„Die heutige Entwicklungszusammenarbeit ist ein Auslaufmodell“

Vor fünf Jahren haben die wichtigsten Geberländer in Paris zugesagt, die Wirksamkeit ihrer Entwicklungshilfe zu erhöhen. Der Beschluss war ein Durchbruch, doch Fortschritte wurden seither kaum erzielt, sagt Eckhard Deutscher, der Vorsitzende des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC). Es sei derzeit sogar eine Renationalisierung der Entwicklungspolitik zu beobachten. Erforderlich wäre laut Deutscher, dass die Partnerländer die Arbeit der einzelnen Geber begutachten und bewerten.

Die Kritik an der Entwicklungshilfe wird lauter und stößt auf größere öffentliche Aufmerksamkeit. Wie erklären Sie sich das?

Zwei Dinge spielen eine Rolle: Zum einen wird zu Recht die Frage gestellt, was die Entwicklungspolitik in den vergangenen 40 oder 50 Jahren geleistet hat? Ich finde aber, diese Frage ist eine Falle, weil sie der Entwicklungspolitik unterstellt, sie allein sei für das Ausbleiben von erwarteten Ergebnissen in Entwicklungsländern verantwortlich. Die Frage ist doch, welche Rolle andere Politikbereiche spielen, zum Beispiel Wirtschaft, Finanzen und Handel. Man müsste umgekehrt fragen: Was hat die Politik insgesamt in den Entwicklungsländern bewirkt? Der zweite Punkt ist, dass die Entwicklungspolitik selbst häufig so tut, als könnte sie allein die Weltprobleme lösen. Das ist anmaßend. Wir müssen dahin kommen, dass Regierungshandeln insgesamt stärker an Entwicklung orientiert ist und dass jedes Ressort sich als Teil des Ganzen versteht.

Gibt es in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen den Geberländern?

Ja, in den nordischen Ländern funktioniert es sehr gut. Auch in Großbritannien, wo verschiedene Ressorts am Department for International Development beteiligt sind. Da gibt es regelmäßige Strategiegespräche darüber, was und was nicht funktioniert.

Sind Berührungsängste zum Beispiel zwischen Entwicklungs- und Sicherheitspolitik Ihrer Ansicht nach eher schädlich?

Die Diskussion zwischen den deutschen Hilfsorganisationen und dem Entwicklungsministerium empfinde ich als typisch deutsche Debatte. Berührungsängste? Ich kann das nicht verstehen. Ich habe 2008 zusammen mit der Schweizer Regierung und der Nato eine Tagung initiiert, auf der über die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungspolitik und Militär in fragilen Staaten gesprochen wurde. Ich halte einen solchen Austausch für notwendig, um praktisch zusammenzuarbeiten.

Mit der so genannten Paris-Agenda und dem Aktionsplan von Accra haben die Geberländer Schritte beschlossen, um die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu steigern. Haben sie die erforderlichen Reformen angepackt?

Die Paris-Agenda ist vor fünf Jahren initiiert worden und seitdem ist erstaunlich viel erreicht worden. Dass es gelungen ist, einen Konsens über die nötigen Schritte herzustellen, ist ein Riesenfortschritt. Das Problem ist nur, dass die Welt sich schneller verändert, als in der Entwicklungspolitik Fortschritte erzielt werden. Wir müssen uns heute zum Beispiel zunehmend mit der Frage beschäftigen, wie wir mit neuen Gebern wie China oder Indien umgehen.

Aber einen Konsens auf dem Papier bedeutet doch noch nicht, dass die einzelnen Geber die beschlossenen Schritte auch tun. Ist das nicht das Problem der Paris-Agenda?

Natürlich geschieht auch in der Praxis eine ganze Menge. Die Schnecke bewegt sich halt nur langsam. Wir müssen vor allem die geradezu chaotische Struktur der über 900 in Entwicklungsländern tätigen Entwicklungsorganisationen aus den DAC-Ländern in den Griff kriegen. Die heutige Entwicklungszusammenarbeit, wie sie die DAC-Geber betreiben, ist ein Auslaufmodell. Ich beobachte mit Sorge eine Renationalisierung auch in der Entwicklungspolitik. Das ist paradox, wo wir doch zur Gestaltung der Globalisierung gerade mehr und bessere multilaterale Regime brauchen. Wir wissen schon lange, dass wir die Partnerländer überfordern, aber wir ändern nichts. Die Geber sind Teil des Problems, wie jüngst  die schwedische Entwicklungsministerin zu Recht gesagt hat. Ich habe den Eindruck, wir fahren im DAC-System in der Tat zwei Systeme: Es gibt das politische System des DAC in Paris mit Sektorpapieren, Reformanstrengungen und so weiter, aber wenn ich Partnerländer besuche, dann habe ich den Eindruck, wir arbeiten noch genau so wie vor zwanzig Jahren. Jeder macht seine eigenen Projekte, jeder hat seine eigenen Abrechnungssysteme, jeder steht unter seinen eigenen speziellen Zwängen. Es gibt zwar Absprachen und Koordination, aber die Aufgabe besteht darin, die Komplexität zu reduzieren.

Und wie kann man das schaffen?

Die Europäer zum Beispiel sollten sich fragen, warum sie die bilaterale Zusammenarbeit nicht zugunsten der multilateralen verringern. Und warum verständigen sich die europäischen Geber nicht auf eine Arbeitsteilung, so dass jedes Geberland sich auf weniger Partnerländer sowie Politikfelder konzentrieren kann? Das hat die Europäische Kommission ja angedacht.

Dieser „Europäische Verhaltenskodex“ wurde doch schon vor Jahren verabschiedet ...

... aber die Europäische Kommission hat bis heute noch keine Erfahrungsberichte über die Umsetzung vorgelegt.

Wie stark fordern die Entwicklungsländer mehr Abstimmung von den Gebern?

Das ist unterschiedlich. Es gibt Länder, die kritisieren die Geber unmissverständlich, wenn die sich nicht an die Beschlüsse von Paris und Accra halten. Südafrika ist ein Beispiel. Was leider viel zu selten stattfindet, sind politische Dialoge zwischen allen DAC-Gebern mit der Regierung eines Partnerlandes über deren Entwicklungsstrategie.

Sie haben die Rolle neuer Geber wie China bereits angesprochen. Wie geht der DAC damit um?

Wir laden seit zwei Jahren China, Indien, Brasilien und Südafrika zu wichtigen Treffen ein. Ich bin darüber hinaus sehr dafür – auch wenn nicht alle DAC-Mitglieder das teilen –, dass wir den DAC für andere Länder sowie für nichtstaatliche Organisationen öffnen. Ich werde noch in diesem Jahr mit dem zuständigen Minister in Peking darüber reden, inwieweit China daran interessiert ist, enger mit dem DAC zu kooperieren.

Wird sich China denn einbinden lassen mit dem Ergebnis, dass seine Entwicklungspolitik von außen beeinflusst werden könnte?

Wer sich einbinden lässt, ist gefesselt, und niemand lässt sich gerne fesseln. China wird selbstbewusst seine Interessen definieren und die Chancen und Risiken einer engeren Zusammenarbeit mit dem DAC abwägen. Wir haben aber bereits eine DAC-China-Arbeitsgruppe, in der über viele Fragen gesprochen wird, bis hin zu gemeinsamen  Evaluierungen von Entwicklungsprojekten. Ähnlich hat unsere Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern vor zwei Jahren angefangen.

Entwickelt sich damit der DAC zu einem Forum, in dem staatliche, nichtstaatliche und private Geber gemeinsam entwicklungspolitische Konzepte und Strategien abstimmen?

Der DAC sollte sich auf seine Kernkompetenzen besinnen. Das ist erstens die statistische Auswertung der Hilfe der Geber. Wichtig wäre, dass wir auch die Hilfe neuer Geber wie die Chinas oder der arabischen Staaten erfassen. Die wird derzeit auf 10 bis 13 Milliarden Dollar im Jahr geschätzt. Die zweite Kernaufgabe sind die Peer Reviews, in denen die DAC-Geber gegenseitig ihre Entwicklungspolitik begutachten. Sie werden von allen DAC-Mitgliedern als sehr hilfreich eingeschätzt, um zu sehen, wo sie bei der Verwirklichung von Beschlüssen stehen und wo es Engpässe gibt. Das Dritte ist der Prozess für eine wirksamere Entwicklungshilfe: Die Entwicklungspolitik muss darlegen, wie effektiv sie die derzeit 120 Milliarden Dollar Steuergelder einsetzt. Deshalb müssen wir diesen Prozess weitertreiben. Ich würde mir wünschen, dass wir außerdem ein Instrument entwickeln, mit dem das Vorgehen der Geber in den Partnerländern evaluiert wird – eine Art Peer Review von den Partnerländern über das Verhalten der Geber.

Das Gespräch führten Tillmann Elliesen und Bernd Ludermann.

Eckhard Deutscher ist Vorsitzender des OECD-Ausschusses für Entwicklungszusammenarbeit (DAC).

erschienen in Ausgabe 10 / 2010: Artenvielfalt: Vom Wert der Natur
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