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Klimaabkommen
Das Abkommen von Paris enthält eine Reihe Fortschritte – neben faulen Kompromissen und hohlen Versprechen. Zu diesen zählt leider das 1,5-Grad-Ziel. Denn die nötigen Beschlüsse, um es zu erreichen, wurden gerade nicht gefasst.

Umweltverbände sparen nicht mit Lob für den UN-Klimagipfel in Paris. Besonders gern verweisen sie darauf, dass die armen und am meisten verwundbaren Länder sich mit der Forderung durchgesetzt haben, das Zwei-Grad-Ziel zu verschärfen: Nun sollen der Anstieg der Erdtemperatur auf „deutlich unter“ zwei Grad Celsius begrenzt und „Anstrengungen“ unternommen werden, damit er 1,5 Grad nicht übersteigt. In der Tat enthält das Paris-Abkommen, auf das praktisch alle Staaten der Welt sich geeinigt haben, eine Reihe Fortschritte – neben faulen Kompromissen und hohlen Versprechen wie eben dem 1,5-Grad-Ziel.

Um zu bewerten, was das Abkommen praktisch erreichen kann, muss man die Konstruktion des globalen Klima-Regimes in den Blick nehmen. Hier markiert Paris einen Wendepunkt: Das Abkommen besiegelt die Anpassung des Regimes an innenpolitische Zwänge in den USA und, damit verbunden, an den Aufstieg der Schwellenländer, vor allem Chinas. Die Klima-Rahmenkonvention (UNFCCC) von 1992 hatte festgestellt, dass die Industrieländer den Klimawandel verursachen und für Klimaschutz verantwortlich sind. Entsprechend wies das Kyoto-Protokoll von 1997, mit dem die UNFCCC umgesetzt werden sollte, ausschließlich Industrieländern Pflichten zur Minderung von Treibhausgasen zu. Das Abkommen von Paris verfolgt nun das Prinzip, dass alle Staaten, reich wie arm, Beiträge zum Klimaschutz leisten – und zwar sämtlich freiwillig. Zahlreiche Hinweise auf unterschiedliche Pflichten und Möglichkeiten reicher und armer Länder bemänteln im Grunde diesen Paradigmenwechsel.

Das Kalkül dahinter hat US-Außenminister John Kerry offen benannt: Nur wenn Klimaschutzziele freiwillig sind und alle Länder erfassen, besteht die Chance, dass das Parlament der USA das Abkommen billigt. Kerry und Präsident Barack Obama möchten wohl tatsächlich mehr Klimaschutz. Aber die USA, die Kerry in Paris zum Vorkämpfer stilisierte, sind bisher ein großer Bremser. Pro Kopf emittieren US-Amerikaner mehr als doppelt so viel Treibhausgase wie Chinesen und Deutsche und rund achtmal so viel wie Inder – Emissionen, die in importierten Gütern stecken, noch gar nicht mitgerechnet. Und die Emissionen der USA sind bis zur Wirtschaftskrise von 2008 weiter gestiegen. Erst seit 2011 nutzt die Regierung Obama ihre zugegeben begrenzten Möglichkeiten, Klimaschutz ohne Zustimmung des Parlaments zu betreiben.

Die USA und China müssen an Bord sein

Das neue Regime bedeutet, dass auch arme Länder ihre Emissionen einschränken sollen, während reiche weiter übermäßig Platz in der Atmosphäre beanspruchen. Das ist das Gegenteil von Klimagerechtigkeit. Es hat gute Gründe, dass Entwicklungsländer und speziell Indien dem Paris-Vertrag nur unter hörbarem Zähneknirschen zustimmen konnten. Doch sie hatten keine Wahl, wenn die USA eingebunden werden sollten. Und Klimaschutz ohne die USA und China wäre wirkungslos.

Im Gegenzug verlangten die Entwicklungsländer mehr Finanzhilfe – langfristig und verlässlich. Dass die Industrieländer freiwilligen Klimaschutz im Süden bezahlen sollen, ist bereits ein Grundsatz des Abkommens von 1992. Gerade die ärmsten Länder wollen aber auch mehr Geld für die Anpassung an die Erderwärmung und für „Verluste und Schäden“, bei denen Anpassung nicht möglich ist wie beim Untergang ganzer Inseln. Das konnten sie in Paris zum Teil durchsetzen: Im Abkommen wird mehr Geld versprochen, jedoch rechtlich unverbindlich. Immerhin müssen nun die Geber alle zwei Jahre prüfen lassen, was sie zahlen.

Entwicklungsländer hatten weitere Gründe, sich in Paris für ein Abkommen einzusetzen. Zum einen ist zwar ungerecht, dass Industrieländer weiter so viel emittieren, aber es gibt keinen politisch realistischen Weg, das schnell zu ändern; man kann ja nicht die Volkswirtschaft der USA großenteils abschalten. Zum anderen ist die Differenzierung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern laut der UNFCCC in der Tat zum Teil überholt. Nicht nur mit Blick auf China: Auch die Golfstaaten zählen als Entwicklungsländer, obwohl sie inzwischen reicher sind und mehr Treibhausgas pro Kopf ausstoßen als viele Industrieländer. Insoweit haben Industrieländer Recht, die von ihnen mehr Beiträge einfordern, einschließlich Geld. Hinter den Kulissen haben sich arme Länder der Forderung angeschlossen, obwohl sie genau wie die Golfstaaten zur Gruppe der 77 gehören und nach außen einig auftreten. Mehr als wachsweiche Formulierungen über freiwillige Zahlungen von Entwicklungsländern sind allerdings nicht herausgekommen.

Die Klimapolitik bewegt sich - endlich

Doch wie ungerecht es auch ist – das neue Regime ist dann ein wichtiger Fortschritt, wenn es wirksamer ist als das alte. Gerade die ärmsten Länder gewinnen nämlich am meisten, wenn die Erderwärmung möglichst klein gehalten werden kann. Der top-down-Ansatz, nach dem eine Gesamteinsparung an Emissionen global festgelegt, auf die Staaten verteilt und rechtlich bindend gemacht wird, ist eindeutig gescheitert – nicht nur an den USA. Das hat spätestens der Gipfel in Kopenhagen 2009 klar gemacht.

Für den neuen Ansatz, der nun in Paris kodifiziert wurde, spricht: Der Schwenk zu freiwilligen Beiträgen hat die Klimapolitik vieler Länder in Bewegung gebracht. Allerdings führen ihre freiwilligen Zusagen, selbst wenn sie alle eingehalten werden, in der Summe zu Emissionen, die eine Erwärmung von rund drei Grad bis 2100 erwarten lassen. Deshalb sollen nach dem Vertrag von Paris alle fünf Jahre die Klimaschutzpläne aller Länder zusammen überprüft werden – im Lichte des gemeinsamen Ziels sowie technischer Fortschritte, die Klimaschutz immer billiger und leichter machen sollen. Unter dem Druck dieser Überprüfengen, so hofft man, werden die Staaten sich immer strengere Ziele setzen. Dies ist ein zukunftsweisender Ansatz.

Doch welche Wirkung kann man erwarten? Das Abkommen wird sehr wahrscheinlich einen Umbruch globalisieren und beschleunigen, der schon im Gang ist: Den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung. Das wäre schon eine Errungenschaft. Zwei Nebenwirkungen muss man dabei kritisch im Blick behalten: Die Klimafinanzierung ist, wenn sie denn fließt, einer Verdoppelung der Entwicklungshilfe vergleichbar und wird auf ähnliche Probleme stoßen wie diese. Und die Bestimmungen des Paris-Vertrages über Transparenz und Vergleichbarkeit verpflichten alle Länder außer den ärmsten, Inventare über ihre Emissionen und über den in Senken wie Wäldern und Mooren gebundenen Kohlenstoff zu führen. Diese Berechnungen sind aufwändig und werden ein großes Beratungs-Business entstehen lassen, das Wirtschaft und Natur unter dem Gesichtspunkt der Kohlenstoffbilanzen vermisst und bewertet.

Es darf weiter Kohlendioxid ausgestoßen werden

Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird aber sicher nicht gelingen. Denn was dazu nötig ist, haben die Staaten in Paris gerade nicht beschlossen: Die globalen Emissionen müssten laut führenden Klimaforschern um 2020 ihren Höhepunkt erreichen. Danach müssten reiche Länder bis 2030 jede Kohlendioxid-Emission beenden, arme ein bis zwei Jahrzehnte später. Eine solche Dekarbonisierung der gesamten Ökonomie wollten die führenden Industrieländer (G7) – jedoch erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Auf Druck vor allem von Ölstaaten wurde indes beschlossen, dass die Wirtschaft bis dahin lediglich Treibhausgas-neutral sein soll. Es darf also weiter emittiert werden, soweit zum Ausgleich entweder Kohlendioxid technisch abgeschieden und in die Erde gepresst wird oder aber Senken rehabilitiert werden, die Kohlenstoff binden – zum Beispiel durch Aufforstung. Beide Rezepte sind äußerst fragwürdig.

Auch dass global nur noch eine begrenzte Menge Kohlendioxid emittiert werden darf – Indien wollte dieses Budget im Text verankern –, war nicht konsensfähig. Die Emissionen der Landwirtschaft, speziell im Norden, wurden in Paris nur am Rande behandelt. Das Problem des Verkehrs soll durch Elektrifizierung gelöst werden, was beim Schwerverkehr schwierig ist und den Strombedarf enorm hochtreibt. Flugverkehr und Schifffahrt, deren Emissionen in keinem einzelnen Land erfasst werden, bleiben unreguliert. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf: Klimaschutz konzentriert sich auf technische Lösungen, die auch wirtschaftlich lohnend erscheinen. Das ist kein Signal der Entschlossenheit, sämtliche Treibhausgas-Emissionen so schnell reduzieren, wie es für das Zwei-Grad-Ziel nötig wäre – von 1,5 Grad ganz zu schweigen.

Dennoch ist das Abkommen insgesamt zu begrüßen. Es stellt einen Rahmen für globale Kooperation und gegenseitige Kontrolle bereit und schafft dafür neue, zum Teil noch unklare „Mechanismen“. Das macht es hoffentlich leichter, mit dem Kernproblem des Trittbrettfahrens umzugehen: In der Klimapolitik ist der Anreiz besonders groß, dass Staaten nichts tun und von den Anstrengungen anderer profitieren. Und vielleicht erhöht es die Chancen, einen globalen Wettlauf um immer mehr Klimaschutz in Gang zu setzen. Dazu müssen Vorreiter vorangehen und beweisen, dass das funktioniert und die Lebensqualität steigert. Von den winzigen Chancen für wirksamen Klimaschutz ist das noch die größte. Der Kampf für eine wirklich nachhaltige Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft muss deshalb nun da weitergeführt werden, wo schon immer sein wichtigster Ort war: zu Hause.

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