." Ob der Volunteer-Tourismus den Anforderungen einer nachhaltigen Tourismusentwicklung entspreche, hänge sehr stark davon ab, wie die Bevölkerung organisiert sei, wie viele Familien vor Ort in die Projekte eingebunden seien und ob die Mehrheit sozial und ökonomisch davon profitieren könne. Der Wert der interkulturellen Begegnung solle nicht überschätzt werden, meint Blanco. „Um voneinander zu lernen, muss man mehr Zeit miteinander verbringen und dieselbe Sprache sprechen."

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erschienen in Ausgabe 5 / 2011: Die Freiheit des Glaubens
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